Manon — Ihrer Zeit voraus

Manon · Das lachsfarbene Boudoir, 1974, Centre Culturel Suisse © ProLitteris. Foto: Margot Montigny

Manon · Das lachsfarbene Boudoir, 1974, Centre Culturel Suisse © ProLitteris. Foto: Margot Montigny

Manon · Ausstellungsansicht, Centre Culturel Suisse, 2021 © ProLitteris. Foto: Margot Montigny

Manon · Ausstellungsansicht, Centre Culturel Suisse, 2021 © ProLitteris. Foto: Margot Montigny

Besprechung

«Zu früh zu sein, ist noch blöder als zu spät» – Manon weiss, wovon sie spricht. Bevor andere in die Küche einluden, öffnete sie schon ihr Schlafzimmer dem Publikum. Als erste Schweizer Performance-Künstlerin inszenierte sie sich als hyperfeminines Gesamtkunstwerk, feministisch.

Manon — Ihrer Zeit voraus

Paris — Nach dem Kunsthaus Zofingen stellt das Centre culturel suisse eine Kunstpionierin vor – und Paris staunt. Obwohl sie ab 1977 vier Jahre hier wohnte, das Nachtleben bereicherte, und obwohl sie erst 2008 den Prix Meret Oppenheim erhielt, ist die als Rosmarie Küng 1940 geborene Bernerin dem französischen Kunstpublikum kaum bekannt. Dafür Urs Lüthis Schatten verantwortlich zu machen, wäre zu einfach. 1967 hat sie ihn geheiratet, ein Jahr zuvor legte sie den Namen des Vaters ab, wurde Manon. Anders als die französische Body-Künstlerin Orlan zeichnete die sieben Jahre ältere Manon im Wortsinn «biografisch» ihr Leben. Bis hin zum Geburtsdatum: Es sei, berichtet sie im Buch ‹Federn›, dem Irrtum einer Zeitung entsprungen, habe ihr «einige Lebensjahre mehr beschert».
Das kann Manon: Leben erfinden. Über zehn Jahre begleitete sie Lüthi, tauschte mit ihm Geschlechterrollen befragende Selbstinszenierungen, wie auch mit der Zürcher Szene, mit Jürgen Klauke oder Walter Pfeiffer. Als eigenständige Teilnehmerin am Kunstbetrieb musste sie erst gefunden werden. Mag der Grund ihr Kindheitstrauma sein, wie sie es in der hier gezeigten Dokumentation erzählt – ihre Mutter hatte sie in der psychiatrischen Klinik zurückgelassen, in die jene wegen Geburtsdepression eingewiesen worden war – Manon ist mehr als ein Psychologismus. Sie ist, das wird gleich im ersten Saal anhand der Fotoserie ‹La dame au crâne rasé› von 1977–78 deutlich, Kunst: Autorin des eigenen Ortes in der Welt. Das erzählt anschaulich das in Paris originalgetreu errichtete ‹lachsfarbene Boudoir›. Das voller Symbole und Statements, Reizen und Resonanzen steckende Schlafzimmer hat sie 1974 erstmals in der Galerie Li Tobler ausgestellt. Eine Kapsel, aus der Manon schlüpft, wenn es ihr beliebt. Dann ist sie ganz da, teilt grosszügig. Zum Beispiel mit Marina Abramović, mit der sie früh zusammenarbeitete. 2010 wird Letztere den Titel der Performance aufnehmen, mit der Manon 1977 ihre Kunstfigur auflöste: ‹The artist is present› dekonstruiert Weiblichkeit durch multiple Maskeraden – zur gleichen Zeit wie Cindy Sherman. Freiheit in der Geschlechtswahl, wie sie heute möglich ist, verdankt sich Kunstschaffenden, die sie am eigenen Leib vorführten. Mit der Serie ‹Elektrokardiogramm› setzt Manon Körper als Medium, Bild als Körper ein, präsentiert Geschlecht als Performanz, als Verführung – bis zur eigenen Annihilierung. Ein Krankenhausbett bezeugt ihren durch Drogen geführten Flirt mit dem Tod. Daneben, an einem Kleiderständer, hängt, verlassen, eines ihrer Glitzerkleider.

Until 
18.07.2021
Exhibitions/Newsticker Date Type City Country
Manon 09.05.2021 to 18.07.2021 Exhibition Paris
Frankreich
FR
Artist(s)
Manon
Author(s)
J. Emil Sennewald

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