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Schon 15 Jahre ist es her, seit der Prix Meret Oppenheim auf Initiative der Eidgenössischen Kunstkommission ins Leben gerufen wurde. Es geschah 2001 aus der Beobachtung heraus, dass es für die Generation der Kunstschaffenden über 40 kaum Fördermassnahmen gab. Die Auszeichnung sollte Exponenten der Schweizer Kunstszene, um die es nach einem fulminanten Start etwas stiller geworden war und deren Wiederentdeckung noch bevorstand, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Es liegt in der Natur der Sache, dass Preise und Auszeichnungen sich im Laufe der Zeit verändern und aufgrund anderer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen eine neue Ausrichtung bekommen. So hat sich der Prix Meret Oppenheim schon bald nach seiner Entstehung zur bedeutendsten Auszeichnung entwickelt, die der Bund an aussergewöhnliche Persönlichkeiten in den Bereichen Kunst und Architektur vergibt. Die Richtungskorrektur, die der Prix Meret Oppenheim in den letzten Jahren erfahren hat, hängt jedoch weniger mit einem veränderten Kunstumfeld zusammen als mit dem Wandel der Kulturpolitik des Bundes an sich. Mit der Schaffung von Preisen und Auszeichnungen in allen Kultursparten ging der Wille einher, ein System der Vergleichbarkeit zu schaffen und die Preise möglichst zu vereinheitlichen. So hat das Bundesamt für Kultur die Anzahl der Preisträger und Preisträgerinnen auf drei zu ehrende Persönlichkeiten pro Jahr festgelegt, was einer Auszeichnung pro Kategorie - Kunst, Kunstvermittlung und Architektur - gleichkommt. Um eine grössere Aufmerksamkeit seitens der Medien und der breiten Öffentlichkeit zu generieren, wurde die Würdigung ausserdem seit letztem Jahr in die Preisverleihung des Swiss Art Award in Basel integriert, wo die Prämierten in Form von filmischen Porträts nun auch in der Ausstellung präsent sind. Die Bezeichnung Prix Meret Oppenheim wurde bewusst beibehalten, auch wenn sie heute dem offiziellen Begriff Schweizer Grand Prix Kunst nachgestellt ist. Dies ist insofern von grosser Bedeutung, da die Eidgenössische Kunstkommission, welche die zu ehrenden Persönlichkeiten vorschlägt, dies auch heute noch aus der Perspektive tut, dass die Auszeichnung - ganz im Sinne der namensgebenden Künstlerin - eine Anerkennung starker, unabhängiger und eigenständiger Persönlichkeiten sein soll, die den Mut haben, eigene Wege zu gehen, auch wenn sie dafür grössere Umwege in Kauf nehmen müssen.

Für die diesjährige Preisträgerin Adelina von Fürstenberg hat Meret Oppenheim - wie für viele zuvor - eine besondere persönliche Bedeutung. In ihrem Interview mit Samuel Schellenberg erinnert sie sich an ihre erste Begegnung mit der Künstlerin, die der späteren Kuratorin - damals noch eine neugierige und leidenschaftliche junge Frau - zum Vorbild wurde. Adelina von Fürstenberg, eine Preisträgerin mit ausgeprägt internationaler Ausrichtung, hat ihre Rolle als Kuratorin immer wieder neu definiert und innovative Modelle im Umgang mit Kunst geschaffen. So leitet sie heute die nichtstaatliche Organisation ART for the World, die sie vor über 20 Jahren ins Leben gerufen hat und die den kulturellen Austausch und Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und Weltanschauungen mittels der Sprache der zeitgenössischen Kunst und des Filmes zu fördern sucht. Eine Grosszügigkeit im Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Künstlerinnen und Denkern prägte auch ihre Zeit als Direktorin des Magasin, Centre national d'art contemporain, in Grenoble, wo sie u.a. die Kuratorenschule École du Magasin leitete. In der Schweiz ist die engagierte und umtriebige Persönlichkeit den meisten als Gründerin und langjährige Direktorin des Centre d'Art Contemporain in Genf ein Begriff. Sie schuf damit zu einer Zeit, in der es in der Schweiz kaum Plattformen für zeitgenössische Kunst gab, eine Institution, die sowohl die Kunstszene vor Ort ins Licht rückte, als auch die interessantesten und aktuellsten internationalen Positionen nach Genf holte. Als sie 1985 mit Promenade am Ufer des Lac Léman als eine der Ersten ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum kuratierte, war darunter auch eine Installation von Meret Oppenheim - es sollte eine ihrer letzten Arbeiten sein.

Ausgezeichnet wird dieses Jahr auch der Künstler Christian Philipp Müller, dessen kon­text­gebundene und ortsspezifische Arbeiten seit Mitte der 1980er Jahre die Institutionen der Kunst, das Medium der Ausstellung, die Bedingungen der Kunst­pro­duktion und die Rolle des Künstlers untersuchen. Mit seinen performativen undinstallativen Arbeiten, die auf künstlerischen Recherchen gründen, gilt der präzise Kommentator des Kunstsystems als einer der wichtigsten Vertreter der Institutional Critique. Auch er, der in seinen früheren Arbeiten gern in diverse Rollen schlüpfte, etwa in die eines Museumsführers oder eines Kulturtouristen, nennt im Gespräch mit Philip Ursprung Meret Oppenheim als Künstlerin, die ihn besonders inspiriert hat. Er bewundere, wie sie sich immer wieder neu erfunden habe und immer wieder neue Wege der Selbstinszenierung in eigener Regie entdeckte. Obwohl Christian Philipp Müller einen Grossteil seiner Karriere im Ausland verbrachte, war das Kunstsystem der Schweiz mehrmals Gegenstand seiner Untersuchungen. 1999 wurde er beispiels­weise von der Eidgenössischen Kunstkommission beauftragt, ein Kunstprojekt für das 100-Jahr-Jubiläum des Eidgenössischen Wettbewerbs für freie Kunst zu schaffen. Entstanden ist daraus eine Schriftinstallation - in der Eingangshalle der Kunsthalle Zürich - mit Zitaten aus Gesprächen, die er mit Künstlerinnen und Künstlern, Kuratoren und Kuratorinnen, Galeristen und Galeristinnen sowie Kritikerinnen und Kritikern führte: alles andere als eine Selbstbeweihräucherung der Förderinstitution. Welche verborgenen Mechanismen der Schweizer Kunst­förderung würde der Künstler heute wohl ans Licht bringen, wenn er die aktuellen Fördermassnahmen des Bundes analysieren würde?

Als dritte herausragende Persönlichkeit wird der Architekt Martin Steinmann geehrt. Er ist nicht nur ein profunder Kenner der Schweizer Architektur, sondern hat deren Entwicklung durch seine Tätigkeit als Professor an der ETH Lausanne und als Autor einer Vielzahl von Publikationen wesentlich geprägt. Mit seinen Texten und Ausstellungen - wie beispielsweise Tendenzen - Neuere Architektur im Tessin (1975) - gab er der Architekturdebatte auch ausserhalb der Schweiz neue Impulse und veränderte das Nachdenken über Architektur nachhaltig. So war er beispielsweise als Redaktor der Zeitschrift archithese an der Aufarbeitung der Schweizer Moderne beteiligt. Im Interview mit Daniel Kurz beschreibt er diese als eine Vergangenheit, mit der sich arbeiten lässt, weil sie sich eng aus dem Bauen heraus entwickelt habe, aus einem Bewusstsein für das Material und die technischen Mittel; es sei eine Architektur, die nicht nur ihrer Form, sondern auch ihrem Wesen nach modern sei. Was Steinmann aber im Speziellen auszeichnet, ist die ihm eigene phänomenologische Herangehensweise an den Raum. «Es geht darum, zu verstehen, wie wir durch das, was wir sehen und hören, zu den Dingen, zur Welt in Beziehung treten», sagt er zu Daniel Kurz. So sind für ihn eigene, persönliche Erfahrungen durchaus etwas, worauf man im wissenschaftlichen Diskurs zurückgreifen darf. Ihn interessiert die unmittelbare Wirkung der Dinge, bevor sie mit einer bestimmten Bedeutung verbunden werden. «Das beschreibt ziemlich genau, was ich mit dem Schreiben versuche: zu verstehen, was man als Empfindung schon verstanden hat.» Wenn das nicht ein Weg der Erkenntnis ist, der Meret Oppenheim entsprochen hätte!

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