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«Der grosse Bruder, der Bruder, die Schwester, die kleine Schwester» ist der Titel des neuen Films von Lena Maria Thüring, der, wie bereits in der Filmarbeit «Das Haus» von 2008, den Vorgang des Erinnerns und das Nacherzählen einer Familiengeschichte aufnimmt. In einem Tonstudio
lesen vier ältere Schauspieler in den Rollen von Geschwistern jeweils deren individuelle Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit vor. Die Auf-
nahmesituation mit dem Mikrofon sowie die knappe, lakonische Sprache schaffen dabei eine Distanz zu den Erlebnissen der Personen. In wechselnden Perspektiven werden aus den vier Monologen Ereignisse miteinander verknüpft, welche die Abgründe einer gutbürgerlichen Familie aufdecken. Thüring untersucht im Film ein familiäres Verhältnis, das exemplarisch für die Generation unserer Grosseltern stehen könnte: Die gesellschaftliche Rolle von Frau und Mann als Mutter und Vater rückt genauso ins Zentrum wie diejenige der Kinder, die von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, Verantwortungsgefühlen, gegenseitiger Abhängigkeit und geschlechter-spezifischem Verhalten geprägt ist. Im Film wird durch den Akt des Sprechens das Tabu des Schweigens gebrochen, welches dieses labile Fami-liengefüge aufrechterhalten hat. Gleichzeitig reden aber auch die Geschwister nicht miteinander - vielmehr erhält der Betrachter selbst eine Rolle, in der er seine eigene Position und Interpretation zum Geschehenen finden muss. Simone Neuenschwander

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