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Ursula Badrutt: Über dich und deine Arbeit ist schon allerhand geschrieben ­worden, du hast viele Interviews gegeben. In diesem Gespräch aus Anlass des Prix Meret Oppenheim sollen weniger einzelne Arbeiten und Ausstellungen im Vordergrund stehen, sondern dein Denken im Umgang mit Kunst zur Sprache kommen. Worüber möchtest du in diesem Zusammenhang reden?

Roman Signer: Meine Kunst in Beziehung zur japanischen Kunst ist etwas sehr Zentrales - darüber hat vorher niemand nachgedacht. Kürzlich aber hat ein Student, Rolf Kurz, im Rahmen einer Semesterarbeit für das Höhere Lehramt in Sachsen-Anhalt genau diesen Aspekt untersucht. Das finde ich sehr interessant. Ich kannte die Kunst des Zen eigentlich nicht, als ich mit meiner Arbeit anfing. Ich weiss auch heute nicht viel darüber. Doch obwohl ich mich nie bewusst damit auseinander­gesetzt habe, gibt es Parallelen.

Der Philosoph Paul Good hat schon von dir als vom «Zen-Meister» gesprochen, ohne mögliche Gemeinsamkeiten weiter auszuführen. Wann ist dir selber diese innere Verwandtschaft zum ersten Mal aufgefallen?

Das war vor meinem ersten Besuch in Japan. Zu meinen frühesten Arbeiten gehören jene mit Sandkegeln: «Sandkubus» (1971), «Sandtreppe» oder «Querschnitt durch einen Sandkegel». Ich wusste nicht, dass es dies auch im Zen-Buddhismus gibt. Erstmals sah ich es dann ganz zufällig in den 1970er-Jahren im «Brückenbauer», der damaligen Migros-Zeitung. Dort waren Sandkegel in Zen-Gärten abgebildet. Das imponierte mir sehr, und zum ersten Mal verspürte ich den Wunsch, nach ­Japan zu reisen.

Wann und wie hast du diesen Wunsch umgesetzt, und hatte die Reise nach ­Japan Folgen für dein weiteres künstlerisches Tun?

1987, im Jahr, als ich auch an der documenta 8 in Kassel war, wurde ich zu einem Performance Art Festival nach Japan eingeladen, nach Yokohama. Das war für mich eine gute Gelegenheit, nach Japan zu gehen. Die Reise wurde zu einem Schlüsselerlebnis. Ich fühlte mich wie auf einem fremden Planeten. Während einer Woche machte ich meine Arbeit in Yokohama. Anschliessend reiste ich eine Woche auf ­eigene Faust herum. Ich wollte ganz in den Süden und kam auf die Insel Kyushu. Noch heute staune ich, wie ich dies geschafft habe; fast ganz ohne Englischkenntnisse, Japanisch verstand ich sowieso nicht. Es gelang mir mit Händen und Füssen; und irgendwie kam ich sogar wieder zurück. Mein Ziel war Kagoshima. Auf dieser Insel kam ich in einen Badeort und brauchte eine Unterkunft. Es hatte dort aber nur ein einziges Hotel und zuerst wollten sie mich partout nicht aufnehmen, denn es war nur für Japaner. Aber dann hatten sie wohl Mitleid mit mir. Ich bekam ein Zimmer und hatte eines der schönsten Erlebnisse meines Lebens. Es war ein traditionelles japanisches Ryokan-Hotel, ein Zimmer mit Tatami-Boden, diesen Matten aus Reisstroh. Das Zimmer war leer, aber sehr stimmig in den Proportionen. Eine Frau im Kimono kam und machte mir ein Bett in der Mitte des Raumes, ­bereitete ein Bad vor, Tee. Ich badete, zog danach den Kimono an, setzte mich mit dem Tee auf den Balkon, schaute den Sonnenuntergang und begann Haikus zu dichten. Dann schlief ich so gut wie nie zuvor. Als ich erwachte, fühlte ich mich ­befreit von allen Lasten, als könnte ich fliegen. Das war für mich ein wichtiges ­Erlebnis, ein direkt erfahrenes Gesamtkunstwerk. So etwas ist für mich Kunst. Nicht, dass ich diese ­Erfahrung gesucht hätte, ich wäre in jeder anderen Unterkunft abgestiegen. Es ist mir einfach geschehen.

Gibt es für dich direkte Folgen dieser Reise, dieses Erlebnisses?

Meiner Tochter Barbara, sie war damals etwa fünf Jahre alt, brachte ich japanisches Spielzeug mit und einen Kimono. Sie schätzte beides sehr, trug den Kimono gerne und spielte oft mit den Sachen. Ich glaube, ich habe sie angesteckt mit meiner ­Begeisterung. Ich hätte nie gedacht, dass ich eine so intensive Beziehung zu Japan bekommen würde. Unterdessen war ich vier Mal dort. Barbara machte bereits während der Kantonsschule ein Auslandjahr und ging nach Tokio, besuchte dort die Schule und lebte bei einer Gastfamilie. Sie war erst siebzehn, als sie für ein Jahr fortging. Vorher lernte sie ein wenig Japanisch. Ich besuchte sie. Später entschied sie sich für das Studium der Japanologie und konnte mit einem Stipendium nach ­Osaka. Auch dort besuchte ich sie. 2003 konnte ich aus Anlass einer weiteren Ausstellung in Tokio, in der Shiseido Gallery, erneut nach Japan reisen.

Zurück zu den Gemeinsamkeiten zwischen deiner Kunst und der japanischen Kultur: Ist es das Meditative, die Reduziertheit?

Ich glaube, ich verstehe die Japaner in der Kunst einfach gut - und umgekehrt. Sie sind mir viel näher als die Chinesen. Näher auch als vieles, was ich hier in Europa an Kunst sehe. Die Einfachheit behagt mir. Die Chinesen sind viel opulenter. ­Möglicherweise hängt meine Nähe zu japanischer Kunst damit zusammen, dass ich ­meine Arbeiten einfach mache. Es geschieht etwas und dann ist es fertig, es gibt nichts zu korrigieren und herumzubüscheln. Das haben wir gemeinsam, meine ­Aktionen und die Zen-Kunst: Man kann nicht korrigieren, es ist, wie es ist. Gleichzeitig liegt dort aber auch ein grundlegender Unterschied. Meine Beziehung zu ­einem Sandkegel, wie er bei mir entsteht, ist nämlich eine andere als die Beziehung zu einem Sandkegel im Zen-Buddhismus. Zum einen nehmen sie im Zen nicht ­eigentlich Sand, sondern feinen Kies; vor allem aber rechen sie den Kies zu Kegeln auf, sie formen sie. Mich fasziniert aber am Sandkegel, dass sich die Form des ­Kegels selber bildet, indem ich Sand zum Beispiel durch ein Loch in einem Kessel oder in der Decke rieseln lasse; das genügt, damit ein Werk entsteht. Der Kegel baut sich selber auf, ich muss nichts weiter tun. Das ist mir wichtig, dass bei mir die Natur die Formen macht. Ich gestalte nicht, ich überlasse alles der Natur.

Das Resultat ist aber das gleiche, ob du rechelst oder ob du rieseln lässt, die physikalischen Gesetze sind dieselben bestimmenden Kräfte.

Es ist nur fast dasselbe. Bei mir schaffen die Naturkräfte das Werk, sie haben das letzte Wort, ich lege nur die Parameter fest. Mit feinem Kies gibt es den steileren Kegel. Je grobkörniger das Material ist, desto steiler ist die Böschung, je feiner der Sand, umso flacher wird der Kegel. Solche Sachen interessieren mich. Denn aus dem unterschiedlichen Material gibt es unterschiedliche Skulpturen. Dazu kommt mir eine Arbeit in den Sinn, die hier nie recht verstanden wurde: «Zwei Naturformen» heisst sie, von 1977. Zwischen zwei Pfosten aus Eisen hängt ein Seil in ­einem Bogen. Über das durchhängende Seil habe ich Sand rieseln lassen. Das Seil versinkt an seinem tiefsten Punkt im Sand. Es sind zwei Naturformen, die sich durchdringen, denn sowohl die Form des Seils als auch diejenige des Kegels ent­stehen durch die Schwerkraft. Das ist eine Arbeit, die die Japaner gut verstehen. Auch als ich in Venedig 1999 den Schweizer Pavillon bespielte, meinten viele, die Arbeit mit den Kugeln sei von einem Japaner. Je drei Kilogramm schwere Eisenkugeln habe ich im Schweizer Pavillon an dünnen Nylonfäden aufgehängt. Über eine elektrische Zündung fielen alle 117 Kugeln gleichzeitig herunter in die genau darunter liegenden, feuchten Tonklötze. Viele Jahre vorher hatte ich schon etwas Ähnliches gemacht, gleich nach meiner Rückkehr aus Warschau 1972 - vielleicht war «Selbstbildnis aus Gewicht und Fallhöhe» sogar die erste Arbeit nach meiner Rückkehr. Ich habe eine Platte aus feuchtem Ton angefertigt und bin aus 45 Zen­timeter Höhe mit meinem damaligen Gewicht von 64 Kilogramm hineingesprungen. Es gibt auch die Arbeit «Erinnerung», die ich 1973 in der Galerie Lock in St.Gallen gemacht habe und die ähnlich entstanden ist: Ich liess einen Stein, den ich im Fluss, in der Sitter, gefunden hatte, von einem Eisengestell hinunter in eine Tonplatte fallen. Es entstand ein Abdruck. Den Stein legte ich zurück auf das Eisengestell.

Ich sehe gerade in der engen Beziehung zur Natur den Grund dafür, dass du dich Japan so nahe fühlst.

Es gibt Verwandtschaften im Denken. Es ist mir wichtig, zu betonen, dass nicht ich es bin, der die Arbeiten ausführt. Dahinter steckt bei mir aber keine Religion. Die Gegenstände machen es zusammen mit den Naturgesetzen. So kommen sie zu sich selbst, sie haben eine eigene Kraft, jenseits ihrer sonstigen Aufgabe. Es gibt eine japanische Künstlergruppe, sie heisst «Gutai», die an der Biennale in Venedig wiederentdeckt wurde. Sie sind mir bereits 1989 in Venedig aufgefallen und ich ­kaufte mir sogar einen Katalog. In dieser Gruppe, die 1954 gegründet wurde, hätte ich mich wohlgefühlt; dort hätte ich gerne mitgemacht. Sie arbeiten auch mit Rauch, mit Feuer, mit Elementen, die mir sehr vertraut sind. Ich wäre aufgeblüht in dieser Gruppe.

Du hast dich nach einem Kollektiv umgesehen? Hat es dich interessiert, in einer Gruppe zu arbeiten? Und kannst du dir das heute noch vorstellen?

In St.Gallen fand ich kaum Gleichgesinnte. Ich war allein und fühlte mich oft auch einsam. Mit Bernard Tagwerker habe ich ein paar Mal zusammengearbeitet, nicht als Duo, einfach so, das war gut. Eine wichtige gemeinsame Arbeit ist die Säntis­linie von 1975: Mit Hilfe von Ballonen haben wir auf dem Bodensee die Silhouette des Säntis nachgebildet. Aber Bernard Tagwerker verfolgte eine andere Richtung. Ich hätte damals wirklich Lust gehabt, in einem Kollektiv zu arbeiten. Ob das dann gut gekommen wäre, weiss ich nicht. Aber ich war sehr motiviert, Anschluss zu finden. Es war auch allgemein die Zeit der Kollektive. Mich reizte es jedenfalls. Aber es klappte nicht. So bin ich allein weitergegangen.

Und heute?

Heute bin ich nicht mehr an Kollaborationen interessiert. Eine Wende gab es, als Bernard Tagwerker nach Amerika auswanderte. Damals kam ich mir ziemlich ­alleine und erfolglos vor, denn er hatte es geschafft, nach New York zu gehen, während ich einfach hier blieb. Ich besuchte ihn und war tief beeindruckt vom Leben dort, und dass die ganze Zeit die Ambulanz herumfuhr und die Feuerwehr. Ein kleines Räuchlein irgendwo und schon rücken sie aus. Das war für mich ein Kulturschock. Und als ich wieder in Appenzell war, kam gleich der nächste Kulturschock, weil es dort so ruhig ist.

Dann hast du dir das Dasein als Einzelkünstler gar nicht ausgesucht, dich nicht aktiv dafür entschieden?

Eigentlich habe ich immer ein wenig darunter gelitten, dass ich so alleine bin. Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich in die Natur ging. Ich konnte nicht immer nur einsam und allein im Atelier hocken, da wäre ich kaputtgegangen. Hin und wieder im Atelier zeichnen, Objekte machen, ist schon gut. Aber ich muss hinaus in die Natur. Ich erinnere mich noch gut an das erste Objekt, das ich draussen ­machte: «Horizont». Das war im Weissbad bei Appenzell, ganz hinten, am «End de Wölt», wie es dort heisst. Ich habe einen Plexiglasbehälter am Hang befestigt und mit Flusswasser gefüllt. So entstand eine imaginäre Hochwasserlinie. In die ­Natur zu gehen, tut gut. Hinzu kommt, dass ich bei den Arbeiten im Freien, die oft grössere Dimensionen haben, auf die Hilfe von Kollegen angewiesen bin. Es war für mich immer wichtig, Kontakte zu haben. Im Laufe der Jahre habe ich mich zwar daran gewöhnt, alleine zu arbeiten. Das heisst aber nicht, dass ich mich nicht für das, was andere machen, interessiere.

Welche Richtungen haben dich in den verschiedenen Kunstszenen interessiert?

Von den «Nouveaux Réalistes» in Paris hörte ich schon früh: Tinguely, Yves Klein, das war eine lockere Gruppe, in der nicht jeder für sich grübelte, sie tauschten sich aus. Yves Klein arbeitete mit Feuer, mit Ballonen, mit der Schwerkraft, mit der Leere. Das faszinierte mich. Tinguely holte sich bei den «Nouveaux Réalistes» für seine kinetische Kunst Inspirationen. Natürlich bin ich ein Kind meiner Zeit, aber ich fühle mich nirgends zugehörig. Dennoch ist geistiger Austausch wesentlich. Wenn man einen Menschen in einen Raum einschliesst, passiert nichts mehr, dann sterben die Ideen ab. Auch für einen Künstler wie Alberto Giacometti war der Austausch sehr wichtig. Sein Kontakt mit den Surrealisten oder mit Sartre führte ihn zu neuen Dimensionen. Wäre er immer im Bergell oder in Chur geblieben, würde seine Kunst anders aussehen; er hätte vielleicht sein Leben lang kubistisch gearbeitet. Er ging aber nach Paris - ohne seine Wurzeln zu verlieren. Auch Alberto Giacometti fand seine Inspiration in der Natur. Die Natur erhielt ihn am Leben. Das ist bei mir genauso. Viel mehr als die technisch hoch aufwändigen Wasserfälle von Olafur Eliasson in New York, imponiert mir der Leuenfall im Tal hinten in ­Appenzell.

Wie erklärst du dir eigentlich das Unverständnis gegenüber einzelnen deiner ­Arbeiten, das bis zu Anfeindungen und Drohungen anwachsen kann?

Ich bin nicht eigentlich ein politischer Künstler, aber manchmal kann es, ohne dass ich dies suche, ins Politische gehen, können heikle Punkt angesprochen werden. Ich denke an die Geschichte in Samnaun mit dem «Schnapstor». Auch das Fass in St.Gallen liess viele Leute Amok laufen. «Raum für einen Fluss» konnte aus kulturpolitischen Gründen nie realisiert werden; dasselbe gilt für «Windraum» auf
der Ebenalp. Ich verstehe das nicht wirklich, aber ich merke, dass die Zivilisation nur eine dünne Kruste ist. Auch bei der «Aktion mit einer Zündschnur» kochte die Volksseele.
Lange hat man mich auch einfach falsch eingeschätzt, mich als Sprengkünstler und «Klöpfer» bezeichnet. Darum geht es gar nicht. Ich mache viele stille Arbeiten. Aber manchmal habe ich einfach Lust auf eine Sprengung. Das tut mir und meiner Psyche gut. Meine erste «Sprengung» war «Kraft des Regens» 1974. Eine Auffangfolie war über einen Plastikschlauch mit einem im Gelände tiefer liegenden Ballon verbunden, der in einem Gipswürfel eingegossen war. Ich liess alles so in der Natur zurück. Es regnete, und als ich nach ein paar Tagen wieder kam, hatte der Ballon den Gips aufgesprengt, ohne Sprengstoff.
Es geht mir aber nie um Destruktion, nicht das Zerstören interessiert mich, sondern die Veränderung von Zuständen. Aus einer Sprengung, aus jeder Veränderung entsteht etwas Neues.

Vielleicht haben die Reaktionen damit zu tun.

Vielleicht.

Du bist in einer Musikerfamilie aufgewachsen, also nicht ganz kulturfremd, und in vielen deiner Arbeiten spielt der Ton eine bestimmende Rolle. Nach einer abgebrochenen Lehre als Radiomonteur hast du aber eine Lehre als Bau­zeichner gemacht und bist relativ spät zur Kunst gekommen. Gab es eine ­Initialzündung, ein Erlebnis, etwas, das den Wunsch weckte, Künstler zu werden, das dich weiter trieb?

Ich war nicht glücklich im Beruf. Ich arbeitete als Bauzeichner in Frankreich und wurde schwer krank, so dass ich etwa ein halbes Jahr nicht mehr arbeiten konnte. Das war 1966. Da musste ich mir eingestehen, dass ich etwas Grundlegendes in meinem Leben ändern musste. Ich dachte an Architektur, das interessierte mich schon immer. Oder Modellbau. Für ein Architekturstudium fehlte mir die Schulbildung, ich habe ja keine Matura gemacht. Eigentlich bin ich über die Architektur zur Skulptur gekommen; meine Arbeit als Künstler war immer dreidimensional, die eines Bildhauers. Etwa zu diesem Zeitpunkt ergab sich die Möglichkeit, an der ETH in Zürich als Assistent bei Modellversuchen zu helfen. Damit habe ich mir das Geld für die Semester in der Bildhauerklasse in Luzern verdienen können.

Du bist zwar viel gereist, aber du hast mit wenigen Ausnahmen immer in der Ostschweiz gelebt. Hat es dich nie fortgezogen, nach Berlin, New York?

1971/72 war ich in Warschau, gleich anschliessend bekam ich zum ersten Mal ein Bundesstipendium, 8000 Franken waren es damals. Meine Mutter meinte, es wäre gut für mich, wenn ich mit diesem Geld eine Akademie im Ausland besuchen ­würde. Nach Warschau hatte ich den Kopf aber voller Ideen und wollte als freier Künstler arbeiten und das Geld vom Bund in den Bau von Objekten stecken. Ich dachte schon gelegentlich daran, St.Gallen zu verlassen, nach Zürich, Genf, ins Ausland zu gehen. Ich wurde ja zu Hause auch immer ziemlich angefeindet, wurde als Spinner bezeichnet, beschimpft. Das verletzte mich, das kann ich bis heute nicht vergessen. Aber nachdem ich die Natur als guten Arbeitsort, als Inspirationsquelle und Materiallieferantin für mich entdeckt hatte, musste ich annehmen, dass die ideale Arbeitssituation für mich hier ist. Zudem ist mir das Mikroklima wichtig. Und ­ausser der Natur war auch die Infrastruktur in St.Gallen sehr gut, besser als jetzt.

Das Kunstmuseum war aber geschlossen und auch sonst herrschte nicht ­gerade kulturelle Hochsaison.

Ich meine alle die Geschäfte mit technischen Artikeln. Das ist für mich die Infrastruktur, ich brauche Baumaterialien, Handwerkergeschäfte, die Metallschlosserei, Orte, wo ich Schläuche, Gummiseile und solche Sachen kaufen, Gestelle herstellen kann.

Du hast auch Anfragen von verschiedenen Kunsthochschulen und Kunst­akademien für eine Tätigkeit als Dozent stets abgelehnt. Interessiert dich das Vermitteln nicht?

Früher lehrte ich an der Schule für Gestaltung in Luzern, dort, wo ich selber drei Semester Kunst studiert hatte; 21 Jahre lang, zum Geldverdienen. Aber eigentlich gehe ich nicht gerne zur Schule, weder als Schüler noch als Lehrer. Mit meinen Studentinnen und Studenten in Luzern redete ich über Gott und die Welt, nicht nur über Kunst. Auch als Stipendiat in Warschau war ich selten an der Akademie. Ich wanderte und reiste viel durch das Land. Ich hätte damals viel mehr fotografieren sollen. Für mich war die eigentliche Akademie die Strasse. Mein Professor dort war Oskar Hansen, ein Urbanist mit klaren Theorien. Aber seine Theorien waren mir fremd. So machte ich meine Sache allein, etwa das «Projekt Warschau» mit den weissen und schwarzen Ballonen vor dem Kulturpalast. Ich stellte mir meine Aufgaben selber, zeichnete. Pjotr Kowalski, der damals als Assistent an der Akademie arbeitete, kam hin und wieder vorbei; er war der erste, der meine Zeichnungen ­lobte. Zeichnen tat ich aber mehr zu Hause. Polen war für mich eine sehr wichtige Zeit, obwohl ich nichts verstand. Erst als ich Aleksandra, meiner Frau, begegnete, lernte ich Polnisch; das war aber ganz zum Schluss.
Dozieren, Workshops leiten, auch ein Dasein als Artist-in-Residence liegt mir nicht. Mich reut die Zeit. Ich mache lieber etwas für mich. Zudem ist mir wichtig, dass ich einfach auch mal einen Monat weggehen kann. Ich muss reisen können. Das ist ganz zentral. Wenn ich irgendwo auf der Welt eine Ausstellung habe, nutze ich immer die Gelegenheit zum Reisen, mich umzusehen. Mich interessiert, wie die Leute leben, wie sie sich beschäftigen. Das ist immer sehr befruchtend. Ich schaue mir auch gerne kleine Museen an, Volkskunst interessiert mich mehr als Millionenkunst; zum Beispiel das Bedürfnis, nach einem Unfall Kreuze und Altäre am Stras­senrand aufzubauen. Ich habe schon Fotografien aus der Ukraine hiervon in einer Ausstellung gezeigt, 2008, im Bonnefanten-Museum in Maastrich. Reisen, die Augen offenhalten, das ist wichtiger als alle Kunsttheorie und akademische ­Bildung. Die Welt ist unendlich reich.

Trifft deine Abneigung gegenüber theoretischem Überbau auch auf deine ­eigene Arbeit zu. Lehnst du Analysen und Interpretationen ab?

Ich muss meine Arbeit nicht erklären oder analysieren, keine Theorien darum ­herum bilden. Das sollen, wenn schon, andere machen. Man kann schauen und ­darüber nachdenken. Das sollte reichen. Es geht mir nicht darum, komplizierte ­Geschichten zu entwickeln oder gar zu belehren. Die Arbeiten stehen für sich selbst. Kürzlich hätte ich im Rahmen einer Aktion in Hannover, «Hubschrauber mit ­Kajak», und einer Ausstellung mit dazugehörenden Skizzen im Sprengel Museum an einer Podiumsdiskussion teilnehmen sollen. Ich habe dann so viel Wein getrunken, dass sie ganz froh waren, dass ich mit meiner geröteten Nase an der ­Diskussion nicht mitgemacht habe. Körpersprache wird eben besser verstanden.

Mir scheint, dass du die Arbeiten in erster Linie für dich selber machst, nicht für andere, nicht für ein Publikum. Das gibt ihnen auch eine besondere ­Intensität, eine Konzentration, die an Selbstvergessenheit erinnert, vielleicht auch an Art Brut. Spielt es für dich überhaupt eine Rolle, ob jemand ­zuschaut oder nicht?

Ich mache die Arbeiten für mich, das stimmt. Mich interessiert der Entstehungsprozess, der reale Vorgang. Ich muss auch nicht alles bis in alle Details berechnen. Die Skizzen und Modelle genügen mir. Eine Arbeit gelingt oder gelingt nicht. Das ist eigentlich dasselbe. Bis 1980 waren es auch ausschliesslich Ereignisse, die ohne Publikum stattgefunden haben; Aktionen mit Publikum gab es erst später. Ich ­mache eine Arbeit nicht anders, wenn Leute dabei sind. Eine Aktion vor Publikum zu machen, kostet mich allerdings enorm viel Kraft, es braucht etwa gleich viele Energien wie eine ganze Ausstellung zu planen und einzurichten. Im Idealfall entsteht aus einem Ereignis eine Ausstellung, wie im Kunstraum Dornbirn mit der Installation «Unfall als Skulptur».

Du bist sehr gefragt und hast zeitweilig vor lauter Ausstellungen kaum mehr Zeit für die eigentliche Arbeit. Könntest du dir denn vorstellen, vermehrt mit Angestellten zu arbeiten?

Nein. Wir sind ein bescheidener Familienbetrieb, und das soll so bleiben; mein ­Neffe, mein Schwiegervater, Aleksandra und je nach Arbeit Spezialisten für die Technik. Die Vorstellung, ein Atelier mit 40 Assistenten zu leiten, ist für mich eine Horrorvision. So etwas würde mich niemals befriedigen. Ich möchte jede Arbeit selber machen. Ich will kein Grossunternehmer sein und Aufträge erteilen, sondern lieber Kunstpartisan bleiben. Wenn es mir zu viel wird, mache ich lieber weniger. Und wenn ich eines Tages keine Ideen mehr habe, höre ich auf. Bis jetzt merke ich nichts davon.

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