Live-Momente - Der Umgang mit Performance in der Kunst
Der Swiss Performance Index steigt: Gleich drei Ausstellungen in Glarus und Zürich zeigen Ausformungen des Performativen. Besonders die Herausforderung der Verewigung des Live-Moments - in anderen Medien als dem Klassiker Video - treibt Künstler und Künstlerinnen um. Ausdruck eines wachsenden Analogiebedürfnisses?
Live-Momente - Der Umgang mit Performance in der Kunst
Pornografie, wie sie höchstens Existenzialisten anzuturnen vermag: Die Videoarbeit «Guysgocrazy», 2007, des Zyprioten Christodoulos Panayiotou (*1978) klammert die sexuelle Performance eiskalt aus. Sie zeigt stattdessen einen menschenleeren Raum mit billiger Discobeleuchtung, in dem bald eine Orgie stattfinden wird, die dann auf einer Website zu sehen ist. Auf einem anderen Monitor schweift die Kamera über die postkoitale Version desselben Raumes und bleibt an gebrauchten Kondomen hängen. Die in der Kunsthalle Zürich gezeigte Arbeit beschäftigt sich einerseits mit der seltsamen zeitlichen Ökonomie von Pornografie, in der es schnell zur Sache geht und Vergangenheit und Zukunft den Spass nicht verderben dürfen. Sie verhandelt andererseits auch die Gepflogenheiten des Dokumentierens von performativen Handlungen.
Damit ordnen sich diese Arbeit und die Ausstellung von Panayiotou in eine Reihe von aktuellen Projekten ein, die sich mit performativen Aspekten zeitgenössischer Kunst und den Möglichkeiten ihrer Dokumentation beschäftigen. Die auch im Kunsthaus Glarus und im migros museum für gegenwartskunst diagnostizierte neuerliche Konzentration von Künstlern auf die Möglichkeiten der Performance könnte dabei mit einer Nostalgie für den ungefilterten Live-Moment zusammenhängen, der in unserer mehrfach digital und medial gefilterten Wirklichkeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Skepsis gegenüber oder - wie im Fall von Panayiotou - der ironische Umgang mit der Aufbereitung per Video, die sich in der Suche nach alternativen, auch objekthaften Verewigungsformen des performativen Moments äussert, spricht dabei ebenfalls für ein wachsendes Analogiebedürfnis: Der Wunsch nach direkt erleb- und greifbaren, analogen Ausformungen von performativen Gesten statt hastiger Verdigitalisierung und Veröffentlichung - eines der Grundprinzipien des Web 2.0.
Der Sprung ins Museum
Der Beitrag der experimentellen New Yorker Filmerin Babette Mangolte zur Ausstellung «While Bodies Get Mirrored - an Exhibition about Movement, Formalism and Space» im migros museum für gegenwartskunst jedenfalls zeigt, dass die Frage nach den Möglichkeiten der Dokumentation von Performances - und die Legitimität solcher Einfangversuche - fast so alt ist wie die Performance selbst. Ohne ihre bekannten Fotografien von Trisha Browns «Roof Piece», 1973, einem Tanzstück, bei dem Brown Bewegungen an weitere Tänzer/innen auf anderen New Yorker Dächern weitergab, fehlte eine wichtige Erinnerungsstütze an die Arbeit. Die Fotografien transportieren aber zugleich ihre eigene Unzulänglichkeit, indem sie primär bewusst machen, wie magisch das Live-Erlebnis gewesen sein muss. Bei der Amerikanerin Maya Deren (1917-1961), neben Mangolte die zweite zeitlich weiter zurückliegende Position der von Raphael Gygax und Heike Munder zusammengestellten Schau, gehen Performance und ihre Dokumentation noch eine symbiotische Verbindung ein: Die beiden Schlüsselmomente in ihrem Film «A Study in Choreography for Camera», 1945, - ein Tänzer springt aus der freien Natur in einen Ausstellungsraum und dann wieder zurück - werden erst durch den Filmschnitt möglich.
Mai-Thu Perret (*1976) erlaubt im Gegensatz dazu ihren Protagonisten keinerlei schnelle Sprünge aus dem Ausstellungsraum: Sie setzt stattdessen ihre langjährige Beschäftigung mit einer fiktiven Frauenkommune in der Wüste New Mexicos auf einer fast stereotypen Bühne live fort.
Die Performatierung von Objekten
Auf die Intensität eines Live-Erlebnisses setzt auch der Mexikaner Martin Soto Climent (*1977), wenn er zur Eröffnung die von den Besucherinnen und Besuchern geleerten Bierdosen als skulpturale Erinnerung an deren Präsenz anordnet. Auch bei einer Arbeit wie «Tumbleweed», 2009, dienen ihm Objekte - statt Film oder Fotografie - als Speichermedien für Bewegung: Er performatiert quasi Jalousien, indem er sie gemäss einer geschwungenen Choreographie hängt. Und dass selbst Malewitschs schwarzes Quadrat nicht sicher ist vor einer retrospektiven Performatierung zeigt eine Arbeit der jungen Polin Anna Molska (*1983): In ihrem Video «Tanagram», 2006/2007, schieben zwei seltsam halbnackte Uniformierte riesige Tangram-Elemente umher, bis daraus das Quadrat entsteht.
Mit dem Bewusstsein, dass Gegenstände ebenso als performative Speicher dienen können wie Film oder Foto, hätten Soto Climent und Molska durchaus auch in die Ausstellung «Performative Attitudes» im Kunsthaus Glarus gepasst. Die von Alexandra Blättler und Sabine Rusterholz kuratierte Schau enthält beispielsweise verschiedene Installationen, in die sehr viel Performance reingesteckt wurde: Florian Germanns (*1978) Arbeit «Austerlitz I» etwa, ein im Deckengebälk des Oberlichtssaals hängendes Renault-Heck, das durch ein Gewicht jäh auseinandergezogen wird - wie eine Auster halt. Das kommt im äusserst assoziativen Werkkomplex des Schweizer Künstlers nicht von ungefähr: Statt sich wie in früheren Arbeiten mit der Abwehr von Werwölfen zu beschäftigen, versucht er momentan, Austern zu züchten. Insofern ist der Renault so etwas wie das überdimensionale Logo für seine Ateliertätigkeit und hat nicht nur vergangene, sondern auch zukünftige Performance in sich angelegt.
Tanzendes Fensterchen
Dasselbe gilt für Stefan Burgers (*1977) Arbeit «Auf/Zu», seinem ganz eigenen «Roof Piece» - nur dass hier nicht ein Tänzer, sondern ein Klappfenster agiert: Auf Postkarten des Kunsthaus Glarus hat Burger entdeckt, dass ein Fensterchen im Dach je nach Fotografie einmal geöffnet ist, einmal nicht. Er hat nun einen Mechanismus in den Ausstellungsraum gezogen, mit dem Besucher das Fensterchen nach Belieben auf- oder zumachen - und so gewissermassen die Fotografien live nachspielen können. Nicht nur in derartigen Do-it-yourself-Arbeiten werden Protagonisten des Museumsbetriebs aktiviert: Die Däninnen Nina Beier und Marie Lund (*1975/1976) etwa haben das Aufsichtspersonal angehalten, die Angaben zu jenen Werken auswendig zu lernen, welche die Kuratorinnen nicht in die Ausstellung aufnehmen konnten. Die Aufsichtspersonen werden quasi zum wandelnden schlechten Gewissen der Schau. Während die migros-Ausstellung durch historische Verortung die Legitimität von Video- oder sonstiger Dokumentation im Gegensatz zu live erlebter Aufführung in Frage stellt oder den Status eines ausgestellten Überbleibsels einer Performance thematisiert, scheren sich die Künstler der Glarner Schau weniger um Konventionen der Repräsentation. Diese Offenheit macht die Schau inspirierend unberechenbar, führt aber auch dazu, dass der Begriff «performativ» stark strapaziert wird. Wie sich bei Anna Molskas Arbeit gezeigt hat, steckt auch in einem so simplen Ding wie einem schwarzen Quadrat einiges an performativer Arbeit. Aber kann dann nicht sämtliche künstlerische Tätigkeit automatisch als performativ qualifiziert werden?
Während man in Zürich eine Tendenz zur Rückbesinnung auf die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts feststellt - ganz explizit wird das bei Molskas Rückbezug aufs schwarze Quadrat -, manifestieren sich diese Nostalgisierungstendenzen in Glarus vor allem in technisch-formaler Hinsicht: direkte Gespräche statt filmische Aufzeichnung; greifbare skulpturale Objekte statt abstrakte Podcasts.
Form und Performance
Dazwischen stehen die Arbeiten von Christodoulos Panayiotou, weil er zwar das Medium Video verwendet, aber bei seiner Pornografie-Arbeit genau den relevanten, performativen Teil entfernt. Weil er zwar eine Fotografie eines in den Fels gehauenen Sitzplatzes der Schauspielerin Sarah Bernhardt auf einer Insel in der Bretagne ausstellt - und nicht etwa den effektiven Stein -, damit aber einen ähnlich performativen Gegenstand in Betracht zieht wie einige Künstler der Glarner Schau.
Natürlich wäre es ein Leichtes, das fehlende Stück des Pornos auf der entsprechenden Website anzuschauen, deren Adresse in «Guysgocrazy» gross auf die Wände geschrieben steht. Doch damit führte uns Panayiotou in die neue Generation des interaktiven Web 2.0, das auf persönliche Performance regelrecht angelegt ist, aber auch in einen performativen Supergau ausartet. Wenn man bedenkt, welches Analogiebedürfnis sich bei zahlreichen Künstlern im Kunsthaus Glarus und im migros museum manifestiert, wird klar, dass wir damit zumindest in einer äusserst kritischen Problemzone landen. YouTube-Discos gibt es ja schon. Brauchen wir wirklich auch noch YouTube-Ausstellungen?
"Performative Attitudes", Kunsthaus Glarus, bis 2.5.
Christodoulos Panayiotou, Kunsthalle Zuerich, bis 25.4.
Institutionen | Country | City |
---|---|---|
Kunsthalle Zürich | Switzerland | Zürich |
Kunsthaus Glarus | Switzerland | Glarus |
Migros Museum für Gegenwartskunst | Switzerland | Zürich |
Nina Beier | |
Stefan Burger | |
Maya Deren | |
Marie Lund | |
Anna Molska | |
Christodoulos Panayiotou | |
Mai-Thu Perret | |
Show more |
Daniel Morgenthaler | |
Show more |