‹Science & Fiction›

Lutz/Guggisberg · Flugbert Stalder: Das grosse Buch der Strunke, Knorze und Waldknochen, 2011, Inkjetprint auf Papier, Sperrholz, 26,7 x 20,4 x 4 cm. © ProLitteris

Lutz/Guggisberg · Flugbert Stalder: Das grosse Buch der Strunke, Knorze und Waldknochen, 2011, Inkjetprint auf Papier, Sperrholz, 26,7 x 20,4 x 4 cm. © ProLitteris

Besprechung

Eine Gruppenausstellung, die jüngere mit bereits historischen künstlerischen Positionen kombiniert, reflektiert im ehemals pluridisziplinären Kunstmuseum Solothurn unter dem Label ‹Science & Fiction› die zeitgeistige Thematik des Dialogs von Kunst und Wissenschaft.

‹Science & Fiction›

Dass just das Kunstmuseum Solothurn sich dem Thema der Durchdringung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und künstlerischen Produktionsformen widmet, liegt irgendwie auf der Hand, wurde doch das Gebäude 1902 als «Museum der Kunst und Wissenschaften» eröffnet. Und so sind nun in diesem ehemals pluridisziplinären Haus unter dem Titelmotto ‹Science & Fiction› Werke von zwölf Künstlern und Künstlerpaaren ausgestellt, deren Arbeitsprozesse zumindest teilweise wissenschaftlichem Vorgehen entsprechen - sei es vom (manchmal augenzwinkernden) Anspruch auf Wissenschaftlichkeit motiviert oder aber in der Absicht, das konstruktive Moment der Wissenschaft in den Vordergrund zu rücken. Ersterer Tendenz verpflichtet sind jene Künstler, die über ein empirisches Prozedere einzelne Gegenstände oder Situationen zu erfassen und sichtbar zu machen versuchen, oftmals unter explizitem Miteinbezug ihres Publikums. In Solothurn findet sich dies exemplarisch bei Christian Ratti, der sogar mit einem eigenen Disziplinen-Begriff aufwartet: der «Dolologie», der Wissenschaft von den Dolendeckeln.
Die Gefahr, dass vor lauter Konzepten die Kunst verschwindet, besteht in der Solothurner Gruppenschau keineswegs; und doch ist es so, dass gerade die Arbeiten überzeugen, in denen die forscherische Praxis und Intention eher vage bleibt. Dazu gehören die Beiträge von Mario Merz, Rolf Winnewisser, Miriam Sturzenegger oder Lutz & Guggisberg. Das stärkste Werk ist indes wohl Ingrid Wildi Merinos ‹Portrait Oblique›, das 2005 in anderer Form bereits an der Biennale Venedig gezeigt wurde. Das filmische Porträt in der Tradition des semi-dokumentarischen, semi-fiktiven Videoessays berührt durch die gebündelte Kraft von Bild und Wort, durch die subtile Verschränkung dieser beiden so diversen sinnlichen «Datenbündel».
Die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und Begriffe ist in der künstlerischen Ausbildung mittlerweile gang und gäbe - dies zumindest legt ein Blick in die Studienprogramme der entsprechenden Hochschulen nahe. Manche mögen dies als Etikettenschwindel taxieren oder in dieser Tendenz gar eine Preisgabe wissenschaftlicher Standards sehen. Einen hohen Stellenwert hat der Wissenschaftsdiskurs in den Bildenden Künsten der Gegenwart allemal. ‹Science & Fiction› und die gelungene, vielseitige Ausstellungspublikation legen davon Zeugnis ab.

Until 
05.11.2011

‹Science & Fiction. Künstlerische Praxis im Dialog mit den Wissenschaften›, Kunstmuseum Solothurn (Hg.), edition fink, Verlag für zeitgenössische Kunst, Zürich 2011

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