Kunst und Bau - Schulhauskunst und Spielskulptur
Der amerikanische Architekturkritiker G.E. Kidder-Smith lobte 1950 in ‹Switzerland Builds› wohlwollend die Schweizer Tradition, öffentliche Gebäude und besonders Schulen mit Kunst zu schmücken. Erst ab den Sechzigerjahren jedoch begannen sich Kunstschaffende mit den Bedürfnissen von Kindern zu befassen - und holten die Kunst vom Sockel.
Kunst und Bau - Schulhauskunst und Spielskulptur
«Schulhauskunst» hat in der Schweiz eine lange Tradition. Wandreliefs, Skulpturen, Mosaike und Brunnen veredeln Schulhäuser landein, landaus und über die Sprachgrenzen hinweg. Der künstlerische Schmuck diente der Dekoration, der ästhetischen Erziehung, dem Vermitteln von bürgerlichen Wertvorstellungen und demokratischen Prinzipien. Die Nachricht der Werke richtete sich freilich mehr an Erwachsene, an die Unterrichtenden und Eltern, denn oft waren die Dimensionen dem Kind nicht angepasst: Es musste hinaufschauen und ehrfürchtig staunen - wenn es die Kunst denn überhaupt wahrnahm.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Schulhäuser nicht mehr primär als repräsentative Bauten erstellt, sondern sollten sich, den Ansprüchen der Reformpädagogik gemäss, dem Licht, der Luft und der Sonne öffnen. Das kindliche Spiel als schöpferisches Moment erhielt einen immer grösseren Stellenwert; die Idee, dass Kreativität wichtig ist, nicht Autorität und blinder Respekt, fand immer mehr Akzeptanz. Erst vereinzelt und ab den Sechzigerjahren immer ausgeprägter stellte sich der künstlerische Schmuck nun in den Dienst des Kindes: «Über das ästhetische Erlebnis hinaus wollen alle künstlerischen Arbeiten die Bedeutung des geistigen Spiels beweisen, Spiel als Lebensvollzug, Spiel als menschliche Selbstverwirklichung, das Optische und das Ausseroptische, das Rationale und das Irrationale, das Nützliche und das Unnützliche müssen die grossen Kräfte und Erlebnisquellen einer Schule sein», beschrieb es der Künstler Karl Schmid im werk 7/1968 in ‹Die künstlerischen Beiträge im Schulhaus Gutschick in Winterthur›.
Herausforderung begehbare Skulptur
Plastische Künstler nahmen die Herausforderung an, spielgerechtere Umgebungen zu entwerfen, und entdeckten dank neuer Werkstoffe wie Beton oder Polyester neue Möglichkeiten der Gestaltung. 1967 schuf Michael Grossert den Schulhof beim Primarschulhaus Reinach BL, der einen imaginären Raum öffnet und dem Kind vielseitiges Raum- und Körpergefühl vermitteln wollte (Kunstbulletin 10/2010). Es war vielleicht auch gerade die brutalistische Architektur dieser Zeit, die scheinbar paradoxerweise mit ihrer entschiedenen Härte und Nüchternheit den Rahmen schuf, in dem sich dominante Raumgestaltungen entfalten konnten. Grosserts Spielhof besticht durch Eigenständigkeit, sogar Verwegenheit, das Liebliche der früheren Schulhauskunst ist wie weggefegt. Somit bot der Schulhof ein künstlerisches Experimentierfeld, das im öffentlichen Raum in dieser Form sonst nicht zu finden war. In den Siebzigerjahren entstanden dann zahlreiche begehbare Spielskulpturen und -landschaften, oftmals in den boomenden Vorortsgemeinden: Ueli Berger (1937-2008) realisierte solche in Muri bei Bern, Baar und Neuenegg, von Hans Peter von Ah (1941-2011) stammt der Betongarten in der Kantonsschule Luegeten Zug, von Peter Wiederkehr (1931-2010) eine begehbare Brunnenplastik in Schüpfheim bei Luzern. Viele solche Skulpturen bleiben wieder zu entdecken; sie sind teilweise bis heute erhalten, ohne dass sie viel Aufmerksamkeit erwecken. Eine dieser wenig beachteten Gestaltungen schlummert auf dem Schulhof der Schule Grünau in Altstetten, dem bevölkerungsreichsten Quartiers Zürichs.
Drei Loops für die Enklave Grünau
In der Grünau entstanden zwischen 1974 und1976 etwa 650 Genossenschaftswohnungen in verdichteter Bauweise. Die Siedlung besteht aus zwei 6- bis 9-stöckigen geknickten Scheibenhäusern («chinesische Mauer») und einem 19-stöckigen Hochhaus umgeben von grosszügigem Grün, ein eigentliches Quartier im Quartier für circa 2500 Einwohner. Den von der Stadt Zürich ausgeschriebenen Wettbewerb für die öffentlichen Bauten der Siedlung gewann Architekt Walter Moser (*1931). 1976-77 baute er das Schulhaus Grünau, einen einstöckigen, langgezogenen Bau für 13 Klassen. Ralph Bänziger (*1940), damals junger Mitarbeiter bei Moser, nahm sich der Gestaltung des Pausenplatzes an, denn dafür liess sich kein Gestalter finden. Eine Ballspielmauer grenzte Schulgrundstück und Pausenplatz zu den Freiflächen der Siedlung hin ab. Bänziger nahm dieses gerade, statische Element der Mauer auf und setzt ihm drei sich entrollende Loops aus Beton entgegen, eingefärbt in Rot, Gelb und Blau. Die drei Enden der Bänder, die gegeneinander stossen, bilden eine Vertiefung, die anfangs mit Wasser gefüllt war. Heute ist das Becken leer, denn der Unterhalt erwies sich als zu aufwändig. Dadurch entfiel das ästhetische Moment der Spiegelung, aber auch das Spiel mit Wasser.
Skaten unerwünscht
Bänziger konzipierte den Pausenhof gemäss drei Kriterien: Er sollte klar gegliedert sein, Platz zum Rennen geben und verschiedene Räume für Gruppen oder zum Versteckenspielen schaffen. Die Loops erinnern an Max Bills ‹Unendliche Schleife› von 1947 aus Gips; Bänzigers Schleife jedoch ist offen, begehbar und aus Beton, einem gewöhnlichen Werkstoff, wenn auch mit aufwändigen Schalungen hergestellt und eingefärbt. Die handwerkliche und technische Dimension der Skulptur erhielt damals die Aufmerksamkeit von Beton-Fachleuten aus dem In- und Ausland.
Die geschwungenen Schleifen formten ideale Skaterrampen, Skaten kam, kurz nachdem die Skulptur 1977 errichtet wurde, in der Schweiz auf. Mit später aufgebrachten Metallleisten wurde dies dann allerdings unterbunden. Dennoch wurde die Skulptur von den Kindern sehr gut aufgenommen und funktioniert bis heute. Bänzigers «grosse drei Nudeln», wie ein Kind sie auf seiner Zeichnung betitelte, verleiht dabei Schulhaus und Pausenhof eine effiziente Erdung und Einrahmung.
Die Schule Grünau (1989 aufgestockt) wurde in den Achtzigerjahren zu einem Problemschulhaus, da die Grünau einen hohen Ausländeranteil hatte und das Image des «Ausländerghettos» am Quartier hängenblieb. Um die Situation zu verbessern, wurde die Problemsiedlung Bernerstrasse 2004 abgebrochen und 2007 durch die Siedlung Werdwies ersetzt, ein radikales Vorgehen, das für die Schweiz ein Novum darstellte.
Begehbare Skulpturen gehören heute kaum noch zum Repertoire von Kunst und Bau in Schulen. Die Anfertigung mit komplexen Schalungen ist teuer, Beton als Spiellandschaft im Zeitalter weicher Spielplatzunterlagen verpönt. Umso mehr gilt es, bestehende Spielskulpturen als Zeitzeugen und in ihrer Funktion integral zu erhalten.
Gabriela Burkhalter, Politologin und Stadtplanerin, Kuratorin von ‹Architektur für Kinder - Zürichs Spielplätze›, gta-Exhibitions, ETH Zürich, und ‹The Playground Project›, 2013 Carnegie International, Carnegie Museum of Art Pittsburgh PA. gaby.burkhalter@sunrise.ch
Gabriela Burkhalter |