Il buono, il brutto, il cattivo

Peter Fischli/David Weiss · Bunker, ca. 1990

Peter Fischli/David Weiss · Bunker, ca. 1990

Peter Fischli/David Weiss · Bunker, ca. 1990

Peter Fischli/David Weiss · Bunker, ca. 1990

Fokus

Die Schweizer Armee verkauft Bunker und überführt an die 15000 Objekte in die zivile Zuständigkeit. Was lange geheim war – viele Teile sind es heute noch –, wird öffentlich. Damit wird das Repertoire um einen bedeutenden Bestand an umnutzbaren Bauten ergänzt. Die Siedlung Schweiz ist neu zu denken.

Il buono, il brutto, il cattivo

Die Nobilitierung der Bunker

Gutschlecht   Die Beschäftigung mit Bunkern ist reizvoll. «Bunker sind geil!», schlug unlängst der Kollege als Motto für ein Projekt über das militärische Bauen in der Schweiz vor. Zwei Momente zumindest machen diesen Reiz aus: die Sichtbarmachung von etwas, das nicht sichtbar sein durfte, und der Prozess der Neubewertung. Die Beschäftigung mit Bunkern stellt die Frage nach ihren Werten.

Die Bedeutung der Festungsanlage Schweiz ist bekannt. Sie steht für die Kontrolle des Terrains und stellt eine Manifestation von Macht dar. Sie ist Teil einer Verteidigungsstrategie, die aufgrund von angenommenen Bedrohungsszenarien entwickelt wurde. Der Ernstfall heisst Krieg. Bunker sind einem klar determinierten, in keiner Weise wertfreien Feld zuzuordnen. Die negative Konnotation gerade für den kulturellen Bereich und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung machen das Thema interessant. Zu finden ist hier ein «Terrain vague», das eine Auseinandersetzung lohnt. Nichts ist reizvoller, als im Feld des «Gutschlecht» tätig zu sein.

Es kann daher nicht überraschen, dass im Archiv von Peter Fischli und David Weiss Fotografien von Bunkern zu finden sind. Der Gegenstand passt vorzüglich in ihre Konzepte des Transfers und der Transformation, die immer wieder neu die Durchlässigkeit entlang der Kategorien ausleuchten. Wobei zu erwähnen ist, dass Fischli/Weiss – seit sie 1987 mit dem Fotografieren und dem umfassenden Projekt einer «sichtbaren Welt» begannen – sozusagen alles fotografierten, was ihnen interessant erschien. Drei Fotografien aus dem Bestand der Bunker-Bilder werden in diesem Rahmen erstmals publiziert, nachdem sie im letzten Jahr auf der Ausstellung «Berge Berge Berge» des Museums im Bellpark Kriens gezeigt wurden. Einige Fotografien aus der Serie haben Fischli/Weiss 1991 anlässlich des Projekts «Bilder für ein Haus» verwendet. Die Bunker-Bilder gehörten innerhalb des Werkkontextes Fischli/ Weiss jedoch nie zur ersten Auswahl. Zu deutlich waren wohl die Implikationen. Zu klar die Aussagen und Bezüge. Zu nahe vielleicht die Arbeit eines Paul Virilio, der mit seiner Publikation «Bunkerarchäologie», erschienen 1975, das Feld bereitete. Auf einen bedeutenden Unterschied zu den Bunkern des «Atlantikwalls» ist hinzuweisen. Die Arbeiten von Fischli/Weiss scheinen auf die davon abzuleitende Besonderheit einzugehen. Die Verteidigungsanlage Schweiz hatte sich nie im Kriegsfall zu bewähren. Sie wurde zwar regelmässig militärisch beübt, ihre Tauglichkeit ist jedoch nicht bewiesen. Sie ist und bleibt Teil einer Vorstellung. Im Fall von Fischli/Weiss eine mit einer dunklen, eher düsteren Konnotation hinterlegte Vorstellung.

Gegenschweiz   Die Überführung der Bunker in die
zivile Zuständigkeit lässt sie sichtbar werden. Gemäss Weisung des Departements für Verteidigung Bevölkerungsschutz Sport (VBS) dürfen heute alle militärischen Anlagen fotografiert werden. In den Zeiten der Geheimhaltung war die Praxis eine vollständig andere. So wird, was bisher nur Eingeweihten bekannt war oder in fantastischen Vorstellungen existierte, Sujet der Fotografie. Die Fotografie reagierte prompt. Bunkerarchitektur wurde durch die Arbeiten von Christian Kerez, Georg Aerni und Andrea Helbling zum Gegenstand der Architekturfotografie. Marco Schibig integrierte Bilder über Bunkerbauten in seine fotografische Arbeit über die Furka. (Sein damaliger Lehrer Lucius Burckhardt war irritiert und fragte sich, ob der Bunker Gegenstand einer ambitionierten, künstlerischen Fotografie sein dürfe.) Mario Kunz und Christian Schwager arbeiteten im Rahmen des Projekts «Land schaffen» über Bunker, das für den Pavillon «Territoire imaginaire» an der Expo.02 (Arteplage Biel) realisiert wurde. Es ist ausserdem zu erwähnen, dass auch das VBS im Sinne einer breit angelegten Inventarisierung die militärischen Bauten fotografisch dokumentiert und unter denkmalpflegerischen Hinsichten Teile davon publiziert.

Diese neue Sichtbarkeit macht deutlich, dass mit den Bunkern ein ungenutztes Angebot bereit steht, das uns erlaubt, die Schweiz anders zu lesen. Sie führt zu einer Offenlegung einer parallel existierenden Schweiz. Einer Schweiz, die weder den Leitbildern der Siedlungsentwicklung noch der gängigen architektonischen Praxis entspricht. Das militärische Bauen folgt weder dem Gegensatzpaar Stadt-Land, das sich durch die Ökologisierung seit den siebziger Jahren in unserem Denken breit macht, noch nimmt es die Forderungen nach jener Urbanität auf, welche die Schweizer Intelligenz heute diesem Denken als Programm entgegensetzt. In diesem Sinn kann das militärische Bauen durchaus als eine Art Gegenprogramm der gebauten und bewohnten Siedlungsstruktur der Schweiz gelten. Es befreit uns von der Dichotomie Stadt-Land und erlöst uns von der Sehnsucht nach der urbanen Verdichtung.

Die Nutzbarmachung und Umwertung einer Bunkeranlage zeigt beispielhaft das Projekt «La claustra», das der Fotograf und Ethnologe Jean Odermatt auf dem Gotthard realisiert hat. Was bisher immer bestritten wurde, hat hier stattgefunden: Die Einbringung eines Wohnambientes in eine Festungsanlage. Der Bunker wird bewohnbar. «La claustra» ist Modell und gleichsam Prototyp für eine Aktualisierung. Der direkte Anschluss an
die Tunnels der bedeutenden Alpentransversalen wäre durchaus realisierbar. Eine neue Art von urbanem Gebilde ist hier am Entstehen.

Auch dieses zeigt die Beschäftigung mit den Bunkern: Es verändert sich mit unserer Vorstellung von Urbanität auch diejenige von Landschaft. Der Bunker ist überall und auf das ganze Land verstreut vorzufinden. Ein vermeintlicher Felsaufbau kann also zugleich Architek-tur sein, ein rurales Gebäude Einstieg in einen Bunker. Das militärische Bauen denkt die Schweiz als Landschaft und es nutzt die Topografie als Gegenstand der Architektur.

Lernen vom Militär   Wichtiger Gegenstand der Diskussion um die Siedlungsentwicklung in der Schweiz war die Neunutzung der Industrieanlagen. Unter dem bestimmenden Programm der Urbanisierung rückten Industriezonen in den Blickpunkt der Auseinandersetzung. Bedeutende städtebauliche Projekte wurden als Umnutzung von Industriebrachen lanciert. Gleichzeitig fand eine Um- und Aufwertung der Industrie statt. Das negativ besetzte Feld (Schmutz, Lärm, Sondermüll) wurde veredelt. Aus der Industrie wurde die Industriekultur. Die Frage der Industriebrache wurde zum zentralen Diskussionspunkt der architektonischen Auseinandersetzung. Durch die Nutzbarmachung der Industriebrache erhielt die Architektur die Möglichkeit, die Vorstellung der Stadt zu präzisieren. Unter dem Argument der Verdichtung setzte gewissermassen eine Restaurierung der Stadt ein. Die Positionen in dieser Debatte sind bezogen. Die Industriebrache ist heute begehrte Immobilie.

Mit der Überführung der Bunker in eine zivile Zuständigkeit stellt uns die Armee eine neue Art von Brache bereit: die Bunkerbrache. Laut Angaben des VBS sind bis zu 15000 Objekte ausgemustert worden. Diese Bauten werden nun allmählich ins Repertoire der Siedlung Schweiz integriert. Die Bunkerbrache steht am Anfang eines Prozesses, der vergleichbar der Industriebrache zu einer Aufwertung führen wird. Die Grundlage dieser architektonischen Debatte ist jedoch nicht die Erweiterung der Stadt, sondern die Landschaft, genauer eine geschaffene Landschaft. Ein Bauen, das nicht der praktizierenden Raumplanung unterworfen ist. Es gehorcht also nicht der Vorstellung einer Zonierung, die jedem Dorf oder jeder Stadt eine jeweils gleiche Grundstruktur zuordnet. Es basiert auf einem Dispositiv, das die ganze Schweiz übergreifend als einen zusammenhängenden Raum darstellt. Das militärische Bauen propagiert einen Gesamtentwurf für die Schweiz. Im Gegensatz zur bebauten Schweiz ist von einer geplanten Struktur zu sprechen. Das «Layout» dieses Gesamtentwurfs ist nach wie vor geheim. Es ist aber anzunehmen, dass hier eine neue Ordnung etabliert wird, die neue Zentren an entlegenen Orten in neue Bezüge setzt. Das militärische Bauen geht von einer Lektüre des Terrains aus. Wobei zu betonen ist, dass das Militär Teile der gebauten Siedlungsstruktur ebenso wie natürliche Hindernisse als «Landschaft» bewertet. Es gibt Beispiele, wo die Ausdehnung einer Siedlung, also beispielsweise die Festlegung der Bauzonen einer Gemeinde, durch strategische Überlegungen beeinflusst ist. Das militärische Bauen ist also eine Manifestation für eine Architektur, die Landschaft zuerst interpretiert und dann neu modelliert.

Die junge Architektengeneration erhält ein neues, bisher nur wenig erprobtes Feld der Auseinandersetzung. Es ist anzunehmen, dass sowohl die architektonische wie die städtebauliche Praxis dadurch neue Impulse erhalten werden. Denn was hat die Architektur zu leisten, wenn die Hauptaufgabe – die Fassade – nicht mehr relevant erscheint? Wie ist die Diskussion um die «Grossstadt Schweiz» neu zu führen, wenn nicht allein das zersiedelte Mittelland, sondern das gesamte Territorium Gegenstand der Auseinandersetzung wird? Ein Lernen vom Militär ist nicht länger abwegig. Die Schweiz ist neu zu denken. Dies – in Koolhaas’scher Manier – auf eine Formel gebracht: Landschaft=City.

Artbunker: Ein interessantes Kunstprojekt in sechs Bunkern der so genannten Alvierlinie findet vom 7. bis 8.9. in Oberschan/Wartau statt. Die Kuratoren Giovanni Carmine und Cathrine Hug haben elf KünstlerInnen (unter ihnen Annelise Coste, Fabrice Gygi, L/B, Gianni Motti, Shahryar Nashat, Costa Vece) eingeladen, Arbeiten in sechs Bunkern zu realisieren. Informationen: www.artbunker.ch

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