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Kader Attia — Spuren des Kolonialismus

Wenn Denkmuster unserer Vergangenheit unsere Zukunft prägen, kann dann überhaupt Neues entstehen, wenn Neues entstehen muss? Europas Geschichte ist geprägt vom Kolonialismus; Gewalt, Enteignung, Zwangsarbeit und Unterdrückung. Kader Attias Ausstellung im Kunsthaus Zürich zeigt auf anschauliche Weise, dass diese Geschehnisse und die zugehörigen Überzeugungen noch nicht differenziert aufgearbeitet wurden.

Zürich — Sie sind verloren, vergessen und verdrängt. Dennoch findet man Spuren der Kolonialzeit in ganz Europa. ‹Indépendance Tchao› heisst die erste Skulptur – eine, die man im Kunsthaus Zürich nicht erwartet hätte: Ein grauer, von Rost überzogener Koloss, zusammengesetzt aus Karteikästen aus dem Büro der französischen Kolonialpolizei in Algerien, in denen während des Unabhängigkeitskrieges Informationen über die Aufständischen gesammelt wurden. Nun werden die alten Gegenstände mit einer neuen Bedeutung aufgeladen. Gleichzeitig erhält man einen Einblick in das Leben des Künstlers: Kader Attias Eltern stammen aus Algerien, geboren wurde er 1970 in einer Banlieue von Paris. Dies thematisiert er in einem Video-Essay über strukturelle und reale Gewalt am Schwarzen Körper und über den Kolonialismus. Mehr als zwei Jahrhunderte hielt sich in Europa die Anschauung, dass es sich bei den rund 11 Millionen versklavter Menschen aus Afrika und deren Nachkommen um Vertreter einer minderwertigen Kultur handelte. Wir schauen von oben herab auf das Andere, damit uns das Fremde keine Angst macht. 

Die Dringlichkeit, mit diesen problematischen Vorstellungen zu brechen, wird gerade in der heutigen Zeit immer deutlicher. Doch wie kann man vergangenes Unrecht aufarbeiten und historische Ungerechtigkeiten ausgleichen? Sollte man Narben gänzlich auslöschen oder absichtlich bewahren? Damit beschäftigt sich Kader Attia und regt an zur individuellen Auseinandersetzung. Seine Werkserie ‹Culture, Another Nature Repaired› lässt den Besucher oder die Besucherin  von unten in die hölzernen, entstellten, leicht erhöht plazierten Gesichter von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg blicken. Gueules cassées – zerschlagene Gesichter, für den Rest ihres Lebens gezeichnet, (wieder)hergestellt mit der Unterstützung von traditionellen Kunsthandwerkern aus Senegal. Vor dem Ausgang schliesslich hängt ein in zwei Hälften zerbrochener und wieder zusammengetackerter Spiegel. Schaut man rein, wird man selbst zur Zerrissenen, sieht die eigene Involviertheit. 

Jeder Ausstellungsraum zeigt eine andere Nachwirkung des Kolonialismus – Migration, Fremdbetrachtung, Restitution. Der choreografierte Rundgang lässt zugleich deutlich werden, wie alles miteinander zusammenhängt. Man kann nicht das eine betrachten, ohne das andere auch im Blick zu behalten. So schaut man von jetzigen Raum zurück in den vorherigen: betreten, verzweifelt, ermutigt. 

Anouk Brunner, Master Kulturpublizistik, ZHdK, 2020

Institutions

Title Country City Details
Kunsthaus Zürich
Switzerland
Zürich
Switzerland
Zürich

Artist(s)

Details Name Portrait
Kader Attia

Author

Details Name Portrait
Anouk Brunner

Exhibitions / Events

Title Date Type City Country Details
Kader Attia - Exhibition Zürich Switzerland
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Exhibition
Zürich
Switzerland