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The New York Times Art Leaders-Konferenz — Wer lotst uns durch den Nebel?

Berlin — Der globale Kunstmarkt, so die Maastrichter Art Finance-Professorin Rachel Pownall an der Berliner ‹Art Leaders›-Konferenz, boomt wie kaum zuvor: Im Auktionsmarkt hat allein die Gegenwartskunst ein Umsatzplus von 11% eingefahren. Wie aber überleben Galerien und Händler, die nicht mit den 1000 Namen arbeiten, die 85% des Auktionsmarkts ausmachen? Wie behaupten sich die Museen in einer Zeit des digitalen Umbruchs? Wie reagiert man auf neue Player in China oder Katar? Die zweitägige, von der New York Times unter der Leitung ihrer Kulturredaktorin Robin Progebrin veranstaltete Konferenz im E-Werk, einem ehemaligen Umspannwerk unweit des Potsdamerplatzes, sucht nach Antworten. Eher als Netzwerkveranstaltung denn als klassische Konferenz konzipiert, verzichtet der dicht getaktete Event auf einen inhaltlich befrachteten Titel. Etwas gewöhnungsbedürftig auch, dass man sich nicht einfach anmelden konnte, sondern – zusammen mit einem ausgewählten Kreis von Personen – von den Veranstaltern zur Teilnahme eingeladen wurde.

Als Vertreter eines Schweizer Museums besuche ich die im Vorfeld des Berliner Galerienwochenendes gut getimte, rund 50 Kunstexperten und ca. 300 Delegierte anlockende Veranstaltung und erhoffe mir, etwas dazuzulernen: zum Spagat zwischen Quote und Programmanspruch, zur Attraktivierung von Sammlungen, zum Fundraising für Um- und Neubauten, zu griffigen Digitalstrategien. Und insgeheim hatte ich gewünscht, mich vom Optimismus und Superlativismus, der die Veranstaltung durchströmt, anstecken zu lassen. Denn mindestens die Hälfte der laut dem US-Kunstmagazin Art Review als Top Ten der globalen Kunstwelt gehandelten Persönlichkeiten treten als Redner auf. 

Im Galopp geht es durch einen bunten Strauss von Themen. Dabei stelle ich mir die Frage, was denn die als «Art Leaders» bezeichneten Akteure auszeichnet, die uns offenbar in die Zukunft der Kunst führen sollen: Ist es das richtige Marktgefühl von Grossgaleristen (David Zwirner, New York und London), die noch stets ungebrochene Definitionsmacht von Museumsdirektoren (Glenn D. Lowry, MoMA New York), die globale Markterschliessung durch Messedirektoren (Art Basel-Direktor Marc Spiegler), das technologische Knowhow für neue Kunstformen (Virtual Reality-Produzentin Sandra Nedvetskaia)? Wären es nicht doch eher die zweitweise unbequemen Fragen der Künstlerinnen und Künstler, die uns durch den Nebel der Gegenwart in die Zukunft lotsen könnten?

Schnell wird klar, dass die Perspektive der Veranstalter auf die Welt (entsprechend der US-Dominanz weiter Teile des Kunstmarkts) sehr amerikanisch geprägt ist. Und mit diesem Blick auf die Welt verbunden ist auch das schlechte Gewissen, dass es überwiegend weisse Männer mittleren Alters sind, die an der Konferenz den Ton angeben. Da empfindet man es als wohltuend, dass Pamela J. Joyner, eine Amerikanerin schwarzer Hautfarbe, davon spricht, dass mehr Vielfalt gut täte, sowohl beim bewussten Sammeln, als auch in der Besetzung von Kuratoren- und Aufsichtsratsposten. Gerne hört man der Kuratorin Ann Temkin zu, die am MoMA erfolgreich den Kanon des Immergleichen mit einer neuen Sammlungspräsentation durchbrochen hat: nicht nur durch den Einbezug von Künstlerinnen, sondern auch mit Blick auf Diversität punkto Herkunft und Hautfarbe.

Eine der mächtigsten Akteurinnen der globalen Kunst- und Museumswelt – und gleichzeitig mit Qatar Museums Sponsorin der Veranstaltung – ist eine Frau: Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa al Thani, Schwester des katarischen Herrschers, angeblich mit einem Jahresetat von einer Mia. US-Dollar ausgestattet. Sie stellt eloquent das Nationalmuseum in Doha vor, das in Anlehnung an eine Sandrose von Jean Nouvel gebaut wird. Wohltuend überraschend ist ihre Aussage, dass das Nationalmuseum in erster Linie für die lokale Community und für das eigene «nation building» errichtet werde, und erst danach mit Blick auf den internationalen Tourismus. Die spektakuläre bauliche Hülle steht in der kurzen Präsentation deutlich im Vordergrund. An den Inhalten soll noch ein weiteres Jahr seriös gearbeitet werden, bevor das Museum im Frühjahr 2019 eröffnet wird.
Ein Problemfeld für viele europäische Museen benennt Tristram Hunt, seit 2017 Direktor des Londoner Victoria & Albert-Museums: Bei sinkender staatlicher Subventionierung (vormals 75% des Budgets, heute nur noch die Hälfte) gelte es, breitenwirksame Ausstellungen zu bieten, die viel Geld in die Kasse spielen (etwa die Ausstellung zu Pink Floyd), und dennoch wissenschaftlich fundiert seien sowie optimal vermittelt würden. Er warnt davor, Museen zu beliebigen Vergnügungsparks verkommen zu lassen und der Versuchung nachzugeben, Erfolgsausstellungen auf dem Reisbrett konzipieren zu wollen. Seine Ausstellung zur Stickkunst, die mit 270 000 Eintritten ganz unerwartet zu einem Grosserfolg wurde, belegt, dass es auch anders geht. Leider nur am Rande ein Thema ist das sich in Rufweite befindende umstrittene Berliner Humboldt-Forum, das wie viele andere auch nach der magischen Formel für ein sowohl publikumswirksames als auch inhaltlich verantwortbares Museum sucht. 
Allen vortragenden Museumsdirektoren gemeinsam ist, dass sie trotz Digitalisierung weiterhin auf «analoge» Erlebnisse vor realen Werken setzen. Sie wünschen sich unisono einladende Gebäude mit guter Aufenthaltsqualität, die derart mit der Stadt verbunden sind, dass sie auch ein junges Publikum anzulocken vermögen. Umbauen oder erweitern, so lautet daher die Frage, oder noch konsequenter: abreissen und neu bauen? Das Los Angeles County Museum of Art reisst bestehende Gebäude aus den sechziger Jahren ab und lässt im Direktauftrag Peter Zumthor für sagenhafte 610 Mio. USD neu bauen. Dabei, so der charismatische LACMA-Direktor Michael Govan, ist ihm «Outreach» – Vermittlung für Bewohner in ärmeren Stadtteilen mittels Dependancen – genauso wichtig wie die neuen spektakulären Hüllen. Aus europäischer Perspektive wirkt diese Quadratur des Kreises märchenhaft. 
In guter Erinnerung bleibt die amerikanische Künstlerin Christine Sun Kim, die wie die Wahlberliner Olafur Eliasson und Alicia Kwade einen Kurztauftritt hat: Die taub geborene Künstlerin führt eindrücklich vor, wie man auch als Gehörlose erfolgreich sein kann, indem man die körperliche Einschränkung mit künstlerischen Mitteln thematisiert. Entscheidend dabei auch die Vermittlung: Ihre in Zeichensprache gegebene Präsentation wird simultan übersetzt. Und wie steht es mit Ai Weiwei, der zum Abschluss spricht? Berlin hat er nach seiner Freilassung in China vor drei Jahren zur Wahlheimat gemacht. Der globale Kunstsuperstar und Professor an der Universität der Künste spricht – unaufgeregt und sehr berührend – wie er in Berlin tagtäglich seine Heimatlosigkeit neu erlebe. In keiner Strasse der Grossstadt fühle er sich zu Hause und deutet an, dass er wohl bald aufbrechen werde in eine der 150 Städte, die er von Berlin aus bereits besucht habe. Er warte jedoch vorerst zu, bevor er sich für einen neuen Ort entscheide. Orientierung zu finden in einer Zeit des Umbruchs und der entfesselten Markkräfte, das benötigt manchmal eben etwas mehr Zeit –sowie eine gehörige Portion Gelassenheit. 

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