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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Li Tavor

Li Tavor und ich treffen uns früh morgens via Zoom. Ich blicke in ein lichtdurchflutetes Atelier mit vielen technischen Geräten und erkenne im Hintergrund die Umrisse der neuen Installation für die Werkschau. Tavors künstlerische Praxis befasst sich mit den Relationen zwischen Klang, Architektur und der subjektiven menschlichen Wahrnehmung. In zumeist installativen Arbeiten interessiert sich Tavor dafür, wie die spezifische Positionierung eines Individuums in einem gebauten, gesellschaftlichen oder kulturellen Raum die Wahrnehmung beeinflusst. Wie werden der Zugang und die Verarbeitung von Information durch die persönliche Perspektive geprägt und modifiziert? Mit einem Hintergrund sowohl in Architektur als auch in elektroakustischer Komposition bilden Raum – als Umgebung des Menschen – und Zeit – als Ordnungseinheit der Musikkomposition – die strukturgebenden Grundsteine Tavors künstlerischer Recherche. Ausgehend von einer kritischen Hinterfragung der vermeintlich objektiven Vermessung physikalischer Grössen, die unsere Welt nicht nur konstituieren, sondern sie vor allem weitgehend in normative Kategorien einteilen, sucht Tavor nach subjektiveren Zugängen und lotet andere Möglichkeiten aus, die Umgebung perzeptiv aufzunehmen. In den so entstehenden dreidimensionalen Sound- und Musikinstallationen geraten synthetisch sowie akustisch erzeugte Klangräume in Relation mit dem physischen Raum und laden das Publikum ein, sich darin zu positionieren und zu bewegen. Dies führt nicht nur zu einer Veränderung – vielleicht sogar Kontrolle – des Schallereignisses an sich, sondern macht zugleich erlebbar, wie eine unterschiedliche Situierung im Raum die sozial und kulturell geformte Wahrnehmung beeinflusst und so standardisierte Wahrnehmungsstrategien herausfordert.  

In der eigens für die diesjährige Werkschau konzipierten mehrkanaligen Video- und Audioinstallation hi fidelity – my own private canon or the politics of silence führt Li Tavor eine anhaltende Sound- und Raumpraxis weiter und befasst sich verstärkt mit Fragen der eigenen Position. In der Mitte des abgedunkelten Ausstellungsraumes ist eine Stange mit fünf daran befestigten Monitoren aufgestellt, die fragmentierte Aufnahmen des nackt rotierenden und mystisch glänzenden Körpers Tavors zeigen. Die an Automobilwerbung erinnernde Aufnahmetechnik und Ästhetik der Videos trägt dabei dazu bei, dass die Grenzen zwischen Li Tavor als Subjekt und Objekt der Arbeit verschwimmen. Aus fünf Lautsprechern – vergleichbar mit Hi-Fi-Anlagen – tönt ein fünfstimmiger Chor aus Tavors Stimme sowie weiterem Klangmaterial. 28 verschiedenwinklig an den Wänden der Black Box angebrachte Spiegel verändern unsere akustische und optische Raumwahrnehmung je nach Position im Raum. Gleichzeitig multiplizieren die Spiegel sowohl die Bilder der Videos als auch die Körper der Besuchenden. Auf diese Weise werden das Verhältnis und die Rollenverteilung zwischen dem Publikum, Tavor selbst, aber auch dem physischen und dem audiovisuellen Raum der Installation in Frage gestellt. 

Selma Meuli ist freischaffende Autorin und Kuratorin. Sie ist Teil des Organisationsteams von Plattform23 und absolviert derzeit einen Master in Kunstgeschichte und Bildtheorie an der Universität Basel.

 

 

Artist(s)

Details Name Portrait
Li Tavor

Author

Details Name Portrait
Selma Meuli