Klodin Erb — Mit Maske und Leggins durchs All

1 Blatt (aus: schlecht getroffen), 2009, Öl auf Leinwand, gerahmt, 60 x 50 cm; hinten: Nachtisch 2, 2013, Öl auf Holz, gerahmt, 46 x 32 cm und Plant’s Life, 1999, Stoff, Plastik, Beistelltisch, Ausstellungsansicht Helen Dahm Museum. Foto: Yves Roth

1 Blatt (aus: schlecht getroffen), 2009, Öl auf Leinwand, gerahmt, 60 x 50 cm; hinten: Nachtisch 2, 2013, Öl auf Holz, gerahmt, 46 x 32 cm und Plant’s Life, 1999, Stoff, Plastik, Beistelltisch, Ausstellungsansicht Helen Dahm Museum. Foto: Yves Roth

Serendipity / Königin der Nacht, 2013, Öl auf Leinwand, 135 x 110 cm, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich

Serendipity / Königin der Nacht, 2013, Öl auf Leinwand, 135 x 110 cm, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich

Zwei Dahmen. Klodin Erb und Helen Dahm, 2022, Ausstellungsansicht Helen Dahm Museum Oetwil am See, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich. Foto: Yves Roth

Zwei Dahmen. Klodin Erb und Helen Dahm, 2022, Ausstellungsansicht Helen Dahm Museum Oetwil am See, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich. Foto: Yves Roth

Behind the Curtain, 2018, Acryl und Öl auf Leinwand, 130 x 100 cm, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich

Behind the Curtain, 2018, Acryl und Öl auf Leinwand, 130 x 100 cm, Courtesy Galerie Lullin + Ferrari, Zürich

Foto: Lena Amuat

Foto: Lena Amuat

Fokus

Klodin Erb, die Laureatin des Prix Meret Oppenheim 2022, hat in den vergangenen zwanzig Jahren ein dichtes, vielfältiges Werk geschaffen, das nun endlich auch auf nationaler Ebene jene Aufmerksamkeit findet, die ihm gebührt. Einen tiefen Einblick in das Wesen des Werks findet sich in einer kleinen, feinen Schau in der Peripherie des Zürcher Oberlandes. 

Klodin Erb — Mit Maske und Leggins durchs All

«Please turn on your magic beam / Mr. Sandman, bring me a dream», klingt es aus dem Lautsprecher, während auf dem Monitor eine winzige, farbige Gestalt durch surreale Landschaften hüpft. Im selben Raum befindet sich eine gerahmte Fotografie, in der eine streng gekleidete Dame, umgeben von überlebensgrossen Puppen, uns anzustarren scheint. Die Frau heisst Helen Dahm, und wir befinden uns im kleinen Museum, das ihr zu Ehren in Oetwil am See eingerichtet wurde. Dem Foto gegenüber befindet sich eine gerahmte Hinterglasmalerei, 77 x 78,5 cm, ein ‹Selbstbildnis mit Seifenblasen›, fast psychedelisch in seiner Wirkung. Das Frauengesicht löst sich zwischen den Blasen auf, im Mund ein Rohr, das aus der verzerrten Perspektive wie ein Joint aussieht. Rechts davon, auf einem weissen Podest, zwei zerbrochene und durch rohe Ergänzungen wieder heil gemachte Kannen aus Keramik und Ton. ‹Auseinsmachzwei›, 2004, eine frühe, programmatische Arbeit von Klodin Erb als Solokünstlerin, nach einer Phase des Experimentierens im Kollektiv ‹mit›, das sich der Unterwanderung des Kunstbetriebs verschrieben hatte.

Mr. Sandman, bring me a dream
‹Auseinsmachzwei› zeigt die Vervielfältigung, die entstehen kann, wenn etwas zerbricht und wieder geflickt wird. Eine einzelne Künstlerin kann viele Rollen einnehmen, wenn sie sich das zutraut, Brüche sind dabei Teil des Programms. Das war bei Helen Dahm nicht unähnlich, in ihrer Biografie finden sich viele Verwerfungen, bei der frühen Flucht mit der Lebensgefährtin nach München, einer Expedition nach Indien in der Vorkriegszeit, dem «Exil» in Oetwil am See, Klinikaufenthalten, aber auch der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Zürich, 1954, an sie als erste Frau überhaupt.
Klodin Erb kannte ihr Gegenüber nicht, ehe sie von Sandi Paucic, dem Kurator der Ausstellung ‹Zwei Dahmen›, zu diesem Dialog eingeladen wurde. Aber: «Es war für mich sehr interessant, die vielen Verwandtschaften zu entdecken – ich stellte fest, dass wir eigentlich Schwestern im Geiste sind», sagt Erb im Gespräch mit dem Kurator. «Natürlich ist Helen Dahms und mein Zugang zu Themen zeitbedingt ein anderer, es gibt aber genuine Übereinstimmungen. So zum Beispiel bei den Themen der Sexualität oder auch der Religion. Auch das Motiv der Landschaft spielt bei ihr eine grosse Rolle. Sie stellte damals, ähnlich wie ich es heute mache, die Frage, wie Malerei aussehen kann, auch innerhalb der gegebenen Genres Landschaft, Porträt, Interieur.» Die Frage, wie Malerei aussehen kann, ist der gemeinsame Motor, der Antrieb der Vervielfältigung, der magische Samen, aus dem das Schaffen von Erb und Dahm zu spriessen scheint. Erb wendet sich nach der Ausbildung zunächst von diesem Genre der Kunst ab. Davon zeugt in der Stube des Untergeschosses die älteste Arbeit von ihr in dieser Ausstellung, die Werkgruppe ‹Plant’s Life› von 1999 – skulpturale Annäherungen an Zimmerpflanzen aus Stoff, Plastik und Tischchen. Dahms Plastik ‹Vase mit Papierblumen› fügt sich nahtlos in dieses Ensemble ein, als wären sie gemeinsam geschaffen worden. Auch wenn sie genrefremd sind, so sind sie doch aus einem malerischen Gestus zu verstehen und verweisen im Falle von Erb bereits auf die Serie ‹Flowers for Sale›, 2021/22, ein Konvolut grossformatiger Stillleben in einer Mischung aus Öl- und Acrylfarben mit aufgesprayten Elementen, die den Betrachtenden in einem Zustand zurücklassen, als hätte er an Dahms Joint gezogen und tief inhaliert.

Make him the cutest that I’ve ever seen
«Mr. Sandman, bring me a dream / Make him the cutest that I’ve ever seen», singt die weibliche, farbige Figur im Video weiter, sie hat sich mittlerweile eine riesige, geschnitzte Aufsatzmaske angezogen. Halb überdimensionierter Tikibecher, halb schamanistische Tanzmaske, auf jeden Fall ein Instrument der Transformation. Gleich zu Beginn der Animation ‹Johnny Woodhead & The Nightmärlis› fliegt die Protagonistin in der Maske, gekleidet in Leggins mit Leopardenprint, schwarzen Stiefeln und schwarzem Kleid, aufgehängt an einer abstrahierten Papierwolke durchs All, im Hintergrund der Erdball. Sie stürzt auf die Erde, mitten in ein Blumenfeld natürlich, rappelt sich auf, nur um von einer herabstürzenden Fassade eines amerikanischen Hauses fast getötet zu werden. Gerettet wird sie durch die Tatsache, dass sich das offene Fenster der Fassade genau an jenem Ort befindet, wo sich die Figur stehend um sich selbst dreht, und dass Buster Keaton und Steve McQueen als Schutzgeister über sie wachen. Während wir uns noch vom Schock erholen und sich die Figur munter weiter um sich selbst dreht, tritt in aller Seelenruhe Klodin Erb ins Bild, schlägt einen Nagel in den Holzkopf, hängt einen Seidenkimono daran und verschwindet wieder.
Wir sind erst am Anfang, die Figur fährt Auto, traumartige Sequenzen verwandeln sich in Alpträume, Bomben explodieren im Hintergrund, dieser entpuppt sich jedoch als Kulisse, alles löst sich auf, wir waren ja nur in einem Märchen. Das Kleid ist jetzt farbig und geblümt, hübsch, unter der Maske war immer Klodin Erb, die sich dann selber frisst. Und hier sind wir noch nicht einmal in der Mitte des Fiebertraums, der in seiner Dichte die rund sieben Minuten, die er eigentlich andauert, weit sprengt.
Das Prinzip der Überlagerung und Appropriation, der Verzerrung, Verkitschung und grausamen Sezierung, das Verwenden von Fundstücken aus dem Netz, von Treibgut und Versatzstücken der Kunstgeschichte, die Verquickung von Trivialem und Abgründigem in einer Sprache, die zugleich zeitgenössisch und anachronistisch ist, findet sich in diesem Bühnenstück für den Bildschirm genauso wie im Gesamtwerk der Künstlerin. Kathleen Bühler, Chefkuratorin am Kunstmuseum Bern, nennt Erb in ihrer Laudatio zur Verleihung des Prix Meret Oppenheim 2022 «eine Vollblut-Malerin in der postmedialen Phase der Malerei». Und führt aus: «Postmedial ist die Malerei heute deshalb, weil sich ihre Prinzipien nicht auf Farbmaterial, Leinwand und Pinsel beschränken. Vielmehr hat sich die Arbeitsweise und Wirkmacht von Malerei auf andere Medien übertragen. Und so kann alles, was Klodin Erb im Rahmen der Kunst macht, als Malerei verstanden werden. Auch wenn sie in ihren Videos absurde Geschichten erzählt, wie diejenige einer Zitrone, die durch verschiedene Räume, Zeiten und Realitätsebenen rollt. Auch dann nutzt Klodin Erb das Vermögen der Malerei, Geschichten zu erfinden und eine Welt zu erschaffen, die keiner Plausibilität bedarf.»
«Mr. Sandman, someone to hold (someone to hold) / Would be so peachy before we’re too old», klingt es mit der Stimme der Malerin weiter, die den Song der Chordettes von 1954, dem Jahr also, in dem Dahm den Kunstpreis der Stadt Zürich erhielt, selber intoniert und als Soundtrack ihres Manifestes und Retroperspektive in Videoformat verwendet. Weibliche Solidarität. Die Verschwesterung mit Meret ­Oppenheim und Dahm wird von Erb subtil und präzise eingesetzt. Der selbstbewusste Feminismus, den sich Oppenheim und Dahm im Kunstbetrieb noch leidvoll erkämpfen mussten, ist für Erb immer noch wichtig, auch wenn sie ihn spielerischer und freier darstellen kann. Dass Gleichberechtigung und eine freie Sexualität noch keine Selbstverständlichkeit sind, weiss sie dennoch.

Someone to hold / Would be so peachy before we’re too old
‹Funny Face›, 2019, eine bewusst simplizistische, symbolistische Erwiderung auf Hockney oder Willy Fries im Zeitalter der Emojis, zeigt emblematisch einen Baum, einen angebissenen Apfel und eine selbstbewusste Schlange. Ihre Porträts, etwa ‹Nachtisch 2›, 2013, oder die Serie ‹Orlando›, die auch als Buch publiziert wurde und in der Ausstellung nur als Vorahnung auftaucht, spielen mit dem Element der Transformation und der Fluidität. Sie verweisen bei Erb immer auch auf Heiligenbilder, auf Madonnen und Götter, deutlich bei ‹Angel Blue› von 2018, das mit der ‹Verkündigung› von Dahm von 1950 an derselben Wand auch aufzeigt, dass die Erleuchtung, die Trans­zendenz mit Schmerz verbunden ist.
Die Freiheit hat ihren Preis, Transformation, Transzendenz und Läuterung ebenso. Die Arbeit an einem gemeinsamen Raum, sei es Bild- oder Gedankenraum, die Vervielfältigung des Singulären in eine gemeinsam erlebbare Erfahrung mögen in diesem Prozess aber lindernd wirken. Das Malen ist ein einsamer Weg, den Erb immer wieder aufbricht, verändert, adaptiert. In ‹Johnny Woodhead & The Nightmärlies› malt die Figur in der Maske an verschiedenen Welten, gebiert sich selber aus ihrem Kopf und ist zugleich Zeus und Athene, spaziert durch Zitate und vervielfältigt sich umstandslos. Auseinsmachviele, aus Zwei eine Schwesternschaft, aus Drei eine ganze Welt. Eine einzelne Künstlerin kann viele Rollen einnehmen, wenn sie sich das zutraut, die Figur auf dem Bildschirm tanzt auf jeden Fall weiter.

Damian Christinger, freier Kurator und Publizist, lebt in Zürich. damian.christinger@gmail.com

→ ‹Zwei Dahmen. Helen Dahm und Klodin Erb›, Helen Dahm Museum, Oetwil am See, bis 31.10.  ↗ www.helen-dahm.ch
→ ‹The Sweetest Patriots› (Gruppenschau), Kupper Modern, 24.9.–21.1. ↗ www.kupper-modern.com

Jusqu'à 
31.10.2022

Klodin Erb (*1963, Winterthur) lebt und arbeitet in Zürich
1989–1993 Bildende Kunst SBK, Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich HGKZ (heute ZHdK)
2022 Schweizer Grand Prix Kunst / Prix Meret Oppenheim
Seit 2018 Dozentin an der Hochschule Luzern HSLU, Abteilung Design und Kunst
 
Einzelausstellungen (Auswahl)
2023 Istituto Svizzero, Rom (upcoming)
2022 ‹Zwei Dahmen. Klodin Erb und Helen Dahm›, Helen Dahm Museum, Oetwil am See; ‹Liquid Sense›, Lullin + Ferrari, Zürich
2021 Lullin + Ferrari, Zürich
2020 ‹Klodin Erb›, Gluri Suter Huus, Wettingen
2019 ‹Babel & Bubbles›, Lullin + Ferrari, Zürich
2018 ‹Die Wolfslaterne›, Kunsthaus Pasquart, Biel/Bienne; ‹Ein langer Tag›, Helvetia Art Foyer, Basel
2017 ‹The Sweet Lemon Ballad›, Rotwand, Zürich
2015 ‹unschuldig unheimlich – Das Sennentuntschi›, (mit Eliane Rutishauser), Rätisches Museum, Chur
 
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2022 ‹(Un)certain Ground – Aktuelle Malerei in der Schweiz›, Kunsthaus Pasquart, Biel/Bienne; ‹Liebe Grüsse›, Museum Langmatt, Baden; ‹Tschüüss festival›, Centre culturel suisse, Paris
2020 ‹After Bob Ross – Beauty is Everywhere›, Museum im Bellpark, Kriens
2018 ‹Cosmic Laziness›, Zwei-Personen-Ausstellung mit Tim Renshaw, Coleman Projects, London; ‹Focus›, Kunstmuseum Winterthur
2017 ‹Yellow Creature – Aspekte der Transformation›, Kunstmuseum Luzern; ‹The Show Must Go On – Die Sammlung Gegenwartskunst, Teil 4›, Kunstmuseum Bern
2014 ‹Docking Station›, Aargauer Kunsthaus, Aarau; ‹Das doppelte Bild›, Kunstmuseum Solothurn

Institutionen Pays Ville
Helen Dahm Museum Suisse Oetwil am See
Kupper Modern Suisse Zürich
expositions/newsticker Date Type Ville Pays
The Sweetest Patriots 24.09.2022 - 21.01.2023 exposition Zürich
Schweiz
CH
ZWEI DAHMEN. Klodin Erb und Helen Dahm 01.05.2022 - 31.10.2022 exposition Oetwil am See
Schweiz
CH

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