Alexandra Bachzetsis — Bewegung ist immer
Alexandra Bachzetsis analysiert weibliche und männliche Attitüden und Gesten im öffentlichen Raum und übersetzt diese Typologie in Bewegung: Ihre Performances werden im musealen Kontext wie auch auf Bühnen präsentiert. Die aktuelle Ausstellung ‹Notebook› in der Kunst Halle Sankt Gallen zeigt Schlüsselmomente ihrer künstlerischen Karriere.
Alexandra Bachzetsis — Bewegung ist immer
Mit den Schultern zucken, die Lippen spitzen, die Haare zurückwerfen, langsam die Augen aufschlagen – Gestik und Mimik lassen sich anspielungsreich einsetzen. Vieles davon wird eindeutig verstanden. So ist bei repetitiven, stossweisen Beckenbewegungen keine zweite Person vonnöten, um allgemein verständlich einen Geschlechtsakt anzudeuten. Anderes bleibt kleineren Kulturkreisen vorbehalten oder ist vollständig tabuisiert. Das kann sich ändern: Die gesellschaftliche Akzeptanz von Bewegungen wandelt sich genauso wie deren Art und Interpretation. Twerking beispielsweise, ein beckenbetonter Tanz- und Work-out-Stil, ist inzwischen selbst auf Schulhöfen verbreitet, wenngleich es noch immer als anstössig gilt. Alexandra Bachzetsis verfolgt solche Entwicklungen. Die in Zürich lebende Künstlerin und Choreografin arbeitet mit dem menschlichen Bewegungsrepertoire. Sie untersucht insbesondere dessen geschlechtsspezifische Ausprägungen und Wahrnehmungen sowie die Verbindung zur Sexualität: «Mich interessieren Fragen zum Körperkult: Wie nehmen wir den Körper wahr? Wie identifizieren wir uns mit der Sexualität der Körper in der Gesellschaft? Wofür steht die repetitive Bewegung? Welche Gesten und Abläufe gibt es? Es geht stark um die Frage des Körpers im Exzess und um die Gratwanderung zwischen Ausbeutung und Leidenschaft.»
Starke Körper, junge Körper
In ihrer Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen zeigt Bachzetsis ältere und jüngere Arbeiten sowie eine eigens entwickelte Performance. Bereits in der so aufgefächerten Spanne von rund zwanzig Jahren zeigen sich zeitspezifische Details. Das liegt auch daran, dass popkulturelle Phänomene eine wichtige Rolle in Bachzetsis’ Arbeit spielen, drücken sich doch hier Sexualität, Körperbild und jugendliches Selbstverständnis aktuell und in gesellschaftlicher Breite aus. So behandelt ‹Take on Gold›, 2023, den sexualisierten Körper in der Musikbranche. Doch statt eines makellosen Pop-Idols bewegt sich hier eine reale Frau zu den lapidar auf Blätter gekritzelten Anzüglichkeiten, die sie jeweils zerknüllt und wegwirft: «Das Video kehrt die sexualisierte Sprache um und zeigt die Ermächtigung.» Genderthemen interessieren die Künstlerin seit Langem, Fragen wie: «Warum wird eine starke Frau als zu stark wahrgenommen? Welche Ängste löst eine zu starke Präsenz aus? Wann ist etwas zu stark, zu schön oder zu sexualisiert?» Solche Überlegungen führen sie zu zwei eng damit verbundenen Themen: Kleidung und Sport. Letztgenannter kann den Körper stärken, formen und zeigt doch immer auch Grenzen auf, da bestimmte Bewegungen möglich sind, andere nicht. Manche wiederum gehören in einen üblichen Bewegungsmodus, andere strapazieren das Körpervokabular bis zum Äussersten: «Ich untersuche den Körper als Maschine, den überproduzierten Körper, den Körper als agierende Kraft.»
In ‹Ideal for Living›, 2018, lieferte die Künstlerin Teenagern Handlungsanweisungen wie «Musik hören, beobachten, den Lieblingssport machen». Das sieht im Video alles sehr entspannt aus, ist es allerdings nicht: «Die Instruktion ‹sei du selbst› ist die schwierigste, die es gibt.» Die Jugendlichen lümmeln sich in weiten Hosen und Kapuzenpullovern, auch dies gehört zu ihrem Habitus: «Sie hatten die Instruktion, sich so zu kleiden, wie sie sich sehen.» Bachzetsis kommt hier von Fragen des Körpers zu solchen nach der passenden Hülle: «Was lösen Kleider aus an Körpern und an Menschen? Wo ist das Charisma verankert?»
Accessoires aus dem Sexgewerbe
In ihrer jüngsten Performance ‹Notebook›, 2023, drückt die Künstlerin ihre Affinität zum Fragmentarischen und Skizzenhaften aus. Das Stück ist komponiert aus Sequenzen mit unterschiedlichem Charakter, deren Bewegungsrepertoire unter anderem aus dem Aerobic-Sport stammt, aus der Pornografie, der Disko-, der Selfie- oder der Clubkultur. Kennzeichnend sind auch die Kostümwechsel: Bachzetsis kleidet sich unter anderem mit hochhackigen, roten Lackstiefeln und Netzstrumpfhosen, dann trägt sie wie ihr Performancepartner Antoine Weil Stringbodies und Jeans, dazwischen teilen sie sich eine Bomberjacke oder treten mit nacktem Oberkörper auf. Mit den Kleidern gehen einerseits eindeutige Konnotationen einher, sind doch spätestens seit Julia Roberts’ millionenfach rezipierter Darstellung einer Sexarbeiterin, die dank der Liebe eines finanziell potenten Freiers den Ausstieg aus der Prostitution schafft, gewisse Accessoires in der Massenkultur angekommen. Andererseits manifestiert sich in der Kleidung auch die Entstehungszeit der Performances. Nicht nur modeaffine Teenager können treffsicher zuordnen, ob ein Film in den sogenannten Nullerjahren, den 2010ern oder vor weniger als drei Jahren gedreht worden ist. Dieses modische Verfallsdatum ist für Bachzetsis’ Schaffen mit ihrer Nähe zu Ausdrucksformen der Popkultur nicht unerheblich. Ein solches Werk altert anders als eines, das seine Aussagen unabhängig von kurzlebigen Trends trifft. Das Altern ist eine grundsätzliche Herausforderung in der performativen Arbeit der Künstlerin.
Vom Tanz zur Performance zur Permanenz
Bachzetsis hat eine professionelle Tanzausbildung absolviert, der Körper ist eines ihrer Arbeitsinstrumente. Aber er verändert sich und passt dereinst vielleicht nicht mehr zu einem ursprünglich konzipierten Ausdruck. So hat sich die Künstlerin entschieden, das Stück ‹Perfect› von 2001 an jüngere Generationen weiterzugeben. Im Zentrum stehen der zur Schau gestellte Körper und pointierte Bewegungen im Kippmoment zwischen Fitness und Verführung. In der Kunst Halle Sankt Gallen ist nun eine knapp dreistündige Videoversion zu sehen. Fünf Personen, darunter Bachzetsis selbst, performen ‹Perfect› nacheinander. Alle fünf bringen ihren persönlichen Ausdruck ein, und trotzdem ist es eine homogene Arbeit. Dass dies gelingt, ist eine komplexe Aufgabe in Tanz und Performance allgemein: «Welche Choreografie soll übermittelt werden in welcher Form? Wie werden Instruktionen übermittelt?» Notationen oder Videoaufnahmen sind nur ungenügende Hilfsmittel: «Bei einer Wiederproduktion nach Videoaufnahmen fehlt die Intuition der Choreografin, die Autorschaft», so Bachzetsis, «Performance hat mit Intuition zu tun, mit Energie, Attitüde, dem Dialog mit dem Publikum und dem Dialog mit dem Körper. Sehr wichtig ist auch das Casting.» Wenn die Künstlerin ihre Arbeiten nun an jüngere Performer:innen weitergibt, geschieht das kollaborativ, denn auch durch Beteiligung bleibt das Werk lebendig.
Zugleich beschäftigt sich Bachzetsis mit der Frage der Permanenz: Was bleibt, wenn die Aufführung vorüber ist, die Ausstellung aber andauert? In der Kunst Halle Sankt Gallen wurde die neue Performance im ersten Raum aufgeführt, die Bühnenvorhänge und Requisiten wie prall aufgepumpte LKW-Schläuche sind nun in die Ausstellung integriert. Für Bachzetsis stehen sie zwischen Objekt und Skulptur: «Ich sehe sie nicht als Relikte, ich sehe sie als Arbeiten. Ihr Charakter ist zwischen Installation, Objekt und Skulptur angesiedelt, jenseits der klassischen Definition.» Zudem laufen auf Screens Einspieler aktueller und älterer Stücke: «Ich arbeite fragmentarisch, gegen die klassische Narration. Die Arbeiten haben eine andere Timeline: Sie dürfen aus früheren Arbeiten kommen, aber auch eigenständig bleiben.» Damit verbinden sie sich im Sinne des titelgebenden Notizbuches zu einer Gesamtpräsentation, die fortwährende Denkprozesse anstösst, das Unvollendete, Skizzenhafte zulässt und dennoch retrospektiven Charakter trägt.
Die Zitate stammen aus einem Gespräch mit der Künstlerin am 28.3.2023.
Kristin Schmidt, Kunsthistorikerin, lebt in St. Gallen. post@kristinschmidt.de
→ ‹Alexandra Bachzetsis – Notebook›, Kunst Halle Sankt Gallen, bis 18.6. ↗ k9000.ch
Alexandra Bachzetsis (*1974, Zürich) lebt in Zürich
Ausbildung zur Choreografin und Performerin an der Accademia Teatro Dimitri, Verscio, und am Performance Education Program des STUK, Leuven (BE)
Einzelausstellungen / -projekte (Auswahl)
2020 ‹Obscene›, Kunsthaus Zürich; ‹Chasing a Ghost›, Mudam, Luxemburg
2018 ‹An Ideal for Living›, Centre culturel suisse, Paris
2017 ‹Massacre – Variations on a Theme›, MoMA, New York
2014/15 ‹From A to B via C›, Tate Modern, London; Stedelijk Museum, Amsterdam
2008 ‹Show›, Kunsthalle Basel
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2023 ‹Amaze me›, Muzeum Susch
2017 documenta 14, Athen und Kassel
2014 The Biennial of Moving Images, Genf
2012 documenta 13, Kassel
2008 5. Berlin Biennale
Institutionen | Pays | Ville |
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Kunst Halle Sankt Gallen | Suisse | St. Gallen |
expositions/newsticker | Date | Type | Ville | Pays | |
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Alexandra Bachzetsis — Notebook | 01.04.2023 - 18.06.2023 | exposition | St. Gallen |
Schweiz CH |
Alexandra Bachzetsis |
Kristin Schmidt |