Johanna Bruckner — Ein Sex-Bot lernt das Unwohlsein
Sie befasst sich mit Biopolitik und Posthumanismus, interessiert sich für Quantenphysik aus einer queerfeministischen Perspektive, sprengt menschzentrierte Vorstellungen und kreiert Utopien – ohne dystopische Tendenzen zu negieren. Sie lässt Bots fühlen und plädiert für das Potenzial der Ästhetik in der Kunst. Mit ihrem Ansatz, Performance, digitale Animationen, Found Footage, Sound und Text zu Medienkunst zu vereinen, überzeugt Johanna Bruckner. Die Preisträgerin des Pax Art Awards 2022 in der Sparte aufstrebende Künstler:innen ist jetzt im Haus der Elektronischen Künste in Basel zu sehen.
Johanna Bruckner — Ein Sex-Bot lernt das Unwohlsein
Ob in ihren frühen Performances oder ihrer aktuellen digitalen Kunst: Der Körper – in menschlicher, humanoider oder molekularer Ausprägung – spielt in den Werken von Johanna Bruckner eine zentrale Rolle. Er ist dabei nicht nur ein Träger von Identität, sondern auch ein Konstrukt sozialer Normen und ein Instrument des Widerstands, um tradierte Wertvorstellungen zu überwinden. Dieses Potenzial wird auch in den neuen Arbeiten evident, die Bruckner im Rahmen der Pax Art Awards für Schweizer Medienkunst 2022 an der Seite von Pe Lang und Jennifer Merlyn Scherler im HEK in Basel zeigt. Darin verhandelt die Künstlerin das Verhältnis von Körpern und Technologien, wobei sie mithilfe digitaler Kunst und visuell ästhetischer Anreize auslotet, wie posthumane Daseins- und Beziehungsformen durch Technologie kreiert werden können. Der Körper zeigt sich als wandelbares Element, das die Möglichkeit gleichwertiger Existenz von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen eröffnet. Diese Idee des anpassungsfähigen Körpers weitet sich im HEK auf den Raum und das Publikum aus. Bruckners raumfüllende multimediale Inszenierungen erzeugen nicht zuletzt durch Immersion und Sound eine körperliche Erfahrung und projizieren die durch die Kunst verhandelten Thematiken auf das eigene Sein.
Queerness als Metapher
Wenn Johanna Bruckner von Queerness spricht, meint sie damit keine Identitätspolitik, sondern sie nutzt den Begriff als Metapher für eine fluide veränderbare Masse, die auf Einflüsse reagiert: «Queer bezeichnet für mich eine Artikulation jenseits binärer Regime. Mit der Kunst möchte ich Handlungsformen finden, eine Agency kreieren und die Voraussetzungen für polymorphe Körper schaffen, die sich Ausbeutung widersetzen können.» Dabei stützt sie sich auf die Theorien der amerikanischen Quantenphysikerin Karen Barad, die queer als einen Zustand des permanent Performativen umschreibt.
Mit einem Master in Fine Arts, Kultur- und Sozialanthropologie, Visuelle Kulturen und Gender Studies nutzt Bruckner die Wissenschaft als Referenz, um in ihrer künstlerischen Praxis eine kritische Reflexion anzuregen und Vorstellungen zu erweitern. Veränderungen des Körpers werden in ihren Werken meist durch Technologien ausgelöst. Die Ästhetik ist ihr dabei besonders wichtig, denn über das Visuelle werden ihre Recherchefragen in Kunst übersetzt. Um Vermittlung oder Aufklärung geht es dabei nicht. Vielmehr soll die Kunst dazu anregen, sich mit gesellschaftspolitischen Fragen zu beschäftigen und über den eigenen Tellerrand hinaus zu denken.
Unbehagen ist erwünscht
Die Installation ‹Body Obfuscations›, 2023, und die auf einem Screen präsentierte Videoarbeit ‹Atmospheric Drafts of Intimacy›, 2020, bilden im HEK in Basel ein Environment, das sowohl Utopie als auch Dystopie in sich trägt. Angezogen und zugleich abgeschreckt von skulptural geformtem, rötlichem Latex, das an organisches Gewebe erinnert, erkennt man blutrote Kabel, die in die fleischlich anmutende Masse eindringen und auf eine technologisch künstliche Manipulation des menschlichen Körpers anspielen. Ein Anflug von Panik stellt sich ein. So, wie die Latexfetzen auf den Gerüstkonstruktionen fixiert sind, erinnern sie an Szenen in einem Schlachthaus oder an Laborsituationen und nicht zuletzt an das künstlich generierte, monströse Geschöpf Frankensteins, das sich verselbstständigte und gegen seinen Erzeuger stellte. Die Verbindung zu den aktuellen Debatten um die Potenziale und Risiken Künstlicher Intelligenz liegen auf der Hand. Das Werk Bruckners lässt sich in diesem Kontext als Warnung vor dem Missbrauch von Technologien in Hinsicht auf den Körper lesen, und als Appell, unsere moralische Verantwortung ernst zu nehmen, sie nicht dem technischen Fortschritt unterzuordnen. Dass man sich unbehaglich fühlt, ist von der Künstlerin durchaus erwünscht.
Modern Humans
Utopischere Töne schlägt das Video ‹Atmospheric Drafts of Intimacy› an, indem Science-Fiction als Strategie genutzt wird, um neue Existenzweisen zu erfinden. Johanna Bruckner skizziert Kosmen von nicht-menschlichem Leben, das entsteht, wenn Gase aus der Erde entweichen und sich in der Atmosphäre zu neuen Gebilden zusammensetzen. Diese Körper lässt sie im Video aus dem Weltraum heraus sprechen und versucht damit, das Universum aus den Fängen von «White Male Supremacy» zu lösen und postkolonial zu kodieren. In der Weiterentwicklung der früheren Arbeit ‹Along Tissue, a Leap, Passing›, 2022, die im Kontext von Klimakrise und Umweltverschmutzung die Toxizität real-geografischer Orte und das Vorkommen von Giftstoffen im menschlichen Körper thematisiert, flackern schliesslich auch in ‹Atmospheric Drafts of Intimacy› dystopische Elemente auf. Ob wir es wollen oder nicht, körperliche Transformationen durch Chemie und Technik finden statt. Wir werden zu «modern humans», zu nicht mehr nur rein menschlichen Wesen – man denke etwa auch an die Forschung zu synthetischen Organen in der Transplantationsmedizin.
Eine Kultur der Fürsorge schaffen
Auch werden in unserer Gesellschaft kollaborierende Roboterassistenzen in medizinischen und anderen Bereichen zukünftig wohl vermehrt zum Einsatz kommen. Wer bringt ihnen bei, mit Menschen zu interagieren und empathisch zu sein? Wie wird das gemacht? Und welche Perspektiven werden ihnen antrainiert? Diese Fragen sowie solche zu Fürsorge, Intimität und Sex thematisiert Johanna Bruckner in der mehrteiligen Videoinstallation ‹Metabolic Hardware›, 2023, die installativ in einem abgedunkelten Raum gezeigt wird. Auf sieben, an den Wänden der «Black Box» angebrachten Screens sind digitale Animationen, reale Tanzperformances, das Setting eines fiktionalen chirurgischen Eingriffs, Found Footage feministischer Pornografie, Naturaufnahmen realer Landschaften sowie Szenen von Umweltzerstörung zu sehen. Synchron dazu umhüllt Sound, bestehend aus Musik, Gesang und Sprache, den Raum. Die visuellen und auditiven Ebenen überlagern sich, scheinen zu interagieren und sich gegenseitig zu beeinflussen. Bevor diese Reizüberflutung in Überforderung mündet, zieht einen die Immersion wie ein Sog in die fiktive Parallelwelt hinein, die sich in der Black Box auftut.
Hauptfigur dieser künstlerischen Zukunftsfiktion ist ein Sex-Bot, durch den Beziehungsmöglichkeiten jenseits heteronormativer Vorstellungen ausgelotet werden und der Menschen zum Beispiel in Situationen sexuellen Unbehagens beistehen soll. Um dies tun zu können, wurde der Sex-Bot als biologisches Interface durch KI und eine Sexarbeiterin auf den Aspekt trainiert, Unwohlsein wahrzunehmen und auch andere Gefühle nachempfinden zu können. Während mehrere Screens der Installation die Trainingsdaten und den Lernprozess des Bots veranschaulichen, lässt Bruckner ihn auch selbst und über sich sprechen. Er bekommt eine Stimme und erlangt ein Handlungsvermögen. Er entwickelt eigene Gedanken und reflektiert auch die Bedingungen, unter denen er trainiert und von der technischen Maschine zum fühlenden Care-Bot wird. Die Arbeit kann somit sinnbildlich für den Ansatz stehen, den Bruckner mit ihrem Schaffen verfolgt: Es geht ihr darum, eine Kultur der Fürsorge und des Vertrauens zu fördern, um ein Weltbild zu schaffen, in dem Körper, Technologien und Umwelt im Einklang sind.
Die Zitate stammen aus einem Gespräch mit der Künstlerin am 26.3.2023 in Zürich.
Seraina Peer ist Kunsthistorikerin und Doktorandin an der Universität Bern, lebt in Chur und Bern. seraina.peer@bluewin.ch
→ ‹Pe Lang, Johanna Bruckner, Jennifer Merlyn Scherler: Schweizer Medienkunst – Pax Art Awards 2022›, Haus der Elektronischen Künste HEK, Basel, bis 21.5. ↗ hek.ch
Johanna Bruckner (*1984, Wien) lebt in Zürich
2007 International Development, Universität Wien
2008 Cultural and Social Anthropology, University of Utrecht (Erasmus)
2009 Master in Cultural and Social Anthropology, Visual Cultures, Gender Studies, Universität Wien
2010 Diplom in Cultural and Critical Studies, Akademie der bildenden Künste, Wien
2012 Advanced Program for Professional Artistic Development, Royal Institute of Arts, Stockholm
2014 Master in Fine Arts, Time-based Media und Bühnenbild, Hochschule für bildende Künste, Hamburg
Einzelausstellungen / Screenings (Auswahl)
2022 ‹Boynciana›, das weisse haus, Wien; Berlinische Galerie, Museum für Moderne Kunst, Berlin
2021 MAXXI, National Museum of Contemporary Art, Rom
2020 Schirn Kunsthalle Frankfurt
2019 MAMCO, Genf
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2021 ‹Werkschau Kanton Zürich 2021›, Museum Haus Konstruktiv, Zürich; ‹Mediterranea 19›, Biennale for young art, San Marino; ‹Trovate Ortensia›, Fondazione ICA Milano
2020 ‹End to End›, transmediale, Berlin; ‹The New Alphabet›, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
2019 ‹Hillary›, Cinema Teatro, Parallelprogramm 57. Biennale Venedig
2018 ‹Nomadic Bodies›, Galerie Eigen + Art Lab, Berlin
Institutionen | Pays | Ville |
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HEK (Maison des Arts Electroniques) | Suisse | Basel/Münchenstein |
expositions/newsticker | Date | Type | Ville | Pays | |
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Pe Lang, Johanna Bruckner, Jennifer Merlyn Scherler, Schweizer Medienkunst - Pax Art Awards | 01.04.2023 - 21.05.2023 | exposition | Basel/Münchenstein |
Schweiz CH |
Johanna Bruckner |
Seraina Peer |