Birgit Kempker — Bilder einer Wortakrobatin
In der Grundschule dienten die blauen Sudelhefte einst als Übungsmaterial vor dem Eintrag ins Reinheft: Rund hundertdreissig dieser Exemplare hat die Basler Autorin Birgit Kempker zwischen 2017 und 2022 mit Zeichnungen und Notizen gefüllt. Anfassen und Durchblättern sind erwünscht.
Birgit Kempker — Bilder einer Wortakrobatin
Baden — Auf rauen Holztischen in der Bibliothek des Museums Langmatt liegen zahlreiche Notizhefte der deutsch-schweizerischen Schriftstellerin Birgit Kempker (*1956). Nun ist man eingeladen, in ihre Zeichnungen und Wortkaskaden einzutauchen. Leicht wird es einem allerdings nicht gemacht, denn die Fülle der Eintragungen überfordert beinahe. Wie soll man vorgehen? Spontan oder doch eher systematisch Zeichnungen und Wortschöpfungen herauspicken und auf künstlerische oder literarische Besonderheiten achten? So oder anders – man verliert sich sehr bald darin. Nur das Bimmeln der Pendule erinnert im Halbstundentakt daran, wie die Zeit verrinnt. Der Blick schweift vielleicht aus dem Fenster in den Park, wo bei unserem Besuch eben ein Hochzeitspaar für die Fotografin posiert und Rosaherzen im Winde wehen. Auf einem Notizheft ziert eine Schriftgirlande einen gehörnten Tierkopf. «You burried it. No marriage? No marriage!» steht drauf, und über allem prangt der Titel: «Aus der Traum». Zufall des Augenblicks? Birgit Kempker schreibt und zeichnet wild und spontan ihre persönlichen Bilder und tangiert doch immer wieder Universelles.
Zeichnungen mit Filzstift, Notizen in englischer und deutscher Sprache, expressiv gemalte Köpfe mit Kugelschreiber, Collagen mit Werbebotschaften ziehen vorüber. Man begegnet gefrässigen Amazonen, sich übergebenden Frauen und Coronaviren in Form von witzigen Strichmännchen. Eine weinende Frau mit Niere auf dem Kopf und Vulva in der Magengegend (‹Telemetrisch übertragen›), ein flotter Torero (‹Esel meines Lebens›) oder eine Nonne von zartem Strich (‹My story as a nun›) bevölkern das Universum. Kurzum: Eine überbordende Mischung von rohen und fast kindlich anmutenden Zeichnungen offenbart sich der Leserin. Mehr noch, dadaistische Wortschöpfungen geben Rätsel auf. Oder weiss jemand, was mit «Quellenspukverbund» oder «Tropfenstrom» gemeint ist? Kempker wurde einst mit dem Skandal um das Prosastück ‹Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag› bekannt. In den letzten Jahren hat sie sich als Film- und Hörspielautorin profiliert. Heute arbeitet sie unter anderem als Dozentin an der Zürcher F+F Schule. Eine Kostprobe ihres Multitalents gibt die Baslerin in der Langmatt auch mit dem Digitalbuch ‹I wanted to be your skirt›, das in Kooperation mit der Medienkünstlerin Esther Hunziker entstand, und ein Stockwerk höher mit der freakigen Audioinstallation ‹Meet my spirits›. Kempkers Dämonen sind in der Tat obsessiv, verstörend und – humorvoll.
→ ‹Birgit Kempker›, Museum Langmatt, bis 4.9.; Präsentation des Digitalbuchs mit Birgit Kempker und Esther Hunziker, 25.8., 18:30 Uhr ↗ www.langmatt.ch
Institutionen | Pays | Ville |
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Museum Langmatt | Suisse | Baden |
expositions/newsticker | Date | Type | Ville | Pays | |
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Birgit Kempker | 15.05.2022 - 04.09.2022 | exposition | Baden |
Schweiz CH |
Birgit Kempker | |
Feli Schindler |