Der Modulor

Le Corbusier · Le Modulor, 1950/1956, Lithografie, Steindruckerei Wolfensberger, Zürich © FLC/ProLitteris

Le Corbusier · Le Modulor, 1950/1956, Lithografie, Steindruckerei Wolfensberger, Zürich © FLC/ProLitteris

Karl Blossfeldt · Wurmfarn (Aspidium filix mas), Junge gerollte Blätter in 4-facher Vergrösserung, aus: Urformen der Kunst, Berlin 1928

Karl Blossfeldt · Wurmfarn (Aspidium filix mas), Junge gerollte Blätter in 4-facher Vergrösserung, aus: Urformen der Kunst, Berlin 1928

Hinweis

Der Modulor

Zürich — Aus den Regeln der Natur liessen sich für alle Dinge dieser Welt die richtigen Proportionen ableiten: Daran glaubte Le Corbusier, als er sein eigenes Masssystem ‹Modulor› propagierte. Dieses System, entwickelt ab 1943, mehrheitlich 1945, wendete er für Tische, Stühle und seine eigenen Bauten an, auch für das berühmte Heidi Weber Museum / Centre Le Corbusier (so der Name bis 2014) am Zürichhorn, das die Galeristin Heidi Weber basierend auf seinen und ihren eigenen Ideen bauen liess. Dieses Jahr zeigt der Pavillon Le Corbusier, wie der Bau heute heisst, eine Ausstellung über ebendieses Thema.
Die Schau greift auf alle möglichen Medien und Referenzen aus: Im Obergeschoss beispielsweise zeigt ein kleiner, aber feiner Bereich Fotografien von René Burri, der mit seiner Kamera eine Vielzahl von Le Corbusiers Werken eingefangen hat. Ebenfalls gibt es dort eine Replik des Männerkörpers des Kouros von Volomandra, auch bekannt als Attika, der 560 v. Chr. einem exakten Proportionengitter folgend konstruiert wurde und nun mit abgebrochenem Penis auf eine Erklärtafel des Corbusianischen Systems von 1951 blickt. Richtig üppig wird es im Erdgeschoss, wo sieben mehr oder weniger lebensgrosse und sechs kleinere figürliche, allesamt vollbusige Plastiken die Referenz der menschlichen Physiognomie illustrieren – alle aus dem benachbarten Atelier von Hermann Haller, das gerade renoviert wird und deshalb eine Dépendance brauchte. Le Corbusier hätte bestimmt nichts gegen diese füllige Ergänzung der ansonsten didaktisch ausgerichteten Ausstellung gehabt.
Die Hauptsache allerdings wird im Untergeschoss abgewickelt, wo die Wände viel Platz für das klassische Ausstellungsformat bieten: Hier wird die Herleitung und Anwendung des Modulors in allen ästhetischen Aspekten wunderbar anschaulich gemacht. Erst in der Bibliotheks­nische findet Ernst Neufert Erwähnung: Dessen Oktameter, eine rigide und allumfassende Mass­ordnung im 1,25-Meter-Raster, wurde im nationalsozialistischen Deutschland sozusagen verordnet. Er stellt den historischen Kontext. Le Corbusiers Modulor war an antiken Vorbildern, der Natur und dem goldenen Schnitt angelehnt, und gleichzeitig war er ein Gegenentwurf zur Nazi-Massordnung. Hier verpasst die Ausstellung die Chance, den Modulor in seiner politischen Dimension zu zeigen. Obwohl sich Le Corbusier dem Vichy-Regime anbiederte und seine politische Haltung wechselhaft war, hätte dieser Bezug der ästhetisch inspirierten Schau eine weiterreichende Bedeutung gegeben.

Jusqu'à 
26.11.2023

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