Janet Cardiff & George Bures Miller — Vom Spuk des Wirklichen

Cardiff & Miller · Escape Room, 2021 (Detail), interaktive Mulitmedia-Installation mit Bewegungssensoren, Licht, Geräuschen, Modellen, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Matthias Willi

Cardiff & Miller · Escape Room, 2021 (Detail), interaktive Mulitmedia-Installation mit Bewegungssensoren, Licht, Geräuschen, Modellen, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Matthias Willi

Janet Cardiff & Georges Bures Miller. Foto: Zev Tiefenbach

Janet Cardiff & Georges Bures Miller. Foto: Zev Tiefenbach

Cardiff & Miller · Opera for a Small Room, 2005, Mixed-Media-Installation mit Ton und synchronisiertem Licht, 20’, Loop, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Daniel Spehr

Cardiff & Miller · Opera for a Small Room, 2005, Mixed-Media-Installation mit Ton und synchronisiertem Licht, 20’, Loop, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Daniel Spehr

Cardiff & Miller · The Killing Machine, 2007, Mixed-Media-Installation, 5’, Courtesy Luhring Augustine, New York, Gallery Koyanagi, Tokio, und Fraenkel Gallery, San Francisco. Foto: Seber Urgate, Lorena López

Cardiff & Miller · The Killing Machine, 2007, Mixed-Media-Installation, 5’, Courtesy Luhring Augustine, New York, Gallery Koyanagi, Tokio, und Fraenkel Gallery, San Francisco. Foto: Seber Urgate, Lorena López

Janet Cardiff · To Touch, 1993, Holztisch, Lichtsensoren, Glühbirnen, Audiosystem (18 Lautsprecher), Courtesy Luhring Augustine, New York, Gallery Koyanagi, Tokio, und Fraenkel Gallery, San Francisco

Janet Cardiff · To Touch, 1993, Holztisch, Lichtsensoren, Glühbirnen, Audiosystem (18 Lautsprecher), Courtesy Luhring Augustine, New York, Gallery Koyanagi, Tokio, und Fraenkel Gallery, San Francisco

Cardiff & Miller · Sad Waltz and the Dancer Who Couldn’t Dance, 2015 (Detail), Holztisch, Marionetten, Robotertechnik, Ton, Licht, 4’, Loop, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Daniel Spehr

Cardiff & Miller · Sad Waltz and the Dancer Who Couldn’t Dance, 2015 (Detail), Holztisch, Marionetten, Robotertechnik, Ton, Licht, 4’, Loop, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Daniel Spehr

Fokus

Janet Cardiff & George Bures Miller verwandeln die Ausstellungsräume im Museum Tinguely in eine Black Box und verkabeln darin die ganz reale Gegenwart mit Erinnerung, Traum und Projektionen. Das kanadische Künstlerpaar ist längst bekannt für seine Liebe zu Klang und zur Stimme. Nun bietet die erste, grössere Übersichtsausstellung in Basel eine ganze Kette intimer Abenteuer.

Janet Cardiff & George Bures Miller — Vom Spuk des Wirklichen

Asynchron bewegen sich der reale Körper und die Apparatur, die ihn umschliesst. Zwei hüpfende Füsse in einem schaukelnden Monitor treiben die Idee vom Gewicht und seiner Wirkung in zwei Richtungen. Und während sich das technologische Setting gegen alle Überprüfbarkeit sperrt, umgibt uns schon zum Auftakt jene heitere Magie, die wie eine Komplizin des Künstlerduos dessen ganze Schau im Museum Tinguely bewohnt. Wer löst was aus? Woher kommt der Sound, und was hat er mit uns zu tun? Eine Glühbirne als Pendel zieht den Raum und uns selbst mit ins Schattenspiel. George Bures Millers kinetisches Diptychon ‹Imbalance.1›, 1994, geht vor die Zusammenarbeit zurück, die das Paar Janet Cardiff und Georges Bures Miller seit den späten 1990er-Jahren auch künstlerisch zusammenhält.

Illusionsmaschinen
Das Aufregendste in ihrem ebenso grosszügig wie präzis ausgelegten Parcours bleibt, in welch entspannter Beiläufigkeit uns die beiden in ihre Mitte nehmen. Nur, um uns immer wieder mit unserer eigenen Fantasie ganz allein zu lassen. Die Diapositive von Georges Grossvater in ‹Road Trip›, 2004, die dieser von seiner Reise von Calgary nach New York hinterlassen hat, versetzen uns in Vereinslokale oder alte Stuben, wo das regelmässige «click» des Karussells die Reiseberichte rhythmisierte. Die unspektakulären, weil von Stereotypen geprägten Bilder tragen Altersspuren und werden untermalt vom leisen Zwiegespräch des Künstlerpaars. Mit Blick in ein privates Bildarchiv sitzen wir am Nerv jener spekulativen Nachdenklichkeit, die Vergangenes im eigenen Kopf wieder aufleben lässt. Intimität stellt sich ein – ein Schlüsselfaktor in Cardiff & Millers Illusionsmaschinen: «Es ist mir super wichtig, dass Betrachterinnen und Betrachter versuchen, in meine Fussstapfen zu treten. Dass sie meinem Atem folgen und meiner Stimme», sagt Janet Cardiff, auch angesprochen auf die Audio Walks, die in Münster 1997 und Kassel 2012 der Stadt eine akustische Landschaft hinzugefügt hatten. «Durch die Technologie entwickelt sich eine Beziehung zwischen mir als Künstlerin und dem Betrachtenden.»
Die Installationen im Museum Tinguely nisten sich in den Ohren ein, machen uns zu Akteuren und zu Beobachterinnen und weisen vor allem nach, dass sie sich erst mit unserem Dasein ganz vollenden. In ‹To Touch›, 1993, wecken unsere Hände über dem hölzernen Tischblatt Stimmen aus Lautsprechern rundum. ‹The Instrument of Troubled Dreams›, 2018, lässt uns unabhängig von Notenkenntnis, geschweige denn Virtuosität einen subjektiven Soundtrack erfinden. In ‹Sad Waltz and the Dancer Who Couldn’t Dance›, 2005, taumelt, von Robotik diktiert, die Marionette im Takt von trauriger Klaviermusik. Die Schausteller schon früherer Generationen wussten es: Musik geht direkt ans Herz. Und legt umso deutlicher offen, wie die Gefühle von Gefangenschaft und Sehnsucht einander bedingen.
In der ersten, grösseren Übersichtsausstellung von Cardiff & Miller führt das Museum Tinguely zahlreiche Arbeiten seit den 1990er-Jahren zusammen. Basel ist die zweite Destination nach dem Lehmbruck Museum in Duisburg. Die Pandemie hat der Schau den ‹Escape Room›, 2021, hinzugefügt. Denn aus der unfreiwilligen Introspektion des Lockdowns keimte im Studio Cardiff & Miller ein ebenso desparater wie verspielter Futurismus: Durch eine schliessbare Tür betreten wir ein Laboratorium, das Modell einer Stadt im Stadium des Making-of und zugleich das Raunen einer Gegenwart, die Schutz und Überwachung nicht mehr auseinanderhält. Möblierte Hochhäuser erheben sich über Tischen, Pfahlbauten und die Skyline einer architektonischen Utopie sind mit Bewegungsmeldern ausgestattet, sodass wir unabsichtlich Lichter anwerfen, von Stimmen oder beweglichen Elementen überrascht werden. Durchgeistert von Technologie trägt die menschenleere Stadt Versatzstücke einer langen Kulturgeschichte zusammen. Das Gefühl des Eingeschlossenseins kontert dieses Interieur mit kurzen Narrativen offenen Ausgangs. Dabei outet sich das Künstlerduo gar nicht erst als genialischer Erfinder, sondern folgt – do it yourself – mit seiner verspielten Lust einem weit verbreiteten Bedürfnis: «Sehr viele Leute lieben es, eigene Welten zu schaffen. Das hat mit Kontrolle zu tun und mit der Möglichkeit, in eine andere Wirklichkeit zu entkommen.»

Im Geist des Spiels
Das Gespräch mit den beiden macht erlebbar, wie eng ihre individuelle Könnerschaft verwoben ist und wie innig sie sich herauszufordern, zu korrigieren und zu ergänzen wissen. «Wir haben gegenseitig an unseren Werken mitgearbeitet», erinnert sich Janet Cardiff an ihre frühe gemeinsame Praxis. Der Verzicht auf sofortige Zensur sei wichtig auf dem Weg zwischen Idee und Umsetzung und das Aufgeschlossensein gegenüber marginalen Ergebnissen. «Wir lieben es, uns Ideen zuzuspielen und sie zu entwickeln», meint sie. Und George: «Sie hat den grössten Teil der Walks geschrieben, ich habe sie ediert.» Janet: «Er nennt mich eine verrückte Macherin.» Und George: «In ihrem Atelier sieht es aus wie in einer Puppenfolterkammer.»
Eine für ihn frustrierend formalistische Malerei hatte George Bures Miller schon in den 1980er-Jahren zur Film- und Medienkunst getrieben. «Ich wollte, dass Dinge sich bewegen, um selbst in der Malerei zu sein.» Janet Cardiff sollte damals den Sound für sich entdecken und die Möglichkeit ortsspezifischen Erzählens übers Ohr. Und während heute jedem neuen Werk eine unerbittlich exakte Programmierung zugrunde liegt, bleibt doch zunächst und vor allem ein verspielter Humor, ein «spirit of play» Triebwerk des gemeinsamen Schaffens.
Die Installationen von Cardiff & Miller führen dosiert die grosse Geschichte von Kino, Audio- und Bühnenkunst mit. Dabei hören und schauen wir manchmal verwundert, manchmal angerührt zu, wie sie uns im analytischen Zugriff überlisten und teilhaben lassen am Speicher kollektiver Träume. «Wir leben in einer Welt der Analysen, es gibt immer weniger Raum für die Magie.» Darum sollen und dürfen bei ihnen Musik, Licht und Sprache auch in ganz realen Dingen wohnen. Eine Kommode wird zum Hör-Archiv, und Lautsprecher versammeln sich, klein und gross, wie Schüsseln auf einem Markttisch. ‹Opera for a Small Room›, 2005, konstruiert aus Requisiten das Refugium eines Sammlers, eine räumliche und akustische Partitur formt aus der Abwesenheit einen fiktiven Bewohner – einen Geist, vernarrt in Musik.

Wie Tinguelys Kinder
Jean Tinguelys Maschinen, Kleinplastiken oder auch seine Altarvisionen aus Altmetall und Schädelknochen stiften den Rahmen zu Cardiff & Millers Basler Auftritt. In der unmittelbaren Nachbarschaft wird ein Generationensprung erlebbar. Tinguelys Arbeit rasselt analog, ist elektrisch und mit Motoren angetrieben. Bildeten Fasnacht, die Euphorie für Tempo und Explosionen oder die Erinnerung an die Todeskammern des NS-Regimes das Hintergrundrauschen seiner Assemblagen, war der Folterskandal von Abu Ghraib ein Trigger für Cardiff & Millers ‹The Killing Machine›, 2007. Zwei metallene Arme stechen über einer beweglichen Liege auf einen Körper ein, den nur unserer Vorstellung zu sehen gibt. Was der Mensch erfunden hat, schlägt auf ihn zurück. Die Grenze zwischen Unterhaltung und Folter ist dünn geworden und die Eventisierung von Gewalt längst Teil unserer medialen Kultur. Per Knopfdruck geht die Verantwortung für die perfide Operation an uns über. Die Apparatur können wir nicht stoppen. Doch ist ihr Handlungsraum begrenzt, während die Fantasie weiterrasselt, auf Widerstand pocht und unbedingt aufruft zum Spiel.

Isabel Zürcher, freie Kunstwissenschaftlerin und Autorin in Basel. mail@isabel-zuercher.ch

→ ‹Janet Cardiff & George Bures Miller – Dream Machine›, Museum Tinguely, Basel, bis 24.9.  ↗ tinguely.ch
→ Extra muros: Janet Cardiff, ‹The Forty Part Motet›, 2001, Ackermannshof, St. Johanns-Vorstadt 21, bis 10.9. ↗ druckereihalle.ch

Jusqu'à 
24.09.2023

Janet Cardiff & George Bures Miller (*1957, Brussels, CA / *1960, Vegreville, CA)
leben in British Columbia

Einzelausstellungen (Auswahl)
2022 Lehmbruck Museum, Duisburg
2019 Museo de Arte Contemporáneo de Monterrey
2017 21st Century Museum of Contemporary Art, Kanazawa
2015 ‹The Infinity Machine›, Menil Collection, Houston
2014 ‹The Marionette Maker›, Museo Reina Sofía, Madrid
2013 ‹The Cloisters›, Metropolitan Museum of Art, New York
2005 ‹The Secret Hotel›, Kunsthaus Bregenz
2001 ‹The Paradise Institute›, 49. Biennale von Venedig, Kanadischer Pavillon

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2017 ‹Cinéma mon amour›, Aargauer Kunsthaus, Aarau
2014 19. Biennale von Sydney
2012 documenta 13, Kassel
1997 Skulptur Projekte Münster
 

expositions/newsticker Date Type Ville Pays
Janet Cardiff 01.07.2023 - 10.09.2023 exposition Basel
Schweiz
CH
Janet Cardiff, George Bures Miller 07.06.2023 - 24.09.2023 exposition Basel
Schweiz
CH

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