Reto Geiser
Reto Geiser
Eidgenössischer Preis für Kunst - Kunst-und Architektur-Vermittlung
STANDPUNKTE ist eine Plattform zur Förderung des Dialogs und des kritischen Austausches zwischen aufstrebenden Stimmen in Architektur, Design und Kunst. In einem informellen Rahmen haben in Basel seit 2005 über dreissig Vorträge, Gespräche, Diskussionen, Lesungen, Workshops und Ausstellungen zur zeitgenössischen Architekturkultur stattgefunden.
Seit 2009 veröffentlicht STANDPUNKTE unregelmässig Manifeste, Ideen,
kritische Betrachtungen oder Entwürfe, die aktuelle Positionen aufzeigen oder historische Themen aus zeitgenössischer Perspektive reflektieren.
Über den Architekturdiskurs
Architektur ist ein inhärenter Teil jeder Gesellschaft. Sie bekundet sozio-politische wie ökonomische, technologische wie kulturelle Zustände und ihre Transformationen über die Zeit. Das Aufgabenfeld und das Berufsbild des Architekten unterliegen im Rhythmus dieser kontextuellen Veränderungen regelmässigen Neu- und Umdeutungen. Über den Lauf der letzten zwei Jahrzehnte hat sich in der Architektur als Reaktion auf den ungesättigten Hunger des Marktes nach allgemeingültigen Unterscheidungsmerkmalen und dem medialen Drang nach global vermarktbaren Individuen ein Star-System herausgebildet, das ausgewählte Architekten zu Pop-Ikonen erhob. Durch die überhöhte Betonung bildhafter Werte in der Architektur wurde der Diskurs einmal mehr weg von gesellschaftlichen und politischen Fragen hin zu Strategien des Marketings bewegt. Eine erste Euphorie, die Architektur beinahe ausschliesslich über den Status ihrer Schöpfer und die vermarktbare äussere Wirkung zu definieren, scheint verflogen. Selbst einige der gefeiertsten Architekten beklagen mittlerweile die Limitationen des Neologismus «Starchitekt» gegenüber den vielschichtigen Anforderungen an den Berufsstand. In einem Interview gab der niederländische Architekt Rem Koolhaas kürzlich zu Protokoll, dass er lieber nicht als Star bezeichnet werden möchte, da Stars den Ruf hätten, keine guten Absichten zu haben und sich über die Anliegen der Klienten hinwegzusetzen.1 Die Zeit scheint mehr als reif, den Diskurs, der durch die Zeichenhaftigkeit verführerischer Bilder und einprägsamer Formen an der Oberfläche stecken blieb, neu und auf allen Ebenen der Architektur-kultur zu beleben. Es ist die Aufgabe der Architekturvermittlung, ein breites und vielfältiges Verständnis und Interesse an der gebauten Umwelt
sowohl über den engen Kreis der medial wirksamen Star-Figuren als auch den oft unnahbaren Elfenbeinturm der Akademie hinaus zu fördern. Wir müssen dem Diskurs neue Kriterien der Qualität und Kritik zu Grunde legen, damit eine kritische Diskussion und differenzierte Rezeption der Architektur erneut gefördert wird. Es ist für kulturelle Institutionen nicht einfach, dem populären Starkult auszuweichen, da dieser eine maximale mediale Wirkung und damit vermeintlichen Erfolg beschert. Dennoch lohnt es sich, das Risiko einzugehen, dort anzusetzen, wo die Positionen noch nicht verhärtet und allgemeingültig sind, wo es Raum und Offenheit für weitere Entwicklungen gibt. Gerade in der Schweiz, einem Land grösster öffentlicher Zurückhaltung, beginnt der aktive Dialog kaum im Rahmen gefüllter Festsäle. Durch die vermehrte Schaffung von informellen Initiativen, Orten des Austausches und der Manifestation von konstruktiv-kritischen Beiträgen zur Architektur ist es möglich, von der Basis aus alternative Perspektiven zum vorherrschenden System zu bieten. Die wahrscheinlich nachhaltigste Vermittlungsform ist die Ausbildung und Unterstützung des Nachwuchses - von der Volksschule über die Universitätsstufe bis zu den jungen und aufstrebenden Architekturschaffenden -, die Ermutigung zum kritischen Reflektieren und Hinterfragen, die Förderung einer anhaltenden Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen der Disziplin; denn ein kritischer Diskurs ist die Grundlage guter Architektur.
1) Reto Geiser, Interview CNN mit Rem Koolhaas, 24. Juni 2009, «Living differently»,
http://edition.cnn.com/video/#/video/international/2009/06/24/ta.a.rem.koolhaas.cnn?iref=videosearch
1976 Geboren in Bern
Lebt und arbeitet in Basel
Berufliche Kurzbiografie
1996-2002 Architekturstudium, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH)
und Columbia University, New York
2002-2003 Assistent ETH Studio Basel, Institut Stadt der Gegenwart
2003-2004 William Muschenheim Fellow und Dozent, Taubman College of Architecture and Urban Planning, University of Michigan
Seit 2001 Selbständige Arbeiten im Bereich Architektur und visuelle Kultur sowie deren Vermittlung
Seit 2005 Dissertation am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta), ETH Zürich
Publikationen
4/2007 Architecture Officielle Maudite: The Zurich Kongresshaus between Preservation and City Marketing,
mit Martino Stierli, in: Future Anterior, New York, Columbia University
2008 Berlin Tapes I-III, mit Jürgen Mayer H., Andreas Ruby und Mark Wasiuta, in: Marc Angélil, Dirk Hebel (Hg.), Deviations: Designing Architecture, A Manual, Basel, Birkhäuser
2008 Architectural Research: Explorations of Socio-Technical Boundaries, mit Angelus Eisinger,
in: Aaron Betsky, Architecture Beyond Building, Venedig, Marsilio
2008 Explorations: Teaching, Design, Research, Bundesamt für Kultur, Basel, Birkhäuser
2009 Erziehung zum Sehen: Sigfried Giedion und die Rolle des Bildes in Architektur, Kunst und Wissenschaft,
in: Werner Oechslin und Gregor Harbusch (Hg.), Giedion und die Fotografie, Zürich, Verlag gta
Auszeichnungen/Preise
2003 William Muschenheim Fellowship, University of Michigan
2006 Die schönsten Schweizer Bücher
2007 Marshall McLuhan Fellowship, University of Toronto
2007 Goldene Letter, Stiftung Buchkunst, Frankfurt/Leipzig
2007 Book of the Year, American Institute of Graphic Arts, New York
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