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Das wohl wunderbarste Werk, das im ausgehenden Jahrhundert auf schweizerischem Boden geschaffen wurde, ist Fischli/Weiss' Skulpturengruppe «Plötzlich diese Übersicht», 1981. Dutzende von tongebrannten Figürchen und Objekten schaffen eine narrativ abstrakte, privatistische Kosmologie und sind vom tiefen Verlangen getrieben, Komplexität befreit zu ignorieren. Aus heutiger Sicht scheint es nun interessant zu sein, dass «Plötzlich diese Übersicht» zeitgleich geschaffen wurde, als in der amerikanischen Kunstkritik heftige Kämpfe um den Pluralismus geführt wurden. Die post-modernistisch regressive Kritik fand im Pluralismus, in dem angeblich alles möglich wurde, einen Befreiungsschlag gegen die «Doktrin der 60er und 70er Jahre», während die progressive Kritik Pluralität und Differenz ins Feld führte und den Pluralismus als Feind eines kritischen Avantgardismus sah. Die Auflösung jeglicher ideologischer Parameter und die unverbindliche Vielfalt, gegen die mit Verve argumentiert wurde, scheinen sich heute nun unter anderen Vorzeichen zu wiederholen. Seit selbst in Mainstream-Medien bekannt geworden ist, dass sich die Kunstwelt nicht mehr allein auf New York und Köln beschränkt, sondern ebenso auf Berlin, Los Angeles, aber auch auf Kairo, Seoul, Lagos, Sao Paolo, Kuba, Osteuropa, China etc., erleben wir eine ähnlich gelagerte Diskussion.
Mag die Offenheit der nach wie vor westlich dominierten Institutionalisierung der Kunst gegenüber neuen Kulturräumen zwar von Liberalität zeugen, muss sie zugleich auch als Ausdruck einer radikalen Expansionsgeste des Marktes gesehen werden. Was zuvor nicht zugänglich war, wird nun verfügbar gemacht. Nach der Realpolitik folgt die Kultur, oder im Falle China könnte argwöhnisch behauptet werden, dass diese hier umgekehrt symbolisch instrumentalisiert wird, um real- und vor allem wirtschaftspolitische Ziele zu verfolgen.Ist dies also ein Plädoyer für mehr Übersichtlichkeit? Nein, doch es ist ein moderates Manifest, in der Vielheit Beschränkung zu suchen, ohne dabei die globale Vielheit ausser Acht zu lassen. In den 80er Jahren waren nicht der Pluralismus des «Anything Goes» radikal, sondern Beschränkung und Verbindlichkeit. Auf die heutige Situation übertragen bedeutet dies, dass es gerade Aufgabe der Kunstvermittlung sein muss, sich des geographischen, kulturellen, sozialen und historischen Ausgangspunktes zu vergegenwärtigen und diesen als alleinigen Angelpunkt jeglichen Handelns zu verstehen. Einzig eine solche Übersetzungsarbeit schafft denn auch die Voraussetzung eines kritischen und spezifischen Dialoges, der sich nicht in ahistorischer Horizontalität, sondern in Historizität und Tektonik manifestiert. In diesem Sinne muss sich eine kuratorische Praxis stets im fluiden Gefüge positionieren und die Notwendigkeit ihres Tuns zumindest im Augenblick verstehen. Oder anders formuliert: Um der Unübersichtlichkeit Herr zu werden, muss Übersichtlichkeit ausgehalten werden.

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