Mirko Baselgia - Das Museum in natura
Fussabdrücke, Brandzeichen, Einschusslöcher - der schlechte Eindruck, den wir auf die Natur machen, nimmt ganz unterschiedliche Formen an. Der Bündner Mirko Baselgia sucht dafür einen künstlerischen Ausdruck. Und findet ihn in Arbeiten, die ihn selbst in finanzielle Schwierigkeiten bringen. In ganz ähnliche Probleme also, wie sie das Kunstmuseum Olten immer noch plagen, wo Baselgia aktuell eine grosse Einzelausstellung eingerichtet hat.
Mirko Baselgia - Das Museum in natura
Jetzt war der Wald doch endlich einmal aufgeräumt. Aber nein, schon mussten Museumsbesucherinnen und -besucher daherkommen und alles durcheinanderbringen. Der Bündner Mirko Baselgia ordnete im ersten Stock des Kunstmuseums Olten säuberlich getrennte Arvennadeln, Arvenholzspäne und gehäckselte Arvenholzrinde zu einem an Renaissance-Bodenbeläge erinnernden Muster an. Kaum aber wurde der Mensch reingelassen - also bei der Vernissage -, zeigte sich auch schon dessen ökologischer Fussabdruck in der Bodeninstallation. «Ich habe quasi den Wald geordnet. Eigentlich schön, dass für einmal der Mensch dafür sorgt, dass eine Situation wieder natürlicher wirkt», freut sich Baselgia.
Soeben ist der Mensch noch durch einen Raum gegangen, in den Baselgia einen kargen Zookäfig gebaut hat. Im gleichen Stock des Kunstmuseums Olten wird man ihn als Nachbildung des Lebensraums eines Wolfes im Belgrader Zoo - zu sehen im Video ‹Lupus›, 2011 - erkennen, in dem das Tier, und das ist schwer erträglich, permanent hin- und hergeht. Seine Welt ist eindeutig zu klein. «Als ich noch einmal in Belgrad war, um das Gehege für die Nachbildung genauer auszumessen, wurde es gerade umgebaut. Während dieser Zeit waren drei Wölfe in so einem Käfig untergebracht», erinnert sich der Künstler. Während in den Zoos grundsätzlich ein Umdenken stattfindet und die Tierperspektive in lebensraumgetreuen Gehegen scheinbar wichtiger wird als die möglichst unverstellte Betrachtersicht, bleibt das Tier doch empfindlich in seiner Freiheit beschnitten. «Mir geht es nicht primär darum, einen Vorwurf zu formulieren. Ich stelle mit dieser Arbeit nur eine Situation zur Diskussion. Man muss zum Beispiel wissen: Den Pinguinen werden angeblich im Basler Zoo Antidepressiva ins Essen gemischt», so Baselgia. Lässt er deshalb die Museumsbesucherinnen und -besucher eine ähnliche Spur durch den Arvenboden ziehen, wie sie der Wolf auf seinen Miniwanderungen in den kargen Zoobetonboden kratzt? «Mich interessiert vor allem das Verhalten des Menschen in Bezug auf seine Umwelt.»
Das alphabetische Branding
Wobei der Fussabdruck noch eine harmlose Metapher ist. In einem nächsten Raum glüht einem ein sichtbar heisses Eisen entgegen. Es handelt sich um ein aufgeheiztes Brandeisen, wie es zur Kennzeichnung von Kühen verwendet wird. Und wie es ja auch Pate stand für den Marketing-Begriff des «Brandings». Gekennzeichnet würden hier die Kühe mit einem sogenannten Aleph, einem phönizischen Buchstaben, der ursprünglich ein Rind abbildete. Daraus entstand unser A, das heute interessanterweise alleine eher für Anarchie steht. Haben wir etwa dem Rind unser Alphabet und also unsere Sprache zu verdanken? «Ich frage mich mit dieser Arbeit, inwiefern die beginnende Sesshaftigkeit und das Halten von Tieren mit der Entwicklung der alphabetischen Schriftsprache zusammenhängen, diese vielleicht gar erst nötig machten», entgegnet Baselgia. Jedenfalls würde sein Brenneisen - wenn es nicht vorher die Museumsbesucher/innen verletzt - dem Rind ein Rind einätzen.
Auf einen fragwürdigen Tiefpunkt im Verhalten des Menschen zum Tier verweist dann das Einschussloch in einem aus Marmor gebildeten Stierschädel gleich daneben. Baselgia hat den betreffenden Stier auf die Schlachtbank begleitet - und gesehen, dass nach dem Bolzenschuss ins Gehirn des Tiers der Tod erst prozessual einsetzt. Diesen Prozess - «die Augen werden irgendwann etwas milchig» - hat Baselgia zeichnerisch verfolgt und dabei mit sichtbar zitterndem Strich festgehalten, was nicht mehr festgehalten werden konnte: das aushauchende Leben des Stiers.
Der Künstler vor der Banca rotta
Dass neben wertvollem Marmor einfache Zeichnungen zum Einsatz kommen, ist ein Novum für Mirko Baselgia: «Das hat einerseits damit zu tun, dass ich - etwa in einer Dürer-Ausstellung - die Erfahrung gemacht habe, dass kleinformatige Arbeiten oft fesselnder sind, als die grossen Installationen», so der Künstler. Doch die ‹Restructuraziun›, wie die Arbeit mit den Arvennadeln einen Stock höher heisst, hat auch noch einen anderen Grund. Einen finanziellen, was gerade angesichts der prekären Finanzsituation in Olten besonders pikant ist. Während die Stadt Steuerausfälle eines Stromkonzerns irgendwie auffangen muss - und man prompt das Kunstmuseum schliessen wollte -, muss der Künstler die Investitionen in seine grossformatigen und aufwändigen Werke verkraften.
Dabei hat er sich stark verschuldet, auch weil Künstlerinnen und Künstler heutzutage ihre Arbeiten meist selbst (vor)finanzieren müssen. Abhilfe soll nun ein ganz neues Werk schaffen: «Wird die neue Arbeit ‹Banca rotta› verkauft, eine vergrösserte Nachbildung einer Wechselbank aus den Ursprungszeiten der Institution ‹Bank›, die kopfüber an der Decke hängt, werden damit gleichzeitig meine Schulden getilgt», erläutert Baselgia. Wenigstens würde er dann mit einer schwarzen Null aus dem ganzen Handel rauslaufen. Und trotzdem wären auch die Stimmen bestätigt, die in der Kunst auch nur eine kleinere, erst noch schön anzusehende Version unseres aktuellen Turbokapitalismus sehen.
Aufwand und Ertrag
Baselgias Arbeit jedenfalls profitiert - noch so ein ökonomischer Begriff - durchaus von dieser Restrukturierung: Eine enorm aufwändige Arbeit im Erdgeschoss - ein Holzpaneel wird erst hinterleuchtet, wenn man einen Einfränkler einwirft, worauf man eine hinten ins Holz eingefräste Darstellung einer Engadinerstube erblickt - zeigt, dass mehr oft weniger ist. Aufwand und Ertrag stehen hier in keinem Verhältnis. Während Baselgias Oltner Ausstellung ‹The pattern which connects.› im ersten Stock eher den Einfluss vom Menschen auf das Tier darstellt - mit Brenneisen, Käfigen, Einschusslöchern -, ist im Erdgeschoss der Einfluss von Geld auf den Menschen fast ebenso schmerzhaft nachzuvollziehen. Fehlt nur noch, dass uns die Banken unsere Schulden - und jede und jeder hat in diesem ausgeklügelten System irgendwie Schulden - kurzerhand in die Haut einbrennen.
Daniel Morgenthaler ist Kurator am Helmhaus Zürich und freischaffender Autor, dani_moergi@hotmail.com
Mirko Baselgia (*1982, Lantsch/Lenz) lebt in Lantsch/Lenz
2005-2008 BA Fine Arts, Zürcher Hochschule der Künste
2007 Austauschsemester Università IUAV di Venezia, Venedig
2008-2010 MA Fine Arts, Zürcher Hochschule der Künste
Einzelausstellungen
2010 ‹Meisterstück›, Museum für Gestaltung (Garten), Zürich
2011 ‹Spatio-Temporal Pattern›, Herrmann Germann Contemporary, Zürich
2013 ‹Primavera›, Manor Kunstpreis, Bündner Kunstmuseum, Chur; ‹Midada da structura›, Galerie Edition Z, Chur
2014 ‹The pattern which connects.›, Kunstmuseum Olten›, ‹Aleph - fier bugliaint›, Choisi - One at a time, Lugano
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2003 Jahresausstellung der Bündner Künstlerinnen und Künstler, Bündner Kunstmuseum, Chur
2007 ‹Materia Prima›, Papiersaal Sihlcity, Zürich
2009 ‹repetiziun.repetiziun.repetiziun›, Galerie Pesko, Lenzerheide ‹Delayed›, Schmuck Inc, Zürich
2013 ‹Banana Split›, Sonnenstube, Lugano Vordemberge-Gildewart-Stipendium, Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz
2014 ‹Werkstoff Glas›, Forum Vebikus, Schaffhausen‹Punt'ota›, Vias d'art Pontresina‹Garten-Kunst-Architektur II›, sic! Raum für Kunst/o.T. Raum für aktuelle Kunst im Kunstpavillon, Luzern
Institutionen | Pays | Ville |
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Kunstmuseum Olten | Suisse | Olten |
expositions/newsticker | Date | Type | Ville | Pays | |
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Mirko Baselgia | 26.10.2014 - 11.01.2015 | exposition | Olten |
Schweiz CH |
Mirko Baselgia |
Daniel Morgenthaler |