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Gérard de Palézieux - Die Inkommensurabilität jedes Augenblicks

Vevey – Obschon seit seiner Jugend nie in einem anderen Beruf als demjenigen des Malers, Zeichners und Stechers tätig, erhielt Gérard de Palézieux (*1919, Vevey; †2012, Veyras bei Siders) erst zu seinem 70. Geburtstag seine erste institutionelle Ausstellung im Musée Jenisch Vevey. Genug Kunstliebende nahm diese jedoch für ihn ein, dass er in den nächsten Jahren gleich mit den damals wohl je prestigeträchtigsten Kunstpreisen in den Kantonen Waadt und Wallis geehrte wurde.  

Eine Auswahl seiner sämtliche Techniken umfassenden Druckgrafik an keinem geringeren Ort wie das Het Rembrandtshuis Amsterdam suggerierte indes bereits 2000, dass sein Werk wenigstens in diesem Medium immer wieder an eine Stimmigkeit rührt, die ihn unter die Meister/-innen der Kunstgeschichte einreiht. Von dieser universellen Dimension des Künstlers sind nun die Kunsthistoriker Florian Rodari und Ger Lujten mehr denn je auch überhaupt überzeugt, seit sie den vom Künstler in der Fondation William Cuendet & Atelier de Saint-Prex im Cabinet cantonal des estampes unter dem Dach des Musée Jenisch Vevey deponierten Nachlass gesichtet haben, der nicht nur Tausende eigener Arbeiten, sondern auch eine feine Sammlung von Stichen von Tintoretto bis zu Morandi besteht. In der von ihnen kuratierten Ausstellung, die bereits in der von Ger Lujten geleiteten Fondation Custodia in Paris gezeigt wurde und vermutlich ab dem 30. April nochmals für zehn Tage im Musée Jenisch zu entdecken ist, haben sie deshalb die Druckgrafik des Künstlers aus der am Anfang im Vordergrund stehenden Malerei erst langsam auftauchen lassen und dann auch weiter notabene in einen Bezug gesetzt zu den zunehmend in eigenem Recht gepflegten anderen Arbeiten auf Papier.

Akademiker und Outsider
Nur durch diese immer stärkere Hinwendung zur trockenen wie auch nassen Zeichnung hat der kunsthistorisch nicht einfach einzuordnende Künstler vielleicht einen Zug an sich, der ihn mit Entwicklungen der offiziellen Kunst der Gegenwart verbinden lässt. Dass er seit Langem von der auf art brut spezialisierten Galerie du Marché in Lausanne vertreten wird, ist jedoch irreführend, wenn es auch wieder sprechend sein mag für das Schicksal akademischer Künstler/-innen, wie er einer war – und blieb. So durchlief er 1935-1938 nicht nur die Ecole des Beaux-Arts in Lausanne. Aufgrund einer Unachtsamkeit der Behörden gelang es ihm trotz der Schliessung der Grenzen 1939-1943 an der Accademia di Belle Arti in Florenz die klassische Meisterschaft zu erlangen, die ihm vorschwebte. Dabei verliebte er sich nicht nur in die von einer Klarheit wie nach einem Gewitter bestimmten Tafeln und Fresken der Frührenaissance. Er wurde in diesen Jahren auch auf die intimen Bilder von Giorgio Morandi aufmerksam.

Verblüffend ähnlich wie der damals von ihm auch frequentierte italienische Künstler damals bereits seit drei Jahrzehnten mit seinen Schwestern in der Via Fondazza 66 in Bologna gelebt und gearbeitet hatte, zog sich Palézieux ab 1943 mit seiner aus einfachen Verhältnissen stammenden Frau Madeleine Suter in das kleines Rebhaus seiner Familie  oberhalb von Siders im Wallis zurück, wo sein Leben vom ersten Morgenstrahl bis zum mit Liebe und Hingabe zubereiteten Abendbrot nur noch dem Sehen und seinem Echo gewidmet war, wenn er auch seine Freunde immer mit grosser Gastfreundschaft empfind und sich auch alle paar Jahre auf längere Reisen begab, immer wieder zurück nach Italien, später weiter nach Frankreich und Marokko.

Konstruktion
Palézieux blieb dabei von Darstellung des Raums, wie ihn die Zentralperspektive eröffnet hatte, so begeistert wie die Kunstschaffenden der ersten Stunde dieser genauso symbolischen Form wie alle anderen, aber das Aufnehmen feinster Beobachtungen der Realität ermöglichenden. Früchte oder Fische auf seinem Küchentisch, Ställe auf einer Alpweide oder die Mäander der Rhône durch den Pfynwald finden sich in seinen oft Werken so prägnant im Licht konstruiert wie die Schlachten von Uccello oder die Architekturen von Masaccio. Palézieux begab sich aber damit im 20. Jh. natürlich in eine kritische Distanz zu buchstäblich sämtlichen neueren Positionen, auch wenn notabene der Kubismus und der Futurismus wohl auch in ihm das Bewusstsein für Fragen nicht nur des Raums, sondern darüber hinaus der Zeit geschärft hatten, welche die Renaissancekünstler noch nicht derart als Thema interessierte. Wie es eines der raren in der Ausstellung gezeigten Filmzeugnisse zum Künstler suggeriert, in dem er sich auf einer Autofahrt auf einer Bergstrasse schier ausser Atem über die Kürze des Lebens ereifert, jagte er den Augenblicken, in denen das Sichtbare plötzlich in die Tiefe der Seele dringt, trotz seines stillen Lebens regelrecht hinterher.

Auch seine grosse Affinität zur Druckgrafik ist deshalb kaum nur der Tatsache zuzuschreiben, dass Literaten wie Maurice Chappat, Julien Gracq und Philippe Jacottet die ersten und lange die einzigen waren, die seine Kunst und ihm in ihren Romanen und Gedichtbänden wenigstens Wände aus Papier für die Ausstellung seine Landschaften, Innenleben wie auch rareren Akte und Porträts zur Verfügung stellten. Vielmehr scheint Palézieux im schlagartigen Abzug eines Blattes, das von haarfeinen aus den Stricharten und Fleckentypen einer bestimmten Technik bestehenden Rhythmen transzendiert ist, eine seiner Erfahrung der Welt nahe Intensität wiedergefunden zu haben.

Entgrenzung
Das aber vielleicht Bewegendste am Werk von Palézieux ist jedoch der graduelle Aufbruch seiner prägnanten Welt zur Unschärfe, was sich in den malerischen Drucktechniken wie Lithographie, Aquatinta und Mezzotinto anbahnt, aber erst in den seit einem Aufenthalt in Venedig 1975 verstärkt kultivierten Aquarellen zum Durchbruch gelangt. Im raschen später auch oft auch in den Bergen gepflegten Medium sollte er bis zuletzt fast an eine fast asiatische Qualität in der Kommunikation mit Wasser und Dunst, Schnee und Nebel, Felsen und Bäumen erreichen. Nur mehr wenige und dabei trotz ihrer Reduktion überraschende, einzigartige Konturen finden sich auf ihnen oft nur mehr zwischen verschwommen Flächigem. Vor den leisen gegen Lila, Rosa oder auch Eisblau ziehenden Untertönen dieser oft gleichzeitig fast zu Grisaillen geratenden Blätter wird man ganz Auge. Es fehlt jedes Wort.

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Musée Jenisch Vevey
Suisse
Vevey
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Palézieux - Exposition Vevey Suisse
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Vevey
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