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Pandemie und wie weiter? — Tom McCarthy

In der Juni-Ausgabe des Kunstbulletin begann eine Serie von Interviews, die inmitten pandemischer Unterbrechung Künstlerinnen und Künstlern Gelegenheit bot, auf vergangene Werke Bezug zu nehmen – und ihren Blick auf eine mögliche Zukunft der Kunst zu richten. Allen gemeinsam war die Anerkennung eines grundlegenden Wandels – der auch fällig wäre. Während nach und nach die Ausgangsbeschränkungen gelockert, die Grenzen geöffnet werden, macht sich ein Trend zur Verdrängung, zur Wiederherstellung des Gewohnten bemerkbar. Grund genug, die Serie in loser, chronologischer Folge hier fortzusetzen und weiter zu fragen, was wird, mit der Kunst. ›
 

Innehalten, Durchatmen

Sennewald: In Deinem 2016 erschienenen Essay ‹Recessional or, the time of the hammer› (deutsch: Interim, oder: Die Zeit des Hammers, 2017), betonst Du die grosse Bedeutung der angehaltenen Zeit. Ich denke speziell an das Joseph Conrad-Zitat am Anfang, das von der existenziellen Bedeutung der Unterbrechung spricht. Denkst Du, die Pandemie ist ein solches Interim? Und falls ja, wie sollte Kunst darauf reagieren?

McCarthy: Zunächst: Ich habe nichts über die Pandemie zu sagen, keine Kommentare zur Gegenwart abzugeben. Es wichtig, dass wir Künstler diesem Verlangen widerstehen, wie Sport-Journalisten Instant-Kommentare abzugeben. Natürlich ist Kunst politisch, sozial, engagiert. Aber nicht Eins-zu-Eins zum aktuellen Geschehen. Ich bin als Schriftsteller mit zeitlosen Fragen befasst. Es dauert, um sie zu bedenken und zu bearbeiten. Die Conrad-Erzählung ‘The N— of the Narcissus’, auf die Du anspielst, handelt von Zeit, Kapitalismus, Handel, Rassismus. Und von Krankheit, im Zentrum des Ganzen. Wie im ‹Zauberberg›, der ja auch die Zeit anhält, übrigens in Davos, heute Ort des Weltwirtschaftsforums. Es gibt eine enge Verbindung von Zeit, Eigentum, Kapital. Im Intervall, im Verzug entsteht Kapital, das zeigt Thomas Mann sehr schön anhand der Stilllegung. Ein anderes Bild dafür das kleine drehende Rädchen auf dem Computerbildschirm. Für mich symbolisiert dieser Puffer das unablässig aufgeschobene Versprechen der grossen Digital-Firmen. In einem Moment unglaublicher Furcht hängt man im Zeitloch, starrt auf das Rädchen: Was, wenn kein Datenengel kommt? Was, wenn ich hier feststecke, im Daten-Abgrund? Franz Kafka hätte das gemocht, diese Aufhebung im Zeit-Abschnitt. Das Telefon im ‹Schloss› steht für unendliche Distanz, für unendlichen Aufschub. Es bringt wie die Video-Kommunikation heute jene Abständigkeit hervor, die aufzuheben es verspricht. Aufgabe von Autoren ist es, darauf hinzuweisen, die Leere, das Werden, den Intervall zu benennen, dem konkreten Handeln verfügbar zu machen.
Berlin, 12. Mai 2020
http://www.necronauts.org

J. Emil Sennewald, Kritiker und Journalist, unterrichtet an der Kunsthochschule ésacm in Clermont-Ferrand und der F+F Schule in Zürich, berichtet seit über 15 Jahren über Kunst aus Frankreich. emil@weiswald.com, www.weiswald.com

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Tom McCarthy

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