San Keller, Nach der Kunst, seit 2014, Performance, Peluqueria Mickey, Costa Rica, 2018. Foto: Sandino Scheidegger
Unter dem Titel ‹Zeitbilder› präsentieren wir Werkbetrachtungen von Kuratorinnen und Kuratoren, die ein Kunstwerk ihrer Wahl vor dem Hintergrund der Corona-Krise neu lesen.
Curator’s Choice — Nun es geht wieder los. Wie viele andere, werden auch wir in der Kunst Halle Sankt Gallen unsere Türen fürs Publikum wieder öffnen. Die eingefrorene Ausstellung kann wieder aufgetaut werden und diese komische Zeit der Suspension, des Wartens und des Erwartens hat voraussichtlich ein Ende. Aber ja, mindestens dies haben wir in den letzten Wochen gelernt: Zeit ist relativ.
Es war Mitte April, als der Bundesrat die Schritte aus dem Lockdown definierte: Museen können am 8. Juni wiedereröffnen. Noch eine lange Abstinenz von Kunst vor uns. In der gleichen Pressekonferenz wird aber auch mitgeteilt, dass Gärtnereien, Baumärkte und Coiffeursalons schon am 27. April wieder Kundschaft empfangen dürfen.
Sofort musste ich an San Keller denken und an seine Nebenaktivität als Coiffeur. Instinktiv – kuratorischer Kurzschluss und institutioneller Kunstgriff – wollte ich ihn anrufen und bitten, den ‹Salon San Keller› bei uns im Foyer der Kunst Halle einzurichten. Ich kann mich gut an seine Arbeit erinnern, die er im Rahmen der Swiss Art Awards 2005 realisierte: San Keller richtete eine Nische wie einen kleinen Coiffeursalon ein, wo er, nachdem man mit ihm einen Termin vereinbart hatte, den Willigen eine neue Frisur verpasste. «What would I do, if I fail as an artist?» ist der Titel dieses Werks und verweist auf eine alternative professionelle Perspektive, auf das Prekariat in der Kunstwelt, aber vor allem auf die Unstabilität des Lebensentwurfes Kunst – oder vielleicht des Lebens tout court.
Von dieser Aktion hat er zwischenzeitlich andere Variationen unter dem Titel ‹Nach der Kunst› realisiert, so in Guatemala, oder in den perfekten weissen Räumen des Aargauer Kunsthauses. In diese Reihe von Iterationen hätte gut auch die Kunst Halle Sankt Gallen gepasst. Und wir hätten früher eröffnen können, hätten uns vorgedrängt auf dem rapidissimo «Lockdown-Escape-Express». Aber dann erschien mir das plötzlich als egoistische und zynische Geste. Man kann ruhig auf seine Runde warten. Schlussendlich ist es jetzt auch anders gekommen: Wir sind schon ab heute, 12. Mai wieder geöffnet. Wir haben ja inzwischen etwas gelernt: Zeit ist relativ. Kunst und Frisuren sind es auch.