Zerrissene Moderne — Sammeln, was den Despoten zuwider ist

Max Beckmann · Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand, 151,2 x 128,9 cm, The Museum of Modern Art, New York, Nachlass Curt Valentin

Max Beckmann · Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand, 151,2 x 128,9 cm, The Museum of Modern Art, New York, Nachlass Curt Valentin

Besprechung

Die Ankäufe des Basler Museums hatten sich noch kaum ins 20. Jahrhundert vorgewagt. Der 1936 eröffnete Neubau rief nach jüngerer Kunst, während das NS-Regime die Moderne systematisch aus deutschen Museen verbannte. Diese Gleichzeitigkeit stellte Weichen, prägt den kunsthistorischen Kanon bis heute.

Zerrissene Moderne — Sammeln, was den Despoten zuwider ist

Basel — Wahrscheinlich war Georg Schmidt der einzige ausländische Museumsmann, der das ‹Depot der internationalen Verwertbarkeit› besuchte. Eine Auswahl konfiszierter Bilder liess er 1939 von Berlin nach Basel schicken. Die Mission des jüngst berufenen Konservators war ambivalent: Ist das Rettung? Kooperation? Am Scheitelpunkt der aktuellen Schau sind ethische, finanzielle, stilkritische Argumente für oder gegen die Kunst-Devisen fürs Reichsministerium an die Wand projiziert. Acht «entartete» Werke fanden kurz vor Kriegsausbruch über eine international beworbene Auktion in Luzern den Weg nach Basel. 13 weitere erwarb das Haus direkt aus konfisziertem Museumsbesitz. Darunter Franz Marcs ‹Tierschicksale› von 1913, dessen Brandspuren die bevorstehende Katastrophe vorwegzunehmen scheinen.
‹Zerrissene Moderne› wartet nicht nur auf mit hauseigenem Bestand. Vielmehr rekonstruiert die konzis recherchierte Schau unter Einbezug von Leihgaben eine historische Situation. Max Beckmanns toter Christus hängt schief im Bild – geknickt wie ein Insekt und wie die Trauernden, die dem Spott der Schergen unter blutroter Sonne standhalten. Durch George Grosz’ Stadt geistern lüsterne Gestalten, Wassily Kandinsky lässt Universen explodieren auch im kleinen Blatt. Bei allen fiebrig erstellten Wunsch- und Preislisten, bei allen Protokollen, Briefen und Kurzfilmen, welche die Umstände von Basels Ankäufen verfemter Kunst raffen und versehrte Lebensläufe in Erinnerung rufen: Eine textlastige Geschichtslektion wurde hier vermieden. Vielmehr erzählen hochkarätige Exponate das Kapitel der Klassischen Moderne, wie es ohne die brutale Ächtung nicht geschrieben worden wäre. Nachhaltig bestimmt die Umverteilung von Kunst vor dem Zweiten Weltkrieg die Rezeptionschancen einer ganzen Künstlergeneration. Es gibt den Riss zwischen Leinwänden, die nach dem Krieg rehabilitiert wurden, und anderen, die bis in die 1930er noch gar nicht angekommen waren in der öffentlichen Wahrnehmung. Ein Riss auch zwischen Werken, die überlebten, und solchen, deren Spur sich in der Tragödie von Krieg und Enteignung verliert. Einige davon sind als schwarz-weisse Projektion in die Schau einbezogen und mimen so die Gespenster, die das totalitäre System so fürchterlich fürchten musste. Solche Anwesenheit verlangt Respekt: Aufrichtig spielt die Kunst mit den Subtilitäten von Licht oder mahnt aus den Schützengräben gegen die Mächte des Bösen. 

Until 
19.02.2023

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