Kunsthochschulen — Anders Werken in der F+F Schule für Kunst und Design
Seit ihrer Gründung steht sie für Unterschied: «Skurril, familiär und nicht fassbar», «ein sehr freier Raum», «sehr herzlich» – so Student:innen der F+F zum 50-jährigen Jubiläum. Stiftungsgetragen, ist sie eine praxisorientierte Schule für höhere Berufsbildung bis zu staatlich anerkannten Diplomen. Ein Erfahrungsbericht aus nächster Nähe.
Kunsthochschulen — Anders Werken in der F+F Schule für Kunst und Design
Seit 2014 arbeite ich für die F+F Schule. Als «Schule für experimentelle Gestaltung» 1971 gegründet, ist sie heute zu einem Komplex mit Modedesign-, Film-, Fotografie- und visueller Gestaltungsausbildung gewachsen. Mit 270 Studierenden dennoch verhältnismässig klein, studieren im Fachbereich Kunst nur 25 Menschen, viele darunter bereits mit anderem Beruf, manche ohne Matura. Das geht hier, wo das in Jugend- und Vorkurse, Grundbildung und höhere Berufsbildung sowie gestalterische Weiterbildung diversifizierte Angebot 200 Dozierende sichern. Ergebnis: pädagogische Präzision, persönliche Nähe, unkomplizierte Lernbedingungen. Und eine – zumindest im Ansatz – radikal andere Positionierung in der Kunstausbildungslandschaft. Ein dreijähriges Kunststudium auf dem Niveau Höhere Fachschule gibt es in der Schweiz nur hier.
Netzwerken
Kennengelernt habe ich die hinter dem stadtbekannten Koch-Areal und neben dem Zirkus-Quartier liegende Schule – es gibt noch Standorte in der Roten Fabrik und am Bullingerplatz – via Internet. Der Kontakt mit dem Künstler Daniel Hauser, seit 2000 Leiter des Studiengangs Kunst HF/Höhere Fachschule, führte zu einer bis heute währenden Zusammenarbeit. Seminare, Workshops, Mentorate werden durch Arbeitspräsentationen abgerundet. Letztere finden einmal im Semester statt: Kunst- und Kulturschaffende von aussen diskutieren mit den Studierenden ihre Projekte. Jeweils ein Gast vom letzten Treffen fungiert als «Gedächtnis», erinnert an bereits erfolgte Hinweise, prüft deren Umsetzung. Die Studierenden erhalten umfangreiches Feedback, das sie auch zurückgeben. Eine kollegiale Arbeitsweise, die ich später nach Frankreich exportierte. Dort wirke ich an der Kunsthochschule in Clermont-Ferrand auch für ein Austauschprogramm mit der F+F. Das macht diese Schule aus: Netzwerken aus dem konkreten, praktischen Kunstfeld, über Schweizer Grenzen hinweg. Wie viele, die hier – übrigens mit Einheitslohn – arbeiten, schätze ich die F+F für ihre Widerständigkeit und Erschütterbarkeit.
«Die F+F ist eine Alternative zur sexy, hippen ZHdK. Sie ist Auffangbecken für Gestrandete, die es eben genau nicht an die grosse Staatliche geschafft haben. Sie ist klein, aber fein», sagt Gregory Hari. Ich erinnere mich an ihn als Studenten, der 2011/12 den Vorkurs besuchte und danach bis 2015 im Studiengang Kunst HF studierte. Er entfaltete sich zum selbstbewussten Künstler, erhielt 2017 den Publikumspreis des Performancepreis Schweiz. Aktiv und gut vernetzt, findet er allerdings, die F+F habe «ihre glorreiche Zeit als widerspenstige Widerständige verloren», müsse «einmal richtig die Fenster öffnen und durchlüften». Gregory Hari wird dieses Jahr an der F+F als Dozent Performance im Studienpool unterrichten. Denis Savi, dieses Jahr in Kunst diplomiert, mit Förderpreis ausgezeichnet und in der HKB in Bern zum Master angenommen, lobt hingegen die «Nischenschule als offene, familiäre, multidisziplinäre und vielfältige Kunstwerkstatt».
Ewige Alternative?
Alternativ ist heute Trend. Den daraus resultierenden Verlust des Subversiven kennen wir aus dem Bio-Kommerz. In einer «Gesellschaft der Singularitäten», so der Soziologe Andreas Reckwitz, sind Kunstschaffende Vorbild. Als disruptive Einzelhelden retten sie flexibel die Welt durch ständiges Anders-Scheinen. Zudem entdeckt aktuell der Kunstbetrieb Reformpädagogik wieder, wie jüngst mit der Überblicksausstellung ‹L’art d’apprendre› im Centre Pompidou Metz demonstriert. Wenn anti-autoritär, basisdemokratisch, radikalpädagogisch als Inszenierungswerte im ästhetischen Kapitalismus korrumpiert sind, muss künftige Kunst sie streng prüfen. Für die Kulturarbeiterin Gökçe Ergör, Assistenz im Studiengang Kunst HF, «schafft die F+F soziale Räume innerhalb eines neoliberalen Systems, um unter anderem durch künstlerische Strategien Missstände in der Gesellschaft aufzufächern, ohne sie zu reproduzieren und sie leicht verdaubar dem Kunstmarkt wiederzugeben».
Dafür sei ein permanenter «Reality Check» unabdingbar, müsse studentische Befragung als Bestandteil des Kunstfeldes ernst genommen werden, statt sie in einer Art Sandkasten abzusondern. Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und Kritik an selektiver Willkommenskultur organisierten Studierende Ende Mai im Cabaret Voltaire eine ‹Kunstlicht-Gala›, versteigerten von Künstler:innen eingeworbene Arbeiten zugunsten Geflüchteter aus aller Welt. Das erinnert mich an einen Workshop, zu dem mich 2018 die Malerin Clare Goodwin einlud: ‹The Art Student as Curator›. Wir konnten die ehemaligen Räume der Galerie Presenhuber im Löwenbräu nutzen. Auch leer war die Aura der mächtigen Galerie spürbar. Hier sollten die Studierenden eine Ausstellung organisieren, von A bis Z. Es entstand eine beachtliche Schau (→ Kunstbulletin 6/2018, S. 138/139). So lernt sich Kunst durchs Machen, wird herausgefordert. Solches Werken, das von Anfang an Teil dessen ist, was Kunst werden kann, fordert von Studienanfänger:innen eine verantwortungsvolle Haltung. «Die Zeit in der F+F dient dazu», so Daniel Hauser, «etwas über sich herauszufinden. Dazu gehört, sich von projizierten Vorstellungen der Kunst zu lösen und eine dem eigenen Massstab gemässe Selbstständigkeit zu entwickeln.» Durch kontinuierlichen Abgleich mit Wirklichkeiten entwickelt sich die F+F selbst weiter.
In schwarzen Zahlen
Das meint auch Christoph Lang, seit 2015 Rektor: «Die Schule hat so lange überlebt, steht nun endlich, nach schwerer Zeit, mit einer positiven Bilanz da, weil sie sich immer wieder neu zu erfinden wusste.» Zusammenarbeit, flache demokratische Struktur und offene Kommunikation, gegen Individualisierung, Konkurrenz, Wettbewerb – das waren Leitmotive der Künstlerin und Aktivistin Doris Stauffer Ende der 1960er für ihren Kurs ‹Teamwork› in der Klasse F+F (Form und Farbe) in der Kunstgewerbeschule Zürich. Die heutige ZHdK nahm das damals schlecht auf, es kam zum Bruch. Was Stauffer dann mit anderen Kunstschaffenden gründete, war keineswegs als Dauereinrichtung gedacht. Heute wird die «offene Kunst- und Gestaltungsschule» durch eine nicht gewinnorientierte Stiftung getragen. Finanziert wird sie durch die für die Schweiz teuren, in Relation zu anderen Ländern günstigen Semestergebühren und andere Kursgebühren. Das deckt, so Lang, «80 Prozent der Ausgaben. Der Rest kommt von der Stadt Zürich, über das HFSV-Konkordat von den Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein, die für jede:n HF-Studierende:n eine Kopfsubvention zahlen. Dazu kommen Gelder, die wir für den Stipendienfonds fundraisen». Für Letzteren können sich Studierende in finanzieller Notlage zweimal im Jahr bewerben.
Wir machen das gemeinsam
Der kooperative Gedanke ist für Gökçe Ergör wichtiges Rüstzeug für die Zeit nach dem Studium. Ego-Shooter gebe es zwar auch, doch «nur danach zu streben, der nächste Superstar zu werden», werde in der Schule eher infrage gestellt. Individuation im Kollektiv braucht Vertrauen, Verständnis Nähe, klare Kritik benötigt Abstand. Für Ergör ist das Alltag: «Unsere Arbeitskultur mit Daniel steht Kritik sehr wertschätzend gegenüber, fordert sie geradezu heraus.» Und manchmal holt das technische Personal Sicherheits- und andere Bestimmungen übersehende Entwürfe von Studierenden wie Dozierenden freundlich, aber bestimmt wieder auf den Boden. Nähe bietet im Studiengang Kunst HF das rund um die Uhr offene Gemeinschaftsatelier unterm Dach. Dank grosszügiger Schenkung der pensionierten Kunsthistorikerin Hanna Gagel bietet es eine auch für queerfeministische Anliegen beachtliche, selbst verwaltete Bibliothek, die allerdings mehr Lesehunger vertragen könnte. Bei nur zwei Fixtagen, an denen die Studierenden pro Woche vor Ort sein müssen, ist das Atelier ein Durchgangsraum, hier kreuzen sich Ansichten, Entwürfe, wird zusammengetragen, was befragt werden soll. So finden die Studierenden Mut, über eigene Wünsche, Projektionen, Wohlfühlzonen hinauszuwachsen. Die F+F fördert das durch tätiges, kooperatives Handeln in der Begegnung mit widerständiger Materie. In den kommenden Jahren von einem ganz neuen Stadtviertel umbaut, steht sie weiterhin fürs «Anderswerken». Das gelingt, solange sie sich selbst im Prozess des Werdens der Kunst aufs Spiel setzt.
«Es ist viel für diese Schule gekämpft worden, das prägt ihre Willensstruktur. Die F+F wird von ihren Dozierenden, ihren Studierenden, vom ganzen Team als gemeinsames Projekt getragen. Natürlich gibt es da auch Konflikte. Aber wir haben die Ressourcen, diese immer wieder für die Schule zu lösen.» Christoph Lang, Dozent, Rektor F+F Schule für Kunst und Design, Zürich, 22.8.2022
«Kunst ist ein hochmediatisiertes Freiheitsversprechen. Uns geht es darum, dieses Versprechen auf die Probe zu stellen, sich damit auseinanderzusetzen, sich davon zu emanzipieren. Dann kann Kunst zu einem Antrieb werden, sich mit den Dingen, den Realitäten anders auseinanderzusetzen.» Daniel Hauser, Künstler, Mitglied des Kollektivs RELAX (chiarenza & hauser & co), Leiter Studiengang Kunst HF, Zürich, 22.8.2022
«Die Dozierenden haben mich dazu angespornt, zu verstehen, dass meine Ideen, meine Werke und meine persönliche künstlerische Praxis nur existieren können, wenn ich die richtigen Fragen stelle. Nur wenn ich die Dinge genau und aus allen möglichen Perspektiven betrachte, kann ich das Neue als etwas Unverzichtbares sowohl für meinen kreativen Weg als auch für mein persönliches Wachstum als Individuum wahrnehmen.» Denis Savi, Diplom Kunst HF 2022, Zürich, 24.8.2022
J. Emil Sennewald arbeitet als Kritiker seit 2000 von Paris aus für Kunstzeitschriften. Seit 2013 unterrichtet er an verschiedenen Kunsthochschulen in Frankreich und der Schweiz.
→ F+F Schule für Kunst und Design, Zürich, Frühlingssemesterbeginn 30.1.23, Open House 30.11.22 und 22.3.23, jeweils ab 13 Uhr; weitere Veranstaltungen unter ↗ www.ffzh.ch; zur Geschichte:
↗ www.ff1971.ch
F+F Schule für Kunst und Design
1971 in Zürich gegründet
Zahlen und Fakten:
Ca. 270 Studierende in Film, Fotografie, Kunst, Modedesign und Visueller Gestaltung.
Rund 200 Dozierende.
Zugängliche Werkstätten, öffentliche Kantine, Veranstaltungen und Ausstellungen.
Studium ohne Matura möglich.
Die Studiengänge enden mit staatlich anerkanntem Diplom.
Vor- und berufsbegleitende Kurse für Jugendliche und ältere Semester, Möglichkeit der Berufsmatur.
Träger ist eine nicht gewinnorientierte Stiftung.
Den Stiftungsrat bilden Persönlichkeiten aus dem Kulturleben.
Aktuelle Ausbildungsangebote im Studiengang Kunst HF/Höhere Fachschule:
Projekte: ‹Back to Life›, Beobachtungen der unmittelbaren Realität; ‹Going Public – Billboard hypnotisiert öffentlichen Blick›; ‹ACT›, Performancefestival
Seminare: ‹Lost in Emojis›; Rechercheseminar; ‹Woodpile›; ‹Neutrale Bilder gibt es nicht!›
Weitere Angebote: Beratung & Mentoring; Pooling-Angebote vermitteln u. a. Skills, (Kultur-)Geschichte, Netz- und critical culture
Institutionen | Paese | Località |
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F+F Schule für Kunst und Design | Svizzera | Zürich |
J. Emil Sennewald |