Monika Sosnowska — Urbane Halluzinationen

Monika Sosnowska · Pipe, 2020, und Facade, 2013, in: Fatigue, Ausstellungsansicht Kunstraum ­Dornbirn, 2022, ­Courtesy Museum of Modern Art, Warschau. Foto: Günter Richard Wett

Monika Sosnowska · Pipe, 2020, und Facade, 2013, in: Fatigue, Ausstellungsansicht Kunstraum ­Dornbirn, 2022, ­Courtesy Museum of Modern Art, Warschau. Foto: Günter Richard Wett

Besprechung

Mit der Ausstellung ‹Fatigue› zeigt der Kunstraum Dornbirn vier Arbeiten der polnischen Künstlerin Monika Sosnowska. Der programmatische Widerspruch zwischen Leichtigkeit und Monumentalität kommt in der ehemaligen Montagehalle der Maschinenfabrik Rüsch-Werke besonders gut zur Geltung.

Monika Sosnowska — Urbane Halluzinationen

Dornbirn — Im ersten Moment scheint es so, als wäre auf einen Blick alles sichtbar: Die vier mächtigen Arbeiten von Monika Sosnowska (*1972, Ryki) aus Stahl verbergen sich nicht in der grossen und lichtdurchfluteten Industriehalle, welche den Kunstraum Dornbirn beherbergt. Wirkungsvoll, eindrücklich, gut platziert steht alles genau dort, wo es sein soll; aber auch ohne grössere Überraschungen.
Bei ‹Rebar 16›, 2017, wachsen Stahlstreben wie ein Pferdeschweif aus dem von der Zeit gezeichneten Beton. Bei ‹Pipe›, 2020, ist ein aufgeschnittenes Stahlrohr von hundertachtzig Zentimetern Durchmesser auf zehn Meter Länge über den Boden ausgerollt. Was visuell wie ein leichter Papierstreifen anmutet, ist in Wirklichkeit hart und starr. Bei ‹T›, 2017, steht ein neunhundert Kilogramm schwerer Stahlträger – spätestens seit der ikonischen Werbefotografie ‹Lunch atop a Skyscraper› von 1932 zum Symbol für den Aufstieg der Neuen Welt geworden – zu einem L gebogen an der Wand. Und für ‹Facade›, 2013, hängt eine zur Skulptur umgeformte Nachbildung der Fassade eines 1963 erbauten modernistischen Gebäudes in Warschau von der Decke. Diese 1,3 Tonnen Stahl hat Sosnowska in Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Bauarbeitern über drei Monate extremen Kräften ausgesetzt, bis das Material nachgab und sich deformieren liess. Es sind dies, so ist man zu sagen versucht, Entstellungen höherer Gewalt.
Es wäre denkbar, eine Begegnung mit Monika Sosnowskas Kunst auf diese ästhetische Verblüffung und das Staunen ob der technischen Möglichkeiten der Bau- und Ingenieurswissenschaft zu reduzieren. Mit der Zeit gewinnen die Skulpturen jedoch mehr und mehr an Gewichtung, Kraft und Dringlichkeit. Wie in einer trügerischen Stille, in der plötzlich ein dumpfes Grollen zu vernehmen ist, wird deren Präsenz und Materialität intensiviert. Die architektonischen Elemente verkörpern vermeintliche Gewissheiten sozialistischer wie kapitalistischer Systeme und Lebensrealitäten. Für gewöhnlich unsichtbare Stahlträger können als Spuren einer gesellschaftlichen Verdrängung gelesen werden. Das Unbewusste einer Psychogeografie von Warschau nimmt Gestalt an und verweist damit auch auf einen blinden Fleck der Verheissungen spätkapitalistischer Bequemlichkeiten. Stille Lastträger werden zu Zeugen des Weltgeschehens, erzählen vom Trauma einer Stadt, welche den Launen der Geschichte ausgeliefert ist. Elemente der Schwerindustrie formen und untergraben zugleich eine trügerische Leichtigkeit des Seins.

Until 
30.10.2022
Exhibitions/Newsticker Data Tipo Località Paese
Monika Sosnowska da 17.06.2022 a 30.10.2022 Ausstellung Dornbirn
Österreich
AT

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