Editorial
Editorial
Kunst hat viel mit Formfindung zu tun, doch sobald die Form in Formalismus kippt, verliert die Kunst ihren Wert. Pascal Schwaighofer spielt genau auf dieser Bandbreite zwischen dem Ungeformten und gestalterischer Bravour. Denn Könnerschaft hat immer mit Wertvorstellungen und der Gesellschaft zu tun, welche diese hervorgebracht hat. Sie definiert die Codes, die bspw. für die Porträtierung bedeutender Persönlichkeiten gelten. So posiert der Mann mit dem imposanten Schnurrbart auf dem Cover mit verhangenem Blick, einem lässig über die Schulter geworfenen Pelzcape und einer kordelbehängten Jacke. Sicher wäre zu erfahren, um wen es sich handelt, doch wieso auch. Daneben steht schon die nächste Berühmtheit, die keiner mehr kennt. Und dazwischen? Gähnende Leere - im Museum eines ebenfalls fast vergessenen Künstlers.
Doch halt. Schwaighofer hat dazwischen Kisten aufgeschichtet, Bienenkisten, deren Bewohnerinnen ausgeflogen sind. Der Honig scheint ihn nicht interessiert zu haben. Vielmehr liess er Gips in die Rahmen fliessen, der sich in Klecksen und Schlieren verfestig hat.
Was hat dies alles miteinander zu tun? Es lassen sich diverse Bezüge knüpfen. Über das Material etwa. Gips ist billig, suggeriert Prozesshaftes, Vorläufiges, Fragiles, evoziert ein Bildhaueratelier - oder eine Baustelle. Und schlägt so einen Bogen von den von Vincenzo Vela porträtierten Herrschern zu den weniger Glücklichen der damaligen Zeit. Den beim Bau des Gotthardtunnels verunfallten Arbeitern, die er in einem Wandrelief 1882 ebenfalls dargestellt hatte. Schwaighofer lässt uns auch über unterschiedliche Überlebensstrategien nachdenken. Über die komplexe, kollektive Tätigkeit der Bienen gegenüber einer frei schwebenden Künstlerexistenz, die zwischen Formfindung und Zerstörung, zwischen ein- und ausgesperrter Häuslichkeit hin und her pendelt.
Claudia Jolles |