Zeit verstreichen - Kurz nach zehn, die schönste Zeit der Welt

René Zäch · Uhr, 1999, Karton, Holz, Acryllack, Folie, 29x14 cm, Privatbesitz Aarau. Foto: David Aebi

René Zäch · Uhr, 1999, Karton, Holz, Acryllack, Folie, 29x14 cm, Privatbesitz Aarau. Foto: David Aebi

Besprechung

Das Kunstmuseum Solothurn widmet sich dem Thema Zeit. Es gibt viel Lebenszeit zwischen Jung und Alt, woraus Kunstzeit entstehen könnte. Was ist Zeit von einem Museumswerk aus gesehen? Mit älteren und jüngeren Werken befragt die Kuratorin Patricia Bieder Moment und Dauer in der Gegenwartskunst.

Zeit verstreichen - Kurz nach zehn, die schönste Zeit der Welt

Die Künstlerin Claudia Kübler (*1983) hat die grossen und kleinen Zeiger einer Uhr zu Farbrakeln gemacht und lässt sie minuten- und stundenweise schwarze Farbe über das weisse Zifferblatt streichen. Ihre Videoarbeit ‹Zeit verstreichen›, 2013, wurde wörtlich zum Ausstellungstitel und bildlich zum Ausstellungsemblem. In diesem und weiteren Werken der Ausstellung fallen Geäussertes und Äusserung zusammen und die Besuchenden werden - von Raum zu Raum, von Arbeit zu Arbeit - zu einem anregenden Spiel mit der Zeit herausgefordert.
Glaubt man den stehenden Uhren in Schaufenstern von Geschäften, dann ist «kurz nach zehn» die schönste Uhrzeit der Welt. Auch Roman Signers (*1938) ‹Holz­objekt mit Uhr›, 2008, zeigt diese Uhrzeit, und neben ihr öffnet sich uhrenrund und tiefschwarz der Innenraum des Sockels, auf dem sie liegt. Bei René Zächs (*1946) ‹Uhr›, 1999, richten sich die Minuten- und Stundenstriche auf, weg vom Zifferblatt in den Raum hinein. Es scheint, als gelänge es solchen Pathosgestaltungen von Raum und Zeit kaum noch, Haare zur Gänsehaut aufzurichten. Die folgenden Arbeiten sind im Takt von Tagen entstanden. Peter Dreher (*1932) malt seit 1972 ein leeres Wasserglas auf einer weissen Tischfläche vor weissem Hintergrund, ‹Tag um Tag guter Tag›, 1974. Er verändert dabei weder Beleuchtung noch Entfernung oder Bildformat. Alicja Kwade (*1979) hat sich 2015 an drei verschiedenen Tagen die schwankenden Börsenwerte der Rohstoffe Aluminium, Zink, Blei, Kupfer, Nickel, Zinn, Silber und Gold notiert und die unterschiedlichen Volumina der jeweiligen Tageskaufkraft als flache ­Bodenskulpturen materialisiert. In David Claerbouts (*1969) Video ‹Long Goodbye›, 2007, liegen die Zeitverläufe in gegenstrebigen Schichten übereinander. Im «malerischen» Licht einer Landhausfassade beobachtet die Kamera, zunächst unbemerkt, eine attraktive Frau, die in extremer Zeitlupe ein Kaffeetablett aus dem Haus trägt und draussen auf einen Tisch stellt. In dem Moment, als sie den heimlichen Beobachter bemerkt und ihm zuwinkt, zoomt sich der Entdeckte rasch heraus und verschwindet mit allen zeitgerafften Schattenverläufen des Tages im Dunkel der Nacht. Er scheint dem direkten Blick des Modells nicht standhalten zu können, wahrscheinlich auch, weil der zurückinterpretierende Blick den Malerblick umkehrt, und, einmal mehr, die alte Schule romantischer Kunstproduktion irritiert und stört. Ein direkter Kuss, auf Mundhöhe, wäre ein zeitgenössischer Ausweg mit Tino Sehgal.

Until 
30.10.2016
Exhibitions/Newsticker Data Tipo Località Paese
Zeit verstreichen da 20.08.2016 a 30.10.2016 Ausstellung Solothurn
Schweiz
CH
Author(s)
Fritz Balthaus

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