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IZ: Lasst uns bei euren Performances beginnen, ganz konkret: In Protube-ranzen II (2004) arbeitet ihr mit einfachen Requisiten und eigensinnigem Witz - ich muss an kabarettistische Darbietungen denken. ‚Wir sind nämlich eine Hirschkuh‘: Die Komik eurer Behauptung ergibt sich aus dem Zwiespalt zwischen dem Begriff und eurer Pose, in der ihr das vierbeinige Tier mit seinem stolzen Geweih - bei euch ein dünner Verband - imitiert. Die Kerze ist ‚Sonne‘ und ihr Hirsch und Kuh - oder eben ‚Hirschkuh‘...

SZ: Hirsch und Kuh, das sind wie zwei...

MM: Da geht's um die beiden, den Hirsch als erhabenes und mythisches Tier aus dem Walde, und die Kuh, die Milch gibt und nährt, domestiziert auf der Weide. Und um die Imagination selbst. Um die künstlerische Behauptung, um die Setzung einer Skulptur. Uns interessiert, wie sich das Bild vervollständigt, wenn man ihm eine Zuschreibung hinzufügt.

SZ: Da ging es darum, das Sichtbare mit dem Gehörten abzugleichen und es sich vorzustellen.

IZ: In den 1980er Jahren habt ihr mit dem Video zu experimentieren begonnen: dokumentarisch, wo Tagesaktualitäten es erforderten, frech, wo ihr die Blickführung dem Besen überlassen habt, tanzend im Kreis in der Höhenluft. Ihr seid dem Kontext Kunst treu geblieben, ohne euch von ihm vereinnahmen zu lassen. Es handelt sich hier ja um ein ganz anderes Referenzsystem als etwa in der Musik- oder die Kleintheaterszene, wo ihr mit Les Reines Prochaines auch aktiv seid. Wie bedeutsam ist dieser Kontext für die Produktion und Rezeption eurer Performances?

SZ: Im Musikkontext mit Les Reines Prochaines bieten wir uns an. Wir haben ein Programm als fertiges Produkt.

MM: Die meisten Projekte im Feld der bildenden Kunst - Installationen, Ausstellungsprojekte, aber auch Performances - entstehen auf Einladung für einen gegebenen inhaltlichen und räumlichen Kontext. Wir setzen darum immer wieder neu an. Das ist eine Grundkonzeption unseres situativen Arbeitens. Die Frage ist jeweils: Was können wir mit unseren Interessen und unseren Fragen, hier, für diesen Raum zu diesem Zeitpunkt machen? Eine Anbindung ans eigene Werk gibt es immer, jeder neue Kontext ist ein Angebot, die nächsten Fragen, die sich uns stellen, anzugehen.

SZ: Die Arbeit beginnt also mit dem Entschluss, eine Einladung anzunehmen und damit eine künstlerische Setzung in diesen spezifischen Kontext zu stellen, die für das eigene Werk Sinn macht.

MM: Wir stellen also die Füsse auf zwei Plateaus: Zum einen bringen wir uns mit unserer Art ein, und zum anderen wirken das Thema, die Umgebung, die Situation auf die Arbeit ein. Die beiden Aspekte sollen dann produktiv zu einem selbstverständlichen Ganzen verschmelzen, Kunst werden.

IZ: Im Idealen Atelier (2004) legt ihr ein Vokabular aus, das sich wie das Programm eures Schaffens liest: ‚Feldstudie‘, ‚Illusion‘, ‚Heimlichkeit‘, ‚Sippenverlass‘, ‚produktives Missverständnis‘ oder ‚Trick‘. Hier stellt sich im Bild eine Vase ein: zack, da ist sie. Und: schwupp, wieder weg. Wie kommt der Trick zur Vase? Und was hat es mit dem ‚Notwunder‘ auf sich?

MM: Der Trick ist ein Thema, das es schon immer in unserer Arbeit gab: den Zaubertrick, magische Momente, die physikalisch oder medial hergestellt sind.

IZ: Und Was ist ein ‚Notwunder‘?

SZ: Das ist einer von dir.

MM: Ja, wie ist das gekommen?

SZ: Also, es kommt sicher aus dem Katholischen und vom Wunder.

MM: Aha, die Nottaufe!

SZ: Und in der Not, da braucht es eben öfters ein Wunder!

MM: Das ist, wenn Katholizismus und Psychologie zusammenkommen ...

IZ: Bist du katholisch?

SZ: Wir sind beide katholisch. Das heisst: Wir waren es einmal.

MM: Aber doch: einmal katholisch, immer katholisch!

IZ: Wie wirkt das?

MM: Immer. Es ist ein unerschöpflicher Fundus. Und auf jeden Fall eine ästhetische Prägung.

SZ: Unsere Kunst und die katholische Kirche sind ein biss-chen verwandt.

MM: Aber selbstverständlich sind wir ja auch vom Protestantismus geprägt. Die Schweiz ist ja durch und durch... und Basel erst! Es ist ein Vergnügen, hier Katholikin zu sein. Und wenn es einem bewusst ist und man sich diesen Einflüssen nicht mehr einfach ausgeliefert fühlt, dann ist es toll. Dieser seriösen Welt, die glaubt, die Welt wäre gut, wenn sich nur alle an die Regeln halten würden, Widerstand und Paroli zu bieten, das macht Spass.

IZ: Spass scheint Programm, bei aller Ernsthaftigkeit und emotionalen Dichte: Ihr feiert das Leben in der Kunst, erhebt eure Stimme zum Manifest, lasst die Seriosität mit eigenen Erläuterungen der Weltgeschichte auf Grund laufen. Ich gewinne den Eindruck, eure Arbeit entstehe im Spiel, als würdet ihr im arglosen Experiment zu Erzählungen gelangen und Ideen mit Lust umsetzen. ‚Spiel‘ meint beides: Das Kombinieren von Dingen und Räumen ausserhalb ihrer funktionalen Logik, ihre Dynamisierung und Rhythmisierung, ihr Isolieren und Bremsen, aber auch das musikalische Zusammenspiel als und mit den ‚Königinnen‘, den Reines Prochaines.

MM: Spielen ist ein grosser Motor. Das Erfinden, Sammeln, Auslegen, Kombinieren, Erkennen von Zusammenhängen führen direkt zur Montage: Basteln, nach Lévy-Strauss ‚bricolieren‘.

SZ: Beim Zusammenbauen unserer Live-Performances orientieren wir uns am Bildschnitt des Videos, beim Videoschnitt gehen wir andererseits oft von Musik aus, Bild wie Handlung hat in ihrem Zusammentreffen, in ihrer Komposition viel mit Timing und Rhythmus zu tun.
MM: Musik ist also der beste Lehrmeister auch für das Visuelle.

IZ: Ihr entscheidet auch bei Live-Performances über den Lauf der Dinge nach Kriterien des Videoschnitts? Das heisst, die Aktionen sind dosiert nach Einstellungen, die ihr plant im Hinblick auf einen Rhythmus von Bild und Ton?

MM: Man kann im Umgang mit Video lernen, wie man mit dramaturgischen Setzungen, schnellen Brüchen und Kontrasten umgeht. Vor allem: Was lässt man weg und was denkt sich der Betrachter selber fertig. Wir montieren für eine Performance aus einer losen Sammlung von Handlungen, Texten, Bewegungsabläufen eine Collage, in der gleichen Art, wie im Video Bilder montiert werden. Andere gehen ganz anders vor. Unsere Freundin Andrea Saemann zum Beispiel generiert ihre Texte im Moment aus einer inneren Vorstellungskraft.

SZ: Wir arbeiten eigentlich wie mit einer Partitur und interpretieren im jeweiligen Moment unsere Partitur.

IZ: Andrea Saemann sagte mir kürzlich, sie stelle an sich den Anspruch, während einer Performance im Idealfall etwas Neues in Erfahrung zu bringen. Welche Rolle spielt bei euch das eigene Erleben? Treibt euch die Neugierde, oder legt ihr es vor allem darauf an, das, was ihr vorbereitet habt, als intakte Bild- und Textfolge zu vermitteln?

SZ: Es gibt im jeweiligen Moment die Konzentration auf das, was passiert, was ich oder was wir machen. Dabei spüre ich, wie das Publikum reagiert: Sind sie aufmerksam, sind sie dabei?

MM: Es geht darum, ganz hinein zu kommen, eigentlich nur bei dieser Sache zu sein, einfach das zu machen, was man macht, in Verbindung mit dem Publikum.

SZ: Im Zwiegespräch.

MM: Uns interessiert der gemeinsame Moment, der dann entsteht, mit allen anwesenden Ingredienzien.

SZ: Ja, wir arbeiten mit der Präsenz, die vom Publikum und von uns gemeinsam hergestellt wird.

MM: Darin besteht auch ein Unterschied zu den Performan-ces der 1970er Jahre, wo es um einmalige, existenzielle Handlungen ging. Im Prinzip können wir unsere Performances wiederholen, wobei der gemeinsame Moment jedes Mal wieder neu hergestellt wird. Und es geht um Poesie, um Wahrhaftigkeit in der Imagination; es will nicht wahrhaftes Leben sein, das das Publikum zu unmittelbar Handelnden macht.

SZ: Wir bleiben also vornehm beim Geistigen.

MM: Auch die wiederholte Interpretation derselben Songs mit den Reines Prochaines macht den Handlungsraum irrsinnig gross. In den bekannten Abläufen, wo man alles ganz genau wahrnimmt, kann man sich frei bewegen wie in einem vertrauten architektonischen Raum. Das ist super.

IZ: Ihr habt vorhin Lévy-Strauss erwähnt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr seinen Begriff der ‚Bricolage‘ sozusagen als Rezept für euer Schaffen benutzt.

MM: Nein, den Begriff der ‚Bricolage‘ hat Alexandra Könz verwendet, eine Theoretikerin, die uns letztes Jahr (2009) zum Performancetag Telling Tales in die Kartause Ittingen bei Frauenfeld eingeladen hat und ihre Doktorarbeit schreibt über das Erzählerische in der Performancekunst: ‚Bricolage nach Lévy-Strauss ist eine besondere Art des Denkens und Handelns, die nicht einem planmässigen Vorgehen entspricht. Es zeichnet sich aus durch das spontane Reorganisieren vorgefundener, nur zum Teil zweckbestimmter Materialien oder Ereignisse zu neuen Strukturen.‘ Alexandra hat diese ethnologische These über ‚die Wilden‘ mit unserer künstlerischen Arbeit verglichen und Parallelen gesehen. Und ich muss sagen: Ich habe uns darin wieder gefunden.

IZ: Was löst die Entdeckung eines Begriffs aus, den ihr auf euch beziehen könnt?

MM: Sie holt etwas ans Licht, es wird etwas begrifflich bewusst und darum griffiger vermittelbar. Wobei es viele Dinge gibt, die wir nie ans Licht des Begrifflichen ziehen und trotzdem kultivieren und Meisterinnen darin sind. Andere Dinge, die kommen durch die Sicht und das Benennen von Betrachtern, von Gesprächspartern ans Licht, und das ist angenehm. Ein Geschenk.

SZ: Man kann es sich aneignen, weil es benannt ist.

IZ: Wenn ihr sagt, dass ihr meisterlich Dinge kultiviert, ohne sie deswegen begrifflich zu fassen, reizt es mich natürlich, danach zu fragen, welches diese Dinge sind?

MM: Ich habe sehr viele drehende Videoaufnahmen gemacht. Köpfe, Tassen, Gemüse, Spiegeleier, Vasen, und immer wieder tanzende Körper. Es gibt Versuche, dies zu erklären: Es sei die grösstmögliche Bewegung, die man in einer fixen Kameraeinstellung machen kann, es habe etwas Stillstehendes und sei trotzdem in Bewegung... Doch das sind keine befriedigenden Erklärungen.

SZ: Das Verwenden von Eimern, Gefässen in jeglicher Form, von Tischen, Hockern, Feuer, Licht, Tieren, von selbsterfundenen mythologischen Figuren, das sind Sachen, die wir immer wieder verwenden.

MM: Oder unser Vertrauen ins Rohe, Ungeschliffene, ins Absurde - als wäre es das Wahrhafte selbst: Das sind Affinitäten, deren genauen Grund wir selber nicht kennen. Aber Kunst, wo die Künstlerin alles mit Worten erklären kann, finde ich furchtbar - und ist vermutlich keine gute Kunst.

IZ: Um noch kurz bei der begrifflichen Analyse zu bleiben: 1997 erschien das Buch Nicht nur Körper: Künstlerinnen im Gespräch (Lars Müller, Baden). Das kam aus dem damals jungen akademischen Diskurs. Der Titel widersetzt sich dem Verdacht, wonach Künstlerinnen, wenn sie aus einem bewusst weiblichen Selbstverständnis heraus agieren, nur noch mit dem Körper argumentieren. Darin gibt es Aspekte, die nicht falsch sind: Die körperliche ‚Aufsässigkeit‘ in der Liveproduktion und im Bild, die habt ihr ja betrieben, das ist schon auch ein Thema.

MM: Ich finde Körper eminent wichtig, und das stellt ja das Geistige auch überhaupt nicht einen Millimeter in Frage. Diese Polarisierung zwischen Körper und Geist finde ich völlig lächerlich!

IZ: Gut, aber es gibt sie in der Rezeption.

MM: In der Rezeption, ja, aber das ist nicht unser Problem, das ist einfach nur dumm! Ein gewisses männliches, intellektuell antiquiertes Hochlandrindvieh hat meinetwegen auch Angst vor diesem weiblichen Körper, aber da muss es selber fertig werden damit.

IZ: Gefässe, Tische, Hocker. Euer Küchenschrank oder das Feuer im Ofen. Da steckt eine ganze Menge Alltag drin. Hat dieser Bezug, das Häusliche, die nächste Umgebung, auch damit zu tun, was ihr vorhin gesagt habt: dem seriösen Leben, das streng normiert abzulaufen hat, Paroli zu bieten?

MM: Wir nehmen ernst, was wir mit den Armen greifen können. Da spielt es keine wesentliche Rolle, ob wir Kunst machen oder Ferien planen oder das Haus putzen. Eine Beziehung ist ein nie endendes Gespräch. Dieses Gespräch ist unser Atelier.

SZ: Wir stehen auf und es beginnt schon, indem wir über unsere Träume sprechen. Die ganze Entwicklung von Projekten, die Ideensammlung, das läuft nebenher. Wir sind im ständigen Fluss des Spinnens und Verwerfens von Ideen.

MM: Das ist bei anderen Menschen auch so, dass sie essen, dann einen Gedanken aufschreiben, ein Bad nehmen, dann Freunde treffen und inspirierende Gespräche haben, nur - sie würden das vielleicht nicht als Arbeit, als kreativen Prozess definieren. Unser Arbeitsstil ist schmutzig. Es greift vieles ineinander über. Aber das ist ja nur ein Teil.

SZ: Der andere Teil ist ganz rein, indem wir sagen: Das ist ein klar abgestecktes Projekt mit konkreten Bedingungen, was Autorschaft, Mitarbeit, Titel, Medium, Zeit, Geld, Raum, Kuratorin, Institution betrifft.

MM: Es geht vor allem deswegen gut, leben und arbeiten, weil es diese zwei Aspekte gibt.

IZ: Das Schmutzige und das Saubere?

MM: Das Reine und das Schmutzige.

IZ: Nun seid ihr ja nicht bloss ‚wilde Bastlerinnen‘, die den eigenen Alltag collagieren, sondern habt einen wachen Blick auf Dinge, die sich abspielen, in eurer Generation, bei den Jüngeren, in der Kunst, in der Musik.
SZ: Uns interessiert immer auch die Welt ausserhalb unseres persönlichen Radius. Seit vielen Jahren arbeiten wir dokumentarisch und benutzen die Videokamera, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, um von ihnen zu hören, wie sie die Welt wahrnehmen, wie sie ihre Anliegen und Erfahrungen formulieren.
MM: Wir mischen dann diese Aufnahmen aus diesen Begegnungen mit unseren Bildern, mit unserem Blick auf die Welt, der immer ein Utopischer ist.

IZ: Utopie: ein grosses Wort.
MM: Ja, sagen wir: ein Blick, der das Wünschenswerte anpeilt.

IZ: Im Atelier kommen als Zwischentitel Nam June Paik, Fluxus, Punk und die women's lib vor. Was hat es mit diesen Referenzen auf sich?

MM: Das war ganz einfach meine Jugend! Man wird ja sehr geprägt in jungen Jahren. Da hat man Begegnungen, die sind teilweise künstlerischer, teilweise politischer Art. Die vermischen sich dann unheimlich toll, und alles ist ganz nahe beieinander. Und das Nachdenken über Feminismus, das Fasziniert-Sein von Fluxus und von Dadaismus, den man dann grad in der Kunstgewerbeschule mitbekommen hat, von Punk, vom 1980er Jahre-Aktionismus. Das fliesst im selben Moment ineinander und wird da zu einem produktiven Gebräu.

SZ: Unser Weg zur Kunst war unterschiedlich; ich bin da eine Spätzünderin. Prägend war für mich mehr die 68er Bewegung und, in Zusammenhang mit meinem pädagogischen Beruf, die antiautoritäre Erziehung oder ‚repressionsarme Erziehung‘‚ wie wir sie nannten: alternative Schulen, Kindergärten, das Zusammenleben in der Kommune und natürlich die Frauenbewegung. Fotografie, oder schlicht das Bild, haben mich schon immer interessiert, auch als dokumentarisches und politisches Mittel. Anfangs der 1980er kam Video, das unmittelbare, direkte‚ ohne grossen Aufwand überall abspielbare Medium hinzu. Ich wurde Mitglied der Videogenossenschaft Basel. Ich besuchte die Videoklasse bei René Pulfer, da traf ich Muda, Pipilotti Rist, Omi Scheidebauer, Renatus Zürcher, Uri Urech, Käthe Walser... das grosse Aha-Erlebnis. Da wurden mir die Augen geöffnet für Performance, für experimentelles Video, für Kunst überhaupt. Ich war hin und weg und angekommen, wo es mir gefällt. Daraus entstand auch die VIA, unser Video- und Audiostudio und Gemeinschaftsatelier bis heute.

IZ: Ihr seid eure eigenen Protagonistinnen, ihr agiert als Erfinderinnen und Autorinnen, ihr schneidet eure Videos und seid damit auf allen Ebenen involviert. Eure Präsenz ist weit mehr als eine Signatur: Miniaturen und andere Grössen (1999), Vermeintlichkeit und Zufall (2004), Grüner Donnerstag (2008)... die Reihe liesse sich lange fortsetzen.

MM: Das Repräsentieren des Paar-Seins ist ein Thema, bei dem wir bei anderen Repräsentationen von Paaren anknüpfen und versuchen, Bezüge zu schaffen, zum Beispiel, wenn wir behaupten, Gilbert und George zu sein. In einem Dokumentarfilm, wo sie ihre Scheisshäufchen-Fotosammlung zeigen, zelebrieren sie ihre Kleinbürgerlichkeit so vehement, dass man sich denkt, das können sie nicht wirklich ernst meinen. Sie insistieren und sind erstaunt, dass der Pfarrer sie als Perverslinge beschimpft. Das finden sie ganz schlimm und tun dann so beleidigt. Das hat mir gefallen, dass sie als schwules Paar auf ihrer redlichen Kleinbürgerlichkeit beharren. Das grosse homosexuelle Thema des Normalseinwollens haben wir dann nachgeahmt, und hinterfragen so auch unser Leben.

SZ: Es gibt auch tolle Fotos von Gertrude Stein und Alice B. Toklas, wo jede für sich, eine hinten, eine vorne, mehr als formale Elemente denn als Personen, im Raum stehen - damals sehr modern. Wir nehmen solche Referenzen gerne auf.

IZ: Was hat es mit eurem Requisit des roten Röckchens auf sich? Eine Art Gegenentwurf zu den grauen Biedermännern?
MM: Ach, keine Ahnung. Das musst du sagen!

SZ: Ich weiss nicht, das war irgendwann... Muda hatte schon immer ein rotes Röckchen.
MM: Ja, aber das hat irgendetwas...

IZ: ... mit Bühne zu tun?

MM: Mit Faulheit. Das ist einfach meine Faulheit. Ich habe keine Kleider-Fantasie. Und dann gibt's schon den Fakt, dass das Röckchen aus mir eine Figur macht. Ein kleines, kompaktes Figürchen. Viele Dinge - auch in unserer Musik - sind wie mit Filzstift gezeichnet. Pünktli, Pünktli, Pünktli, Strichli, Strichli, Strichli... Das gefällt mir gut. Es ist auch eine 1980er Jahre-Attitüde und hat mit Postpunk zu tun. Es geht darum, mit dem, was man hat, sehr prägnant umzugehen und es zu stilisieren.

SZ: Wir spielen mit unseren zwei Figuren, mit der Kleinen und der Grossen, dem ungleichen Zwillingspaar. Es sind zwei Gleiche, die doch ganz anders sind und nicht Geschwister. Oder wir spielen das cross-gedresste, Geschlechterrollen tauschende Paar, wie man es aus der homosexuellen Subkultur und später aus Genderdiskursen kennt.

IZ: Gibt es ein ‚Thema‘, das ihr aktuell bearbeitet? Oder, um weiter oben anzuknüpfen: Wo sind die Fragen, die ihr weiter treibt, wenn es zu neuen Einladungen kommt?

MM: Mir geht es im Moment um die Analyse: Was ist ‚Narration‘ und was ist ‚Abstraktion‘? Da bin ich jetzt sehr am Ausloten und Denken. Mich hat Narration immer interessiert, aber es interessiert mich nicht wirklich, selber zu erzählen. Wir haben uns gesagt: Gut, dann machen wir Gedichte, nicht Prosa. Und es stimmt, es gibt viele Elemente in unserem Werk, die sind Songs, kleine Nummern, früher habe ich sie auch Bilder genannt; kleine, in sich geschlossene Formen, die in sich auch erzählerisch sind. Mich interessiert jetzt, die einzelnen Elemente nicht mehr als Perlenkette aneinander zu reihen, sondern der Erzählung in einer grossen Linie auf die Schliche zu kommen. Ich glaube, in der Performance ist uns das jetzt schon ziemlich gut gelungen. Andererseits sind unsere Kompositionen, Konstruktionen und Texte sehr abstrakt und haben mit Erzählung gar nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun!

IZ: Was heisst in eurem Werkzusammenhang ‚abstrakt‘? - Mir wäre spontan dieser Begriff nicht eingefallen, in dieser oft blumigen, üppigen, bunten, bewegten, süffigen Geschichte. Ihr setzt den Begriff als Gegenpol zu Narration, nicht etwa zu Figuration ein.
MM: Es hat wohl mit den Lücken zu tun, mit dem Unverbunden-Sein der Dinge, die dennoch aufeinander eine Wirkung haben. Objekte - oder auch wir, wie wir als Figuren zueinander stehen - sind als Bildelemente gemeint und sind nicht mehr das, was sie zu sein vorgeben. Dann machen wir wieder eine Zuschreibung. Diese ‚Hirschkuh‘, die meine ich doch sehr ernst, diese Figur, diese performative, skulpturale Setzung, die meine ich sehr ernst!

IZ: Daran habe ich nicht gezweifelt, auch wenn sie mich belustigt. Das ist es ja bei den starken Sachen: Man lacht einen Moment, und der Witz prallt mit eurer Ernsthaftigkeit zusammen, die ich auch nachlesen kann in euren Songs und anderen Texten. ‚Bildet Banden‘, heisst es im ‚Ersten Manifest grosser und angesehener Künstlerinnen‘ von 1999, einem Dokument ex-plizit kollektiver Autorenschaft.

SZ: Bildet Banden ist uns Befehl. Wir arbeiten immer wieder mit Fränzi Madörin zusammen, mit ihr haben wir auch unabhängig von Les Reines Prochaines viele Audio- und Videoprojekte realisiert. Wir beteiligen uns auch an Gruppenprojekten mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern, in letzter Zeit oft mit der Gruppe ‚Tischgespräche‘, wie z.B. Purity and Danger, eine Aktion auf dem Münsterplatz in Basel, oder Die Glücksmaschine, eine Gruppenausstellung im Selbstversuch in Basel, the road to new bethesda, ein von Andrea Saemann und Monika Dillier organisierter Künstleraustausch in Südafrika. Oder wir initiieren Anlässe zusammen mit unseren Freunden, der VIA oder mit Chris Regn vom Kasko, wie Die schwitzende Löwin. Das sind grosse Anlässe mit vielen kleinen Nummern und vielen geladenen Gästen.

MM: Uns ist es wichtig, Teil einer lebendigen Szene zu sein. Wir praktizieren ‚talentbezogenes Zusammenarbeiten‘. Wenn immer alle alles machen, dauert es viel zu lange. Ein Vorteil der Zusammenarbeit ist ja, dass man mit gemeinsamen Kräften mehr leisten kann. Darum ist es gut aufzuteilen. Das machen wir sehr oft. Sus zum Beispiel macht die Videos, die meisten Aufnahmen und den kompletten Schnitt, dabei trifft sie ganz viele Entscheidungen. Ich bin in diesem Moment ‚oeuil exterieur‘, nehme etwas Abstand und sage dann vielleicht: Das würde ich etwas kürzen, oder: Da gab es doch noch ein anderes Bild. Bis dahin hat sie schon eine Million kleiner Entscheidungen getroffen. Und ich mache den Sound. Da sind wieder tausend Entscheidungen drin, die fälle ich, auch bezüglich Expression. Da macht dann jede ganz viel alleine, auch wenn die Arbeit zusammen entsteht.

IZ: In eurer Rückschau: Was waren für euch die wichtigsten Förderungen? Ich denke nicht nur an Geldbeiträge, sondern generell: Was hat das Werk am meisten genährt?

MM: Künstlerinnen, die nahe sind, mit denen man zusammenarbeitet, Erfahrungen teilt und abgucken kann, Kontinuität. Aber auch Diskussionspartner an der Hochschule, in Kommissionen, Studierende, Kollegen; laut nachzudenken über Kunst, das hilft und nährt sehr.

SZ: Und die Möglichkeiten, etwas zu zeigen, auszustellen.

MM: Genau. Grosse Kisten, Ausstellungen, wo man so richtig gefordert wird.

SZ: Die Möglichkeit, etwas zu realisieren.

MM: Das Vertrauen geschenkt zu bekommen von einem Kurator, der einen einlädt, ist die wichtigste Stimulanz überhaupt.

SZ: Aber auch kleine, von aussen nicht so prominente Ausstellungen, wo man mehr experimentieren kann, sind eminent wichtig.

MM: Für uns war es eine grosse Sache, als wir anfangs der 1990er Jahre nach Berlin kamen. Da gab es Theoretikerinnen, die sich für uns interessierten. Sie luden uns zum Frühstück ein und stellten Fragen und sagten: "Wir arbeiten an einem Text über bildende Künstlerinnen, die auch Musik machen." Diese geschenkte Aufmerksamkeit und die ganz genaue Nachfrage waren total neu.

IZ: Das bezog sich auf Les Reines Prochaines?

MM: Ja. Menschen, die sich überhaupt solche Ausstellungen oder solche Konzerte anhörten, wie wir sie machten, und gleichzeitig in einem akademischen Kontext dachten, das gab es hier in der Schweiz nicht. Ich habe die grosse Hoffung, dass sich das jetzt, mit der vermehrt theoretischen Ausrichtung der Kunsthochschulen, ändert.

IZ: Es gibt ja in der Kunst auch immer ein Risiko. Wie geht ihr mit Nieder-lagen, mit dem Scheitern um? Gibt es das, und gibt es darin etwas, was auch kreative Kräfte mobilisiert?

MM: Ja, das ist ein wichtiger Faktor. Ich sage den Studierenden jeweils, jede zweite Arbeit müsse gelingen. Man riskiert ja nichts, wenn man sich immer nur so weit hinauswagt, dass alles auf der sicheren Seite ist, dann ist man keine gute Künstlerin.

SZ: Scheitern ist ja auch schmerzhaft, doch das ist produktiv, man kann etwas lernen und ändert dann etwas beim nächsten Mal.

MM: In Wirklichkeit ist es ja so, dass die allermeisten Arbeiten - bei erfahrenen Künstlerinnen - eigentlich nie zu hundert Prozent scheitern, sondern es gibt immer ein Teil-Scheitern. Man gewichtet dieses Teil-Scheitern nur mehr oder weniger selbstkritisch. Bei Selbstzweifeln wird das Feedback von aussen wichtig: Gefällt die Arbeit, erhält man Anerkennung für sie, dann relativieren sich die Selbstzweifel. Das ‚kleine‘ Scheitern kann je nachdem auch zu ‚gross‘ genommen werden; es gibt bekanntlich auch einen Grössenwahn im Selbstzweifel.

SZ: Wenn die ganze Selbstachtung vor der eigenen Arbeit zerfällt, dann ist das ganz und gar nicht produktiv. Eine gute Selbstempfindung, ein gutes Selbstbewusstsein zu haben, ist wichtig.

MM: Und Coolness.

SZ: Und Sportgeist, denn einstecken muss man können.

MM: Und auch ein bisschen Distanz zu sich selbst.

SZ: Nicht zu viele narzisstische Probleme.

MM: Es gibt ja auch Arbeiten, die man so hingeschüttelt hat, die plötzlich grossen Erfolg haben. Und man weiss eigentlich nicht, warum man diesen Erfolg verdient hat. Dann sag ich nur: Glück gehabt. Künstlerglück eben.

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