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Cornelia Sollfrank: Du bist nun seit über zehn Jahren im Bereich der «Medienkunst» aktiv und hast - hauptsächlich durch den Aufbau von Strukturen - viel dazu beigetragen, neue Kunstformen, die mit elektronischen Medien ­arbeiten, einem breiten Publikum zugänglich zu machen und zu vermitteln. Wie grenzt du den Bereich ein, der dich interessiert? Wie verortest du dich in diesem ­Diskurs, in dem eine medienspezifische Einteilung der Kunst immer wieder in Frage ­gestellt wird?

Annette Schindler: In erster Linie geht es mir um bestimmte Spielarten zeitge­nössischer Kunst, für die der Begriff Medienkunst aber zu ungenau ist. Es geht mir um ein breites Spektrum von Praktiken, in denen digitale Technologie Werkzeug sein kann, Methode, Inhalt, Medium oder der kulturelle Kontext, dem sie ­entstammt oder den sie produziert. Die Technologien, die dabei zur Anwendung kommen, sind etwa Software, Sensoren und Steuerungen, oder locative media, ­augmented reality, usw.
Sehr oft ist die Kunst in diesen Bereichen prozessorientiert, d.h., man hat es nicht mit einem abgeschlossenen Werk zu tun, sondern mit einem «instabilen» Setting, in dem nicht selten auch der «Betrachter» eine wichtige Rolle spielt. Im Prozesshaften - und hier kann es sich um technische und ästhetische genauso wie um soziale Prozesse handeln - zeichnet sich eine gewisse Nähe zur Konzeptkunst, zur Per­formancekunst oder Intervention ab. Und genau da wird es für mich spannend, wo ästhetische Verfahren durch eine Auseinandersetzung mit der alles durchdringenden Medientechnologie neue künstlerische Formate und neue Erkenntnisse ­produzieren. Eine medienspezifische Eingrenzung dieses Bereiches macht insofern Sinn, als die digitalen Technologien nicht nur Medium sein können, sondern implizit oder explizit immer auch Teil des Inhalts sind. Darüber hinaus erfordert der ­Umgang mit dieser Kunst - das Ausstellen und Vermitteln - technisches Know-how und eine technische Infrastruktur, die nur an den dafür eingerichteten Orten verfügbar ist.

Der bürgerlich geprägte Kunstbegriff lehnt traditionell jede zweckhafte ­Ein­bindung der Künste und auch alles Mechanische ab. Das heisst, spätestens seit dem 18. Jahrhundert wurden die Bereiche Kunst und Technik als gegen­sätzlich empfunden. Charles P. Snow sprach sogar Ende der 1950er Jahre noch von «zwei Kulturen», einer technisch-naturwissenschaftlichen und einer künst­lerischen. Meines Erachtens geht die bis heute andauernde Skepsis und ­Abwehr von Medienkunst durch Vertreter traditioneller Kunst genau auf diese ­Abgrenzung des bürgerlichen Kunstbegriffs zurück. Wie gehst du in der Praxis - und theoretisch - damit um, diese beiden «Kulturen» in Verbindung zu bringen bzw. die traditionellen Vorbehalte gegen Kunst, die mit oder über Technik ­arbeitet, zu entkräften?

Ich kenne diese Vorbehalte; sie sind typisch für die Übergangszeit, in der wir uns befinden. Den oben beschriebenen Kunstbegriff halte ich für ein Auslaufmodell. Kunst, die ich relevant finde, muss sich auf die Gesellschaft beziehen, in der sie ­entsteht. Meines Erachtens können nur solche KünstlerInnen bedeutsame Kunst schaffen, die ein Sensorium haben für das, was ihre Zeit wirklich ausmacht. Und im Bereich digitaler Technologien bedarf es zusätzlich sehr spezifischer Kompetenzen - nicht nur um qualifizierte (ästhetische) Aussagen zu machen, sondern auch um deren Erkenntniswert zu verstehen. Deshalb habe ich meine Bemühungen darauf ausgerichtet, diese Kunst, ihre Inhalte und ihre - manchmal nicht auf Anhieb verständliche - Sprache zu vermitteln.

Für eure Vermittlungsarbeit spielte der Aufbau des Forums für Neue Medien [plug.in] eine wesentliche Rolle. Was unterscheidet das [plug.in] von anderen Kunstinstitutionen?

Zum einen das besondere inhaltliche Interesse, wie oben beschrieben. Ausserdem war es mir wichtig, für die Institution eine Struktur zu finden, die den vielfältigen Anforderungen gerecht wird und dabei bestimmte Eigenschaften des digitalen ­Mediums reflektiert, z.B. das Prozesshafte, das Partizipative und Kommunikative.
Es gibt einen physischen Ort, einen Treffpunkt, der zugleich Galerie, Veranstaltungsraum, Büro, Bar, Archiv und Shop ist. Für unseren Raum und unser Programm ist es wichtig, dass wir unserem Publikum etwas zu sehen und zu erfahren geben, aber auch dass Menschen zusammenkommen, diskutieren, sich austauschen, zusammenarbeiten: ein Ort, an dem nicht einseitig etwas verabreicht wird, sondern wo etwas entsteht. Entsprechend finden neben Ausstellungen, Screenings und Diskussionen auch Workshops statt und ein kontinuierliches Vermittlungsprogramm. In der Mediathek sind Bücher und DVDs zugänglich an den fünf Tagen der Woche, an denen wir geöffnet haben.
Mit dem [plug.in] sollte ein verbindendes Element hergestellt werden zwischen Publikum und KünstlerInnen, KuratorInnen, VermittlerInnen, JournalistInnen, ­WissenschaftlerInnen, die in dem Bereich tätig sind, auch um einen Wissenstransfer zu ermöglichen. Dabei ist es mir immer wichtig gewesen, die vielfältige lokale Szene mit einem internationalen Netzwerk in Verbindung zu bringen.

Deinen Amtsantritt in Basel habe ich in sehr guter Erinnerung, weil du in der Konzeptionsphase des [plug.in] KünstlerInnen zur Mitarbeit eingeladen hast. Wir sollten - gegen ein Honorar versteht sich - unsere Anforderungen und ­Bedürfnisse an eine solche Institution formulieren. Das habe ich als sehr positive Geste empfunden. Welche neuen Erkenntnisse haben sich für dich daraus ­ergeben? Konntest du sie umsetzen?

Im Jahr 2000 waren die KünstlerInnen die einzigen Experten in dieser Sache weit und breit, denn sie hatten mit den herkömmlichen Institutionen bereits Erfahrungen gemacht und eine Vorstellung davon, wo deren Unzulänglichkeiten im Hinblick auf die digitale Kunst lagen. KuratorInnen, die sich mit Medienkunst beschäftigten, liessen sich an einer Hand abzählen und hatten kaum Erfahrung mit eigenen Institutionen. Das ZKM in Karlsruhe oder die Ars electronica in Linz konnten kein Massstab für uns sein, weil wir inhaltlich und finanziell in sehr verschiedenen Dimensionen arbeiten. Die Beiträge der KünstlerInnen - wir nannten sie «Constitution Contributions» - fielen sehr unterschiedlich aus und reichten von künstlerischen Arbeiten bis zu konkreten Vorschlägen für den Betrieb. Alles wurde online zugänglich gemacht, und obwohl wir die meisten der konkreten Vorschläge nicht direkt umsetzen konnten, waren sie doch massgeblich für die Richtung, die das [plug.in] einschlug. Und auch künstlerisch zeichneten sich damals schon Ansätze ab, die wir später weiterverfolgen sollten.

Welches Publikum sprichst du mit deiner Arbeit an? Existiert dieses ­Publikum oder musst du es erst entwickeln?

Das Entwickeln des Publikums gehört zu unseren wichtigen Aufgaben, und es ist eine Aufgabe, die sich ständig verändert. In der Anfangszeit mussten wir unseren Besuchern zuweilen noch erklären, was ein Browser ist und wie das Internet funktioniert - das ist heute nicht mehr nötig. Die Geschwindigkeit, mit der sich die ­Medienkompetenz unseres Publikums entwickelt hat, ist fast noch eindrücklicher, als die der künstlerischen und technischen Veränderungen in den zehn Jahren unserer Tätigkeit. Das ist natürlich die Konsequenz der Durchdringung unseres ­Alltags mit Medien und Technologien und deren ubiquitärer Nutzung. Trotz der ­gestiegenen Medienkompetenz können sich aber immer noch nur wenige Menschen vorstellen, dass es Kunst gibt, die sich mit diesen Entwicklungen beschäftigt.
Darüber hinaus zeigt sich beim Publikum inzwischen eine Generationenkluft: Die nach 1980 geborene Generation hat einen viel entspannteren Umgang, insbesondere mit dem Internet und den Möglichkeiten des World Wide Web. Für sie gehört «Hören» und «Sprechen», «Downloaden» und «Uploaden», «Rezipieren» und «Produzieren» sowie «Konsumieren» und «Beitragen» stets zusammen. Diese Generation gibt sich immer weniger mit dem herkömmlichen Habitus des Publikums als rein «empfangendes» zufrieden. Sie versteht sich mindestens ebenso sehr als Sender. Die Kultur, der sie zugehören, ist eine, die sie aktiv mitprägen. Man könnte auch sagen, dass sich damit gewisse Ansätze der poststrukturalistischen Theorie in der Praxis realisieren, z.B. der erweiterte Begriff von Autorschaft. Die «Consomauteurs» zeichnen sich aus durch neue Ansprüche an Kultur, die wesentlich ­geprägt sind von Teilnahme. Und nicht zuletzt sind sie auch das zukünftige «Publikum» von Museen und Kunstinstitutionen und fordern diese dazu auf, das Verhältnis zu ihrem Publikum à jour zu bringen und neue Möglichkeiten des Austauschs zwischen Kunst und Publikum zu entwickeln.
Die KünstlerInnen sind dabei den Institutionen einige Schritte voraus: Deine ­eigene Arbeit, Cornelia, ist dafür ein prägnantes Beispiel. Dein Netzkunst-­Generator ist kein in sich geschlossenes, unveränderliches Werk, sondern eher ein Set von ­Regeln und Möglichkeiten, die vom «Consomauteur» bedient werden, um immer neue Werkvarianten zu erstellen. Damit nutzt du die spezifischen Eigenschaften des Internets, betreibst eine Verunklärung des Autorschaftsbegriffs und eröffnest die Möglichkeit partizipativer Produktionsprozesse. Solchen Modellen gehört die Zukunft des kulturellen Diskurses. Viele Institutionen werden das noch lernen ­müssen, wenn sie den Anschluss an ihr Publikum nicht verpassen wollen.

Der rein zahlenmässige Anstieg von Ausstellungen, aber auch die zunehmende Bandbreite von Ausstellungsformaten deuten darauf hin, dass das Format «­Ausstellung» zu einem der wichtigsten Medien geworden ist, um Kunst einem Publikum zugänglich zu machen. Teils Strukturierungsmassnahme, teils ­sozialhistorisches Event, teils Spektakel, ist die Ausstellung der zentrale Ort für den (Aus)Tausch in der politischen Ökonomie von Kunst, wo kulturelle ­Bedeutung ­hergestellt, erhalten und gelegentlich auch dekonstruiert wird. Trifft diese ­Beobachtung für die digitale Kunst in gleicher Weise zu? Braucht sie überhaupt ­Ausstellungen? Welche Aspekte kommen durch die Verortung vieler Medienkunstwerke im virtuellen Raum hinzu?

Diesem Aufschwung hat auch die digitale Kunst vieles zu verdanken, denn einige der neu erschlossenen Ausstellungsmöglichkeiten sind auch für digitale und Medienkunst offen. Dabei sind bestimmte Formate der Medienkunst sehr stark, andere weniger auf den Ausstellungsraum angewiesen. Eine interaktive Installation braucht den physischen Raum, oftmals muss dieser speziell beschaffen sein, damit die Sensoren verlässlich funktionieren. Sie braucht Aufsichtspersonal, um z.B. die Anzahl der Besucher zu regulieren, damit die Interaktion nachvollziehbar bleibt. Ist die ­Installation abgebaut und sind die Geräte retourniert, bleibt vom Werk oft nicht viel übrig: Dokumentationsfotos und eine Festplatte voller Daten. Die Arbeit existiert also in ihrer originalen Form nur im Ausstellungsraum und -kontext.
Bei der Internetkunst verhält es sich ganz anders. Das Ritual des Ausstellungsbesuchs, für das man Zeit einplant und eine Reise - und sei sie auch noch so kurz - unter die Füsse nimmt, um sich von der Kunst mal mehr, mal weniger überraschen zu lassen, entfällt vollständig. Die Kunst ist über jeden Computer online jederzeit von zu Hause oder vom Büro aus zugänglich. Diese Kunstform braucht also die Ausstellungssituation nicht, um öffentlich zu werden. Das bedeutet auch, dass KuratorInnen und Institutionen überflüssig werden - zumindest was das ­Öffentlichmachen anbelangt. Während dies einerseits eine Demokratisierung der Kunst bedeutet, entsteht andererseits das Problem, dass es die Rezeption erschwert. Wie werde ich auf die wirklich guten Internet-Arbeiten aufmerksam? Wie viel notwendiges Hintergrundwissen ist zugänglich? Einige Werke werden unter Online-Communities herumgereicht und erhalten so ein sehr viel grösseres und breiteres Publikum als jede Museumsausstellung; andere hingegen fristen im Internet ein Schattendasein. Aus meiner Erfahrung im [plug.in] weiss ich, dass Kunstvermitt­lerInnen hier durchaus wieder eine wichtige Rolle haben, die vom Publikum auch eingefordert wird, nämlich Hintergrundinformationen liefern und Kontexte herstellen, z.B. in Form von Vorträgen. Und selbst wenn das Ausstellen von Internetkunst umstritten ist, wird sie dadurch auf jeden Fall auch einem Publikum nähergebracht, dem sie ansonsten unbekannt bliebe.
Digitale Kunst zu kuratieren, bedeutet aber auch - ganz konventionell -, aus­gewählte künstlerische Positionen ins Rampenlicht zu rücken. Ich verstehe meine Aufgabe als ein Sprechen über Kunst zu einem Publikum, als ein Erzählen von ­Geschichten, ein Vermitteln von Hintergrundinformationen, als Hilfestellung-­Geben im Erkennen von Referenzsystemen. Insofern versuche ich natürlich dazu bei­zutragen, dass das Publikum wirklich einen Zugang erhält zum Erkenntniswert ­dieser Kunst, - und kann es dabei nicht vermeiden, zu selektionieren und implizit zu werten.

Werden damit nicht herkömmliche institutionelle Selektionsverfahren wieder eingeführt und das demokratische Potenzial der Internetkunst unterwandert?

Ich denke, da würden wir der Institution doch mehr Einfluss zugestehen als realistisch ist. Meiner Meinung nach zeichnet sich in einem solchen Prozess eine un­vermeidbare Entwicklung ab, die jeder neuen kulturellen Form widerfährt. Sadie Plant hat das so beschrieben: In aufkeimenden kulturellen Szenen gehören ProduzentInnen und RezipientInnen zur gleichen Community. Die frühen Rapper, z.B., sind zuerst praktisch nur vor anderen Rappern aufgetreten. Später weitet sich die Community aus, immer mehr Leute aus anderen Bereichen beginnen sich für die neue Entwicklung zu interessieren. Ein Publikum entsteht jenseits des Insider­kreises, Experten schalten sich ins Geschehen ein, der Markt beginnt irgendwann eine Rolle zu spielen, so dass es zu externen Bewertungen und damit oft auch Subszenen kommt. Schliesslich bildet sich ein neuer Mainstream heraus, in dem einige KünstlerInnen erfolgreicher sind als andere. Das passiert auch bei der digitalen Kunst. [Plug.in] und das «Haus für elektronische Künste» sind ein Teil dieser Entwicklung. Es steht zwar nicht in unserer Macht, diese Entwicklung herbeizuführen, aber wir sind ihr auch nicht einfach ausgeliefert: Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden wir sie mitgestalten.

Von dem britischen Künstler Liam Gillick stammt die Aussage, dass in den 1990-er Jahren KuratorInnen die Kunst mehr verändert hätten als KünstlerInnen. Wenn man diese Äusserung nachvollziehen möchte, bedeutet sie in erster Linie, dass über die Gestaltung der Kunstvermittlung wesentlich Einfluss darauf genommen wird, wie und welche Kunst entsteht, welche Kunst einem grösseren Publikum bekannt wird und was vom Mainstream ausgeschlossen bleibt.

Das ist nicht zu bestreiten. Die Funktion von KuratorInnen ist vergleichbar mit der einer Zeitungsredaktion: Sie bestimmt darüber, was öffentlich wird und was nicht. Und die Karrierebewussten unter den KuratorInnen beobachten sehr genau den Kunstmarkt: Welche Galerien vertreten welche Künstler? - Finger weg von KünstlerInnen, die «nur» in kleinen Galerien ausstellen; welche Sammler kaufen welche KünstlerInnen? - Finger ultimativ weg von KünstlerInnen, deren Werke von wichtigen Sammlern abgestossen wurden. Und: Welche der grossen und finanzstarken Museen zeigen und sammeln welche Künstler? Wer seine Künstlerauswahl mit ­jener der mächtigen Galerien, Sammler und Museen in Deckung bringt, sichert sich schon mal deren Wohlwollen und Support. Diese Mechanismen greifen bei der digitalen Kunst nicht. Sie ist (noch) nicht handelbar und in grossen Museen so gut wie gar nicht vertreten. Für meine Auswahl kann ich mich deshalb weder an Galerien noch an Sammlern oder Museen orientieren. Das hat zur Folge, dass wir - die Medienkunstszene - ausserhalb des Popstar-Systems der bildenden Kunst agieren. Gegenwärtig wird niemand so richtig reich, niemand über einen gewissen - an Inhalten und ästhetischen Konzepten interessierten - Kreis hinaus bekannt, weder Künstler noch Kuratoren. Das ist der Preis dafür, eigene Entscheidungen zu treffen, Themen zu setzen, die uns ein Anliegen sind, und mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten, deren Arbeit wir unabhängig von Marktfaktoren für relevant halten.

Da es keinen etablierten Rahmen gibt in der digitalen Kunst, keine Geschichte, keinen Kanon oder Markt, an dem man sich orientieren könnte, bezeichnen viele Medienkunstkuratoren den Dialog mit den KünstlerInnen als ihre wichtigste Arbeitsmethode. Was sind deine Methoden, um neue Tendenzen und neue Werke zu finden?

Der Dialog mit Künstlern und Kollegen spielt hier sicher eine wichtige Rolle, ebenso das Besuchen von Ausstellungen und Festivals. Eine meiner liebsten Möglichkeiten, Informationen über aktuelle Werke und KünstlerInnen zu erhalten, ist die Juryarbeit. Diese gibt jeweils Gelegenheit, viele aktuelle Dossiers zu sichten und sie mit qualifizierten KollegInnen zu diskutieren. Auch Internet-Recherche wird Jahr für Jahr lohnender, weil immer mehr Material vorhanden ist.
Grundsätzlich ist mir beim Aufspüren neuer Themen wichtig, dass die Dis­kurse, die in unseren Ausstellungen verhandelt werden, auch für unser nicht-akademisches Publikum relevant sind. Das spielerische oder aggressive Pozential, das neue Techno­logien in uns allen wecken, kann ein Thema sein. Die Entwicklungen in der Content-Industrie und ihre Auswirkungen auf die Kultur wären ein anderes Beispiel.

Das nehme ich zum Anlass, ein konkretes Thema anzusprechen, das du bearbeitest, und eine konkrete Ausstellung: In der Ausstellung «Access» (2007, «Shift»-Festival) ging es um die Chancen und Konflikte, die sich im Hinblick auf den Zugang zu Wissen, Raum und Kultur im digitalen Zeitalter entwickelt ­haben. Dabei spielt das Urheberrecht als Regulativ eine wesentliche Rolle. Zu diesem Thema hast du über deine kuratorische Tätigkeit hinaus auch politisch Position bezogen: Zusammen mit Felix Stalder hast du die Initiative «Kunstfreiheit» gestartet. Warum sind die Themen Urheberrecht und Zugang zu Wissen und Kultur zentrale Anliegen deiner Arbeit geworden? Wo liegen die Verbindungslinien zu den Neuen Medien und zur Kunst? Und welche Position vertrittst du politisch und kuratorisch?

Als ich meine Arbeit in Basel aufnahm, entstand sehr bald der Kontakt mit einer lokalen Künstlergruppe um Adnan Hadziselimovic, die zum Thema Urheberrecht arbeitet. Anlässlich des Viper-Festivals 2001 konnten wir gemeinsam Programme dazu anbieten, wie etwa eine Copyleft-Party und eine Panel-Diskussion (an der du ja auch beteiligt warst), bei der es um alternative kulturelle ­Ökonomien im Netz ging. Aber meine Auseinandersetzung mit dem Thema geht weiter zurück, bis zu meiner Zeit am Kunsthaus Glarus. Dort mussten wir aufgrund der zu hohen Kosten für Bildrechte Postkarten einstampfen, die wir von Bildern aus der eigenen Sammlung des Hauses gemacht hatten. Leider differenziert das Urheber­recht - und die mit seiner Durchsetzung beauftragten Verwertungsgesellschaften - zu wenig, um welche Nutzung es sich handelt. In der Schweiz sind gewinnorientiert arbeitende Auktionshäuser sogar von gewissen Abgaben ausgenommen, die Non-Profit-Institutionen erbringen müssen, einfach, weil letztere keine gute politische Lobby­arbeit leisteten. Seither taucht das Thema immer wieder auf: deine Ausstellung «Legal Perspective» (2004), die sich aus der Tatsache entwickelte, dass wir die ursprünglich geplante Ausstellung aus Urheberrechtsgründen absagen mussten! Im Jahr darauf machte ich dann einen Weiterbildungsurlaub an der New York Law School zum Thema Kunst und Urheberrecht. Es folgten eine ganze ­Reihe von Veranstaltungen und schliesslich 2006 die Gründung der Initiative «Kunst­freiheit» als Versuch, sich in die politische Debatte einzubringen und die Künst­lerInnen in der Schweiz wachzurütteln und darauf aufmerksam zu machen, dass die Veränderungen des Urheberrechts sie ganz direkt betreffen.
Das erste «Shift»-Festival 2007 war ganz dem Thema «Access» gewidmet, die Ausstellung versammelte künstlerische Positionen dazu. Die Mediengruppe Bitnik etwa präsentierte eine dokumentarische Fassung ihrer performativen Arbeit «­Opera calling», in welcher sie Abhörwanzen im Zürcher Opernhaus versteckte und während der Aufführungen zufällig gewählten Telefonabonnenten eine «Direktübertragung» bescherte. Natürlich klagte das Zürcher Opernhaus gegen die Künstler und machte so klar, dass es als unzulässig erachtete, dass Bitnik eine neue künstlerische Arbeit schuf, die sich in dieser Weise auf seine Aufführungen bezog. Ein ­anderes Beispiel ist die Arbeit «Picidae» des Künstlerduos Wachter/Jud. Dabei ­handelt es sich um eine von ihm entwickelte Web-Applikation, die es erlaubt, technische Zensurmechanismen zu umgehen und damit den Zugang zu Wissen und Kultur für die entsprechenden Umfelder zu ebnen. Die Ausstellung sollte veranschaulichen, dass sowohl die Zensur wie auch - vermehrt - das Urheberrecht einschränkend auf die Produktion und Rezeption von Kultur wirken.
Dabei spielen Verfahren des Aneignens und Kopierens für die Entwicklung der Kunst seit jeher eine grosse Rolle. An zahlreichen Orten, z.B. in Rom, gibt es ein eigenes Museum mit römischen Kopien oder Aneignungen griechischer ­Statuen. Heutzutage würde das als Urheberrechtsverletzung betrachtet werden, ­genauso wie viele massgebliche künstlerische Verfahren unserer Zeit: Approp­riationskunst, Pop-Art, Sampling usw. Diese künstlerischen Ansätze sind darauf ­angewiesen, mit ­Referenzen aller Art zu arbeiten, und es geht meiner Ansicht nach nicht an, dass diese Entwicklungen beeinträchtigt werden, weil - um es plakativ zu sagen - amerikanische Verwerter um ihre Mickey-Mouse-Lizenzeinnahmen ­bangen.
Das Arbeiten mit Versatzstücken und Referenzen ist in der digitalen Kultur ganz besonders ein Thema, weil sehr viel - auch urheberrechtlich geschütztes - Material digital zugänglich und verlustfrei kopierbar ist. KünstlerInnen sollten diese Möglichkeit selbstverständlich nutzen können. Darin besteht meiner Meinung nach auch ein Teil ihrer in der Verfassung verbürgten künstlerischen Freiheit. KünstlerInnen, die in diesem Bereich arbeiten, begeben sich aber in eine Grauzone und gehen das Risiko ein, juristisch belangt zu werden.

Wir sollten nun über die Zukunft sprechen, das «Haus für elektronische Künste». Welche Überlegungen stecken hinter der räumlichen Zusammenführung von «plug.in», dem «Shift»-Festival und der neuen «Digital Art Collection/Store». Was wird sich verändern, und was konkret erwartest du dir von einer Erweiterung durch eine Marktkomponente?

Der Zusammenschluss führt dazu, dass wir eine Grösse erreichen, die uns für eidgenössische Förderung qualifiziert, aber auch internationale Kooperationen erleichtern wird. Dann entsteht in einem grösseren Team sicher eine andere Dynamik in den verschiedenen Bereichen. So werden künftig jene, die bisher nur für das ­Festival zuständig waren, auch beim Jahresprogramm mitwirken. Das Bewahren des digitalen kulturellen Erbes und das Erschliessen der Möglichkeit, dieses auch wissenschaftlich zu bearbeiten, wird die Aufgabe der Sammlung sein. Daneben will diese aber auch Modell sein und Sammler anregen, ebenfalls einen Ankauf zu ­wagen: Die Medienkunstwerke der Sammlung, die in Editionen aufgelegt sind, ­bieten wir im Store zum Kauf an. Vom Kaufpreis gehen 70 Prozent an die KünstlerInnen - so viel wie keine Galerie weitergibt. Der Rest ist für weitere Ankäufe ­reserviert. Es geht nicht wie bei einer Galerie darum, einzelne KünstlerInnen zu vertreten, ­sondern wie bei einem Laden, attraktive «Angebote» im Regal zu ­haben.
Die Marktkomponente einzuführen, ist für mich ein experimentelles Vorhaben, und es ist uns wichtig, gemeinsam mit den KünstlerInnen ein gutes Format zu ­finden, das zumindest potenziell verkäuflich ist. Ästhetische Kompromittierungen dem Markt zuliebe werden wir nicht unterstützen.

Ich sehe aber nicht nur die Vorteile für die digitale Kunst, sondern auch ­Probleme und Konflikte, die sich aus der zunehmenden Institutionalisierung und dem Experimentieren mit der Vermarktbarkeit ergeben. Wenn ich davon ausgehe, dass die Marktfähigkeit auch dazu dienen soll, diese Kunst­formen zu bewahren, frage ich mich, was beispielsweise mit jenen prozes­sorientierten oder performativen Arbeiten passiert, die sich nicht in limitierter Auflage produzieren und vermarkten lassen.

Die DA-Collection sammelt und bewahrt nicht ausschliesslich Editionen. Natürlich müssen auch andere Werkformate erhalten werden. Für viele wird es notwendig sein, spezifische technische Lösungen zu entwickeln oder - wie im Fall der prozessualen/interventionistischen Werke - adäquate dokumentarische Formen zu finden. Den monetären Wert künstlerischer Arbeiten kann schliesslich nur der Markt, genau genommen sogar nur der Sekundärmarkt (Auktionen) bestimmen.

Damit spielt in deiner Praxis das Aufbauen, Ausbauen und Sichern von ­institutionellen Strukturen eine grosse Rolle. Diese Tätigkeit geht weit über das Kuratieren im klassischen Sinne hinaus...

... und sie bedeutet in erster Linie organisatorische, administrative und politische Arbeit, die mich entfernt von den Inhalten, die mir eigentlich wichtiger sind. Aber es sind am Ende gerade diese Tätigkeiten, die es erlauben, inhaltliche Kontinuität herzustellen. Tatsache ist, dass wir uns laufend neu erfinden und damit immer wieder neu verorten müssen. Mit dem «Haus für elektronische Künste» vollziehen wir den nächsten, aber sicher nicht den letzten Schritt dieser Entwicklung.

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