Silence has left the building
Yves Mettler gibt stummen Dingen wie Brücken, Vorstadtsiedlungen oder Windrädern eine Stimme. Er lässt sie über Sorgen klagen und ihre Probleme berichten.
Für sein vielschichtiges Werk wurde dem Ostschweizer Künstler der Manor-Kunstpreis 2006 verliehen.
Silence has left the building
Das Gemurmel des Gebauten
Der junge Schweizer Künstler Yves Mettler ist an urbanen und suburbanen Wirklichkeiten interessiert und sucht den direkten Kontakt mit einer rasanten architektonischen Veränderungen unterworfenen und von gesellschaftlichen Machtbeziehungen geprägten Umwelt. Dabei sind es weder die Architektur selbst, noch die hehren Ideale urbaner Planung, die den Künstler interessieren. Vielmehr geht es um grundlegende Probleme und Bedingungen aller Phasen des Entstehungsprozesses von Architektur und um die soziale Unmittelbarkeit ihres Wirkens.
Indem Mettler aktuellen Bauvorhaben detektivisch nachspürt, regionale Spezifika herausarbeitet und die Verkehrung gestalterischer Utopien skizziert, gelingt es ihm mittels einfacher, modellhafter Installationen, Videoarbeiten und intelligenter Audiohörspiele, neue, doppelbödige Assoziationen zu evozieren und im Dienste einer Wissenschaft des Ortes zusätzliche Raum-Zeit-Erlebnisse zu generieren.
Mettler präsentiert die Ergebnisse seiner Analysen in neutralen, stillen Orten wie Galerien und Museen als zuweilen humorige, poetische Artefakte verrinnender Zeit, die durch narrative Spiele und im aktiven, akustischen Dialog zueinander eine Beseelung jenseits von Bauherrenwünschen und statischen Sachzwängen erfahren. Er kreiert somit Prototypen einer dysfunktionalen, emotionalisierten Architektur, die in einem diskursiven Austausch über Ängste und Sorgen des Alltags mit den Nutzern steht.
Schon früh und noch vor seinen mittlerweile bekannten Arbeiten wie "Tal- und Bergstation" (Eidgenössischer Kunstpreis 2004) oder "Zone Résidentielle" - eine Gruppe von Fertigteilhäusern, die fortwährend "Moi" sagen und ihre Subjektwerdung lauthals einfordern - formulierte der Künstler sein ästhetisches Vokabular und analytisches Werkzeug, das sich aus den vielfältigen Quellen der bildenden Kunst, Linguistik, Design, Urbanismuskritik und Filmgeschichte zu speisen scheint. Dieses wirkt im künstlerischen Einsatz meist reduktionistisch karg, hat sich aber als effizient bewährt und wird im Zuge der gesteigerten Ausstellungsfrequenz konsequent verfeinert.
So verwundert es nicht weiter, dass Mettler auch in jüngsten Arbeiten seiner investigativen Methodik treu bleibt, indem er ein signifikantes, im Bau befindliches oder bereits realisiertes Objekt des Stadtbildes rauspickt, um es zum Kristallisationspunkt seiner vielschichtigen Eingriffe und Überlegungen zu erklären.
Ein wohl europaweit einzigartiges Projekt ist der Bau der ersten U-Bahn in der Schweiz in Lausanne. Sie soll abschnittsweise nur knapp unter der Brücke Pont Bessières durch deren Pfeiler verlaufen. "Pont Bessières", so auch der Titel der Arbeit, verbindet zwei der vielen Hügel Lausannes. Das Bauwerk gilt nicht nur als architektonische Glanzleistung des frühen 20. Jahrhunderts, sondern war bis vor der Renovierung der Brücke im vergangenen Jahr und der damit einhergehenden Erhöhung der Balustrade als die Selbstmordadresse bekannt. Dieses Problem war so evident, dass in den letzten Jahren rund um Weihnachten eine 24-Stunden-Betreuungsstätte eingerichtet wurde, um präventiv vor Ort wirken zu können.
Das detailgetreue Modell der Brücke von Mettler wird zur Soundinstallation erweitert, die auf einem Singspiel beruht. Jeweils die letzte Silbe eines Wortes wird dreimal wiederholt und bildet wiederum die Anfangssilbe des nächsten gesungenen Wortes. Die Wörter und Begriffe kreisen thematisch um die durch den eklatanten Raummangel der Stadt bedingte parasitäre U-Bahn-Konstruktion und den traurigen Ruhm der Brücke. Im akustischen Wechselspiel aus der Tunnelröhre vermitteln sie den Eindruck vorbeiziehender U-Bahn-Garnituren, die makabrerweise aber auch als Echos der Schreie der Selbstmörder deutbar sind.
Die Brücke selbst hingegen murmelt sorgenvoll über ihren modernen, permanenten Untermieter und ergeht sich in Selbstgespräch und nostalgischem Geplänkel über ihren Bedeutungsverlust. Die Tatsache, dass sie nun grösserer Mobilität dient, bietet nur zarten Trost, ebenso wie der ihr versprochene positive Abstrahleffekt auf das Image aller Beteiligten und auch des Standorts.
Voreilige Missinterpretationen der Audioinstallationen durch ungenaues Zuhören nimmt der Künstler in Kauf, bewahrt es doch die Arbeiten vor eindimensionaler Lesbarkeit und hält sie lebendig. Diese Rezeptionsmängel sind es, die ihn zu Überarbeitungen und Feinjustierungen inspirieren.
Zwei dieser Neuadaptionen der Klassiker "Tal- und Bergstation" und "Zone Résidentielle" zeigt das Kunstmuseum St.Gallen. Bei der dritten präsentierten Arbeit handelt es sich um ein neues Werk, "Eloinnes" - zehn Windräder, denen der Künstler seine Stimme in Englisch leiht. Sie warten auf Wind im Museum, wollen sich drehen und werden zunehmend nervöser. Dabei äussern sich die Windräder zu unterschiedlichen Themen, erörtern aktuelle Energiepolitik oder entsinnen sich der Legende, gemäss welcher die Menschen einst die Sprache erlernten, indem sie dem durch die Bäume streichenden Wind lauschten. Heute sei es ihnen wohl vertrauter der omnipräsenten Stromspannung zuzuhören.
Dass es sich hierbei nicht um naive Projektionen eines moralischen Romantikers handelt, sondern um sensible Versuchsanordnungen eines gewieften Medienprofis, der einen aus seinen Erfahrungssystemen selten ohne Distinktionsgewinn und ästhetischen Genuss entlässt - davon sollte man bei Yves Mettler ausgehen.
Anlässlich der Verleihung des Manor-Kunstpreises St. Gallen und des "Prix du Jury 2005" Lausanne finden zwei Ausstellungen von Yves Mettler statt:
Kunstmuseum St. Gallen, bis 30.4.
Musée Cantonal des Beaux-Arts, Lausanne, bis 19.3.
Dazu ist eine Publikation erschienen: "Yves Mettler. My Flowers aren't always hiding secrets", f/d, Nürnberg, Verlag für moderne Kunst, 2005, Fr. 36, mit Texten von Ralf Beil, Stephen Zepke, Konrad Bitterli und einem Gespräch zwischen Peter Hubacher und Yves Mettler.
Darüber hinaus ist Yves Mettler mit einer Einzelausstellung in der Galerie Blancpain-Stepcinsky, Genf, zu Gast (parallel mit Amy O'Neill) bis 18.3. und nimmt an der folgenden Gruppenausstellung in der Shedhalle Zürich teil: "Kolonialismus ohne Kolonien? Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration", bis 7.5.
Christian Egger ist Künstler, Musiker und lebt in Wien. Er hat zahlreiche Katalogbeiträge, Publikationen in "Spike", "Springerin" etc. verfasst und ist Mitherausgeber der Wiener Kunstfanzines "Chicago", "Times"....... "Univers", "Tiffany".
www.theselection.net/zeitschrift
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