Der Widerspenstigen Zähmung

Vuk Cosic, «no land’s man» (Homepage) http://www.ljudmila.org/~vuk

Vuk Cosic, «no land’s man» (Homepage) http://www.ljudmila.org/~vuk

epidemiC/0100101110101101.org: biennale.py_sourcecode (scribble), www.epidemic.ws/img_low_res/src001.jpg

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Fokus

Noch vor wenigen Jahren war «Netzkunst» eine Domäne selbstorganisierter Gemeinschaften und Kunst-Netzwerke wie «The Thing» oder «Ädaweb», die im Netz aktiven Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform boten. Mittlerweile sind www-weltweit immer mehr Museen mit eigenen Homepages ans Netz gegangen – und wo es sich um Häuser handelt, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen, wird es zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit, auf diesen auch Werke webbasierter Kunst zu präsentieren oder gar ganze Sonderausstellungen ins Netz zu stellen. Die Institutionalisierung einer Kunstform, die lange Zeit mit grosser Skepsis beäugt wurde und letztlich bis heute als schwer vermittelbar gilt, schreitet unaufhaltsam voran.

Der Widerspenstigen Zähmung

Webbasierte Kunst im etablierten Ausstellungsbetrieb

Unter welchen Vorzeichen die Etablierten ihre Arme für Netzkunst öffnen, ist durchaus unterschiedlich: Wo das DIA Center in New York1 – eine der ersten Einrichtungen, die auf ihren Seiten eigens für diesen Anlass entstandene webbasierte Kunst vorstellte – vor allem auf bereits bekannte Positionen setzt, ist das Walker Art Center in Minnesota2 – das vor mehreren Jahren bereits das in eine Finanzierungskrise geratene Ädaweb seiner Sammlung einverleibte – darum bemüht, mit KünstlerInnen zu arbeiten, die sich in der Netz-Kunstszene selbst einen Namen gemacht haben. Das Guggenheim3 erweiterte sein Imperium strategisch geschickt, indem es mit dem «Brandon Project» eine Arbeit förderte, die sowohl von ihrer Anlage als Gruppenprojekt her als auch darin, dass sie um das Thema Transgender kreist, Grenzüberschreitungen ganz anderer Art adressiert als diejenigen, mit denen das mächtige Museum zur selben Zeit Schlagzeilen in der Presse machte; das San Francisco Museum of Modern Art4 – das in diesem Jahr mit «010101. Art Technological Times» eines der ehrgeizigsten Ausstellungsprojekte auf diesem Sektor lancierte – schrieb 2000 als Startschuss seiner entsprechenden Sektion einen hochdotierten Kunstpreis aus. Längst werden jene KollegInnen, die Vuc Cosic 1997 in seiner fiktiven Buchreihe «classics of net art»5 annoncierte, ernsthaft als ebensolche gehandelt.

Kommunikationsguerilla Während unter den im Netz aktiven KünstlerInnen Nutzen und Nachteile dieser Entwicklung sehr kontrovers diskutiert werden6, scheint sich der Kunstbetrieb seinerseits neuerdings insbesondere für jene Positionen zu interessieren, die sich selbst nicht nur auf der Seite der Gesellschafts-, sondern auch der Medien- und Systemkritik sehen. War es anfangs noch die Sache kleinerer, beziehungsweise seit je kulturpolitisch engagierter Einrichtungen, mit Projekten wie «Tenacity» «Widerspenstige Praktiken im Zeitalter von Bio- und Informationstechnologien» vorzustellen7, finden sich vergleichbare Ansätze – und teilweise auch dieselben KünstlerInnen – inzwischen in den grossen Gruppenausstellungen etablierter Institutionen wieder. Wenn etwa die AbsolventInnen des zehnten Kuratorenlehrgangs am Magasin Grenoble8 ihre Abschlussausstellung zum Thema «Digital Deviance» ausrichten, liest sich die Liste der Beteiligten zwar wie ein Who’s who der mit künstlerischen Mitteln arbeitenden Kommunikationsguerilla beziehungsweise der in Anlehnung an deren Strategien arbeitenden Künstlerszene – doch zeigt der Vermittlernachwuchs damit weniger kuratorischen Wagemut, als vielmehr, dass er die Zeichen der Zeit verstanden hat.

Virus Vuk Cosic wiederum darf in diesem Jahr nicht nur sein Heimatland, Slowenien, in dessen offiziellen Pavillon auf der Biennale von Venedig vertreten9, sondern findet sich dort auch Seite an Seite mit den italienischen Netz-Kunst-AktivistInnen von 0100101110101101.ORG ausgestellt – zu deren Markenzeichen bislang die Kritik an der Bedeutung gehörte, die aus dem klassischen Kunstsystem importierte Begriffe wie Original und Autorschaft auch in der Netzkultur nach wie vor besitzen10.Zusammen mit ihren Kollegen von der Gruppe EpidemiC11 entwickelten sie für die Kunstschau einen veritablen Virus: biennale.py. Als vergleichsweise harmloser Vertreter einer ansonsten gefürchteten Spezies soll er, wie seine Schöpfer bekunden, dazu beitragen, die Aura der Computerviren zu zerstören12 – auf die er als Kunstprojekt natürlich nichtsdestoweniger zählen kann. So darf sich das Biennale-Publikum im subversiven Chic der als Edition zu erwerbenden T-Shirts sonnen, auf denen der virale Code coram publico zur Schau getragen wird – und die Netzkulturaktivisten ihrerseits in dem Erfolg, den sie mittlerweile auch auf dem offiziellen Parkett der Kunstwelt geniessen. Anders als das Thema der Arbeit suggeriert: riskant ist das Ganze für beide Seiten längst nicht mehr. Selbst die Verantwortung für unvorhergesehene Folgen des freundlichen Infektors liesse sich im Fall der Fälle wohl «nach oben» abgeben – also an die Biennale, zu deren Sponsoren übrigens auch die Firma Microsoft zählt. Den Status eines kritischen Kunstgriffs gegenüber deren Machtpolitik wiederum dürfte biennale.py allerdings kaum beanspruchen können. Insofern der Virus nur auf Systemen wirksam wird, deren Besitzer mit der vergleichsweise ungebräuchlichen Programmiersprache Python arbeiten, bedeutet er für die NormalverbraucherInnen der von Microsoft beherrschten Systemwelt - auf die sich das Aggressionspotenzial der weitaus meisten Computerviren richtet - ohnehin keine ernstzunehmende Gefahr.

Einige Adressen The Thing: http://bbs.thing.net (New York); www.thing.at (Wien), www.thing.de (Berlin), www.thing-frankurt.de (Frankfurt), www.thing.Desk.nl/ (Amsterdam), www.ecn.org/thingnet/ (Rom). 1Dia Art Center seit 1995 unter www.diacenter.org, mit Webprojekten von Toni Oursler, Komar & Melamid, Francis Alÿs, Feng Mengbo oder ausstellungsbezogenen Webseiten von Jessica Stockholder, Juan Munoz, Tracey Moffatt und anderen.2www.walkerart.org, jetzt: adaweb.walkerart.org; Webprojekte unter www.walkerart.org/gallery9/3www.guggenheim.org und http://brandon.guggenheim.org. 1998/99 fand der offizielle Launch der Seite statt. Was eigentlich der Auftakt einer Reihe mit webbasierten Projekten hatte werden sollen, ist bislang ohne Nachfolge geblieben. Stattdessen kündigt das Guggenheim inzwischen ein neues Renomee-Projekt, das «Virtual Guggenheim» an, vgl. www.guggenheim.org/exhibitions/virtual/virtual–museum.html4www.sfmoma.org/und http://010101.sfmoma.org/. Die gleichnamige Museumsschau war vom 3.3.–8.7.2001 zu sehen. Zum Webby-Award for Digital Excellence siehe: www.sfmoma.org/info/webby–overview.htm sowiewww.webbyawards.com/sfmoma/. Das Preisgeld betrug insgesamt $ 50.000, von dem das erstplatzierte Projekt, Entropy8Zuper! von Michaël Samyn und Auriea Harvey $ 30.000 erhielt (vgl. http://www.entropy8zuper.org/). Laut Ankündigung des SFMOMA sollte der Preis alljährlich vergeben werden. Eine Ausschreibung 2001 erfolgte bislang jedoch nicht. 5www.ljudmila.org/~vuk/books/6Vgl. die Archive von Mailinglisten wie Rhizome (www.rhizome.org) und nettime (www.nettime.org), in denen entsprechende Diskussionen in der ersten Hälfte dieses Jahres im Zusammenhang mit den Ausstellungen wie Data Dynamics im Whitney Museum, New York, 22.3.–10.6.2001, (www.whitney.org/datadynamics/) und 010101 im SFMOMA neu entflammten.7www.thing.net/~tenacity/. Die von Yvonne Volkart kuratierte Ausstellung war im Swiss Institute, New York, und in der Shedhalle Zürich zu sehen.8http://10emesession.free.fr/ (Programm) und www.magasin-cnac.org/(Magasin).9www.labiennale.org (ebd. in der Sektion 49. esposizione internazionale d’arte – Ausstellung – Länderpavillons/Slowenien)10www.0100101110101101.org. Das aktuell ebenfalls viel besprochene Projekt life–sharing, wurde vom Walker Art Center kommissioniert.11Zum Virus vgl. www.epidemic.ws/biennalepy.gif u.www.epidemic.ws/prompt-dos.gif 12Vgl. Cornelia Sollfrank: biennale.py – The Return of The Media Hype. In conversation with the creators of Biennale virus, 0100101110101101.org. In: Telepolis online, 7.7.2001, http://www.telepolis.de/english/inhalt/sa/3642/1.html


Author(s)
Verena Kuni

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