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Am Ufer des Zürichsees — Meine nackten Freundinnen

Zürich — Über vierzig Jahre, tausend Begegnungen: Da darf man schon von einer vertrauten Beziehung sprechen. Die grösste dieser Gestalten, die mir längst ans Herz gewachsen sind, hat in all diesen Jahren ein offenbares Geheimnis mit mir geteilt. Der haushohen Stele aus Beton, auf der sie sich in den Himmel reckt, hatte jemand einst, von unten nach oben und der Pfeilerrichtung folgend, drei grosse Buchstaben aufgemalt: L O V. Ein klarer Fall von Liebe ohne Ende. Inzwischen ist die Aufschrift verschwunden; das ‹Mädchen mit erhobenen Armen› aber steht unverrückbar da, gar nicht so mädchenhaft in seiner kraftvollen bronzenen Spannung, in der etwas Befreiendes, Selbstbewusstes steckt. Das 1939 entstandene Werk von Hermann Haller wurde erst 1968 am Ende der Landiwiese in der Nähe der Saffa-Insel platziert. Von den vielen Spaziergängern, die in Coronazeiten die Zürcher Seeufer zusätzlich bevölkern, scheint sie kaum einer je zu bemerken.

Wirklich mädchen- und ein klein wenig schamhaft zeigt sich hingegen die lebensgrosse Bronzefigur nicht weit von ihr. Oder friert sie nur? Sie blickt, den Kopf mit dem wehenden Haar über die Schulter gewandt, zum See, von wo der Wind zu kommen scheint, der ihr den Namen gegeben hat. Das anmutige ‹Mädchen im Wind› tut mir immer ein bisschen leid: so nackt und nah am befahrenen Mythenquai, nicht weit von Veloabstellplätzen und Plakatständern. Die meisten, die an ihr vorübergehen, interessieren sich, wenn überhaupt, mehr für den Brunnen mit rundem Granitbecken, der zu ihr gehört, und der wie sie selbst ein Werk von Otto Münch ist. Seit 1939 steht die 1936 geschaffene Schöne, Verletzliche verloren an ihrem Platz. Ich will sie in Zukunft noch etwas lieber haben.

Kein Problem mit dem Standort im Arboretum am Ende des linken Seeufers hat die älteste meiner nackten Freundinnen. Vom lauten General-Guisan-Quai trennen sie Bäume und Sträucher, die Gurkenmagnolie ist ihre Nachbarin. Die zauberhafte, klassische Eva aus Bronze mit attraktivem Po und raffinierter Patina, die ihr ein eng anliegendes Halskettchen beschert hat, ist die einzige, bei der der Künstler sichtbar vermerkt ist: der Däne Einar Utzon-Frank.  1921 entstanden, steht sie seit 1931 an ihrem Platz. Doch trotz Schlänglein und Apfel in ihrer Linken: Sie ist nicht Eva, sondern Aphrodite, Schönste unter Schönen.

Aussenraum, zwischen Arboretum und Landiwiese, immer, auch in Coronazeiten

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