Skip to main content
Ida Ekblad, Nora Turato und Rinus Van de Velde — Drei, die es wissen wollen

Ida Ekblad, Nora Turato und Rinus Van de Velde. Beim diesjährigen Art Weekend im Hotel Castell in Zuoz wurden drei spannende Künstler:innen vorgestellt, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit Bildern, Sprache und Zeichen beschäftigen

Zuoz — Das Art Weekend im Hotel Castell in Zuoz ist für seine treuen Fans längst zu einer festen Institution geworden. Bereits seit 1993 lädt der Besitzer des Hotels, der Zürcher Künstler und Sammler Ruedi Bechtler, einmal im Jahr unter verschiedenen Motti zur Begegnung mit Kunst, Künstler:innen, Kurator:innen, Theoretiker:innen oder Sammler:innen ein.  

Am vergangenen Wochenende fand das Format nach einer pandemiebedingten Zwangspause im vergangenen Jahr nun wieder unter den gewohnten Konditionen statt. ‹Three great artists›, so lautete das Motto des diesjährigen Art Weekends. Zu Gast waren die norwegische Künstlerin Ida Ekblad (*1980), die in Amsterdam lebende kroatische Künstlerin Nora Turato (*1991) und der belgische Künstler Rinus Van de Velde (*1983). Allen dreien gemeinsam ist im weitesten Sinne das Arbeiten im Medium der Malerei. 

Rund 50 Interessierte aus der gesamten Schweiz waren bereits am Freitag ins Engadin gereist. Mit dem Skyspace Piz Uter von James Turrell verfügt das Hotel Castell über einen idealen Ort, um sich auf die intensive Begegnung mit Kunst einzustimmen. Und so begab man sich gleich am ersten Abend zu Beginn der Dämmerung dorthin, um die Interaktion zwischen künstlichem und natürlichem Licht gemeinsam zu erleben und sich untereinander kennenzulernen.

Der nächste Morgen startete dann mit einem ausführlichen Gespräch zwischen Rinus Van de Velde und Fanni Fetzer, der Direktorin des Kunstmuseum Luzern. Unter dem Titel ‹I’d Rather Stay at Home,... › hatte Fanni Fetzer dort im Frühjahr 2021 die bisher grösste Einzelausstellung des Antwerpeners ausgerichtet, und zwar unter Einbeziehung aller Medien, in denen er bisher gearbeitet hat. Das Spektrum umfasste also Zeichnungen, Skulpturen und Filme. Dass der Titel der Schau nicht ganz ohne Grund ausgewählt war, wurde von Rinus Van de Velde im Gespräch immer wieder bestätigt.

Sein Interesse am Reisen hält sich bis heute sehr stark in Grenzen. Die Welt, die er nicht bereist, holt sich Rinus Van de Velde allerdings ins Studio, indem er sie zusammen mit seinem Team aus bemaltem Papier, Pappe und Baumarktmaterialien nachbaut. Palmen, das Floss eines Schiffbrüchigen, eine Computerzentrale, eine nächtliche Tankstelle, Berglandschaften, eine Flugzeugkabine, diverse Autos, Boote, eine Unterwasserlandschaft mit bunten Korallen oder ein liebevoll mit Details ausgestatteter Diner – Van de Velde benutzt diese Art von Settings, um sie in einem zweiten Schritt abzufotografieren und dann in grossformatige Zeichnungen mit Holzkohle umzusetzen, bisweilen aber auch, um direkt darin zu agieren.  

Die Protagonisten seiner oft grossformatigen Holzkohlezeichnungen auf Leinwand und auch die seiner Filme sind fast ausschliesslich männliche, irgendwie gescheiterte, einsame, desorientierte, gestrandete Gestalten. Auf eines legt er jedoch Wert. Auch wenn er selbst immer wieder auf seinen Zeichnungen auftauche, so habe der Inhalt jedoch nur wenig mit seinem echten Leben zu tun. «Viele meiner Protagonisten sind superweit von dem entfernt, wie ich in Wirklichkeit bin.»

Szenenwechsel. Der an der ETH Zürich lehrende australische Kunsthistoriker Adam Jasper stieg im Gespräch mit Nora Turato streckenweise tief in zeichentheoretische Diskurse ein, was das Publikum dennoch mit Gewinn zur Kenntnis nahm. Doch zunächst berichtete er von seiner ersten Begegnung mit der Künstlerin. Während der Biennale Venedig 2015 besuchte Jasper die Eröffnung des litauischen Pavillons. Er stand mit vielen anderen für Getränke an, als er plötzlich wahrnahm, wie eine junge Frau immer lauter geredet und schliesslich hysterisch geschrien hat, fast so, als stünde sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Was er zunächst für Realität hielt, entpuppte sich als eine Performance von Nora Turato. Jaspers Interesse war geweckt. Weitere Begegnungen fanden  statt.

Mittlerweile gehört Nora Turato zu den gefragtesten Spoken Word-Performerinnen des internationalen Kunstbetriebs. Im März war sie mit ihrem aus einer Performance und einem Buch bestehenden Projekt ‹pool 5› im New Yorker MoMA zu Gast. Turato ist eine virtuose Grenzgängerin zwischen Grafikdesign, textbasierten Arbeiten auf grossen Emaille-Panels, der Produktion von Künstlerbüchern und Spoken Word-Performances. Bereits mit 18 Jahren ist sie von Kroatien in die Niederlande gezogen, um dort Grafikdesign zu studieren. Sie hatte damals noch eine Band und war mehr an singbaren Texten als an Inhalten interessiert. Schon als Kind hatte sie englischsprachige Bücher aus dem Regal ihrer Eltern als Quelle für Songtexte benutzt.

Bis heute sammelt sie Texte und Sätze aus den unterschiedlichsten Quellen: Büchern, Werbeanzeigen, Songs, Zeitungsschlagzeilen, dem Internet und ihren eigenen Gedanken. Ihr Weg vom Grafikdesign in die bildende Kunst war keineswegs vorgezeichnet. «Die Dinge sind eher aus einer Art Flow heraus entstanden, indem ich immer wieder neue Menschen kennengelernt habe.» Eher zufällig kam es im September 2013 auch zu ihrer ersten Performance.  

Ein zweijähriges Stipendium an der renommierten Rijksakademie in Amsterdam gab ihr dann die Zeit, sich ganz auf ihre Arbeiten zu konzentrieren und diese weiterzuentwickeln. Unmittelbares Anschauungsmaterial in Form einer Emaille-Arbeit hatten die Teilnehmer:innen des Art Weekends im Treppenhaus des Hotels Castell. Die aus zwei in Schwarz, Weiss und Rot gehaltenen Emailleplatten bestehende Arbeit trägt den Satz: «What is dead may never die». Manchen Betrachter:innen kommt der Satz vielleicht als ein Episodentitel aus der Fantasy-TV-Serie ‹Game of Thrones› bekannt vor. Doch auf derart eindeutige Bezüge legt Nora Turato keinen Wert. Vielmehr betont sie die generelle Offenheit ihrer Arbeiten. Die Sätze weiter aufzufüllen, das sei die Aufgabe der Betrachter:innen.  

Im zweiten Teil des Gesprächs wurden dann zunehmend die Verbindungslinien zwischen Typographie und Performance deutlich. Die Buchstaben stellen sich bei Turato selbst zur Schau. So sind sie am Ende nicht mehr nur Zeichen, sondern erhalten durch ihre grafische Umsetzung auch eine durchaus tänzerische Qualität zwischen Momenten der Beschleunigung und des Abbremsens. Insgesamt vermittelte das tiefschürfende Gespräch zwischen Adam Jasper und Nora Turato das Bild einer sehr analytisch und präzise arbeitenden jungen Künstlerin, die die modernistische Typographie italienischer Tankstellen oder Reifenmarken ebenso in ihre Arbeiten mit einfliessen lässt wie Erkenntnisse, die sie im Dialog mit Astrophysiker:innen oder Neurowissenschaftler:innen gewonnen hat.

Am Samstagnachmittag stand dann wieder ein neues Künstlerinnen-Kuratorenduo im Fokus. Im Gespräch mit der norwegischen Künstlerin Ida Ekblad erinnerte sich Daniel Baumann, Direktor der Kunsthalle Zürich, an sein erstes Treffen mit der in Oslo lebenden Künstlerin. Mit dem Basler Projektraum New Jerseyy war Baumann 2009 auf die alternative Kunstmesse ‹Dark Fair› im Kölnischen Kunstverein eingeladen. Man war mit dem Aufbau bereits fertig. Gleich nebenan hatte das ‹Institutt for Degenerert Kunst›, ein norwegisches Künstlerkollektiv, seine Koje. Was Baumann jedoch wunderte, war, dass die Skandinavier bis kurz vor der Eröffnung noch keine Kunstwerke an den Stand gebracht hatten. Schliesslich kamen sie mit einem ganzen Einkaufswagen voller Objekte, die sie in einer leerstehenden Villa gefunden hatten, an und präsentierten diese selbstbewusst als Kunstwerke.

Solcherlei von Asger Jorn (1914-1973) und anderen situationistischen Künstler:innen abgeschaute Strategien des détournement kennzeichnen bis heute das vielfältig aufgefächerte Werk von Ida Ekblad. Daniel Baumann nötigte diese Chuzpe Respekt ab. Der vorläufige Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit: Im Sommer 2019 präsentierte er die Malerin, Bildhauerin, Autorin, Herausgeberin, Plattenproduzentin und Designerin in der Einzelausstellung ‹Fra Åre Til Oven› (Von der Ader zum Ofen) in der Kunsthalle Zürich.

Im Gespräch mit Ida Ekblad ging es dann unter anderem um ihre Vergangenheit als Graffiti-Künstlerin, die ihre spontane und farbenfrohe Malweise bis heute beeinflusst. Neben meist grossformatigen Gemälden entstehen nach wie vor auch aktionistische Arbeiten mit dem Spirit der Situationisten.  

Auch bei Ida Ekblad bot das Hotel Castell die Gelegenheit, über die Powerpoint-Präsentation hinaus zwei ihrer Arbeiten im Original zu betrachten. So befindet sich im Speisesaal des Hotels das sehr farbenfrohe und mit unorthodoxen Malmitteln wie der aus dem T-Shirtdruck bekannten Plusterfarbe (puffy paint) ausgeführte Gemälde ‹The Light of the Eye was Dark Red›, 2019. Im Aussenraum des Hotels wiederum ist eines ihrer ‹Kraken Möbel› ausgestellt, in diesem Fall eine ganz in Blau gehaltene, benutzbare Bank mit schwarzen, bizarr geformten, gusseisernen Füßen und einer hölzernen Sitzfläche.  

Studiert hat Ida Ekblad in London, Oslo und Los Angeles. Zu den Markenzeichen ihrer Kunst gehört das nicht zielgerichtete Sich-Treibenlassen, die Lust an der Umleitung, am Experiment, am Unfertigen, ihr Interesse an Folk Art und alten skandinavischen Handwerkstechniken, Do-it-yourself-Praktiken, die Bevorzugung des Zufalls gegenüber der Routine und der gelegentliche Rückgriff auf Kindheitserinnerungen. Daniel Baumann gestand zum Ende des Gesprächs ein, dass er den künstlerischen Kosmos von Ida Ekblad trotz seiner intensiven Beschäftigung damit noch immer nicht ganz durchdrungen habe. Aber genau das fasziniere ihn auch daran. «Ich mag Dinge, die ich nicht verstehe», so Baumann.

Am Sonntagvormittag wurde dann das Kino des Hotels zum Hauptschauplatz des Art Weekends. Zu sehen gab es zunächst einen Mitschnitt der Performance Nora Turatos im MoMA, der noch einmal besonders deutlich zeigte, mit welch präzisem Gespür für leere Marketingfloskeln, Politik- und Werbesprache Turato Sprache komprimiert, seziert, intoniert und rhythmisiert.  Anschliessend waren die zwei ersten Kurzfilme Rinus Van de Veldes zu sehen – ein dritter ist bereits in Arbeit und kommt im September nächsten Jahres heraus. Die nur im Studio des Künstlers entstandenen Filme boten den Teilnehmer:innen des Art Weekends nochmals die Möglichkeit, tiefer in die allein aus Pappe, Papier, Sperrholz und Styropor gebauten Fantasiewelten des Künstlers einzutauchen und vielleicht besser zu verstehen, dass der visuelle Kosmos eines Nicht-Reisenden so unendlich viel größer sein kann als der eines Pauschaltouristen, der permanent auf Achse ist – vorausgesetzt, man hat eine so überbordende Fantasie wie Rinus Van de Velde.

www.timvanlaeregallery.com
www.moma.org/calendar/exhibitions/5227
galerie.gregorstaiger.com
www.karmainternational.ch

Instituzioni

Titolo Paese Località Details
Hotel Castell
Svizzera
Zuoz
Svizzera
Zuoz

Mostre / Eventi

Titolo Data Tipo Località Paese Details
Castell Art Weekend: Ida Ekblad, Rinus Van de Velde - Evento Zuoz Svizzera
-
Evento
Zuoz
Svizzera