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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Paula Henrike Herrmann

Paula Henrike Herrmann erzählt in ihrem Atelier, dass sie oft auf dem Boden malt und collagiert. Das mag erstaunen, haben doch viele eine andere Vorstellung einer Malerin im Atelier. Henrike Herrmann beschreibt diese Technik als einen Verlust der Kontrolle, als ein «sich über dem Bild ausschütten, etwas drauf purzeln lassen». Bei der weiteren Bildfindung begibt sich die Künstlerin wieder in die Vertikale, stellt es an die Wand, und geht mit dieser Perspektive auf ihr Werk ein. 

Diese Herangehensweise hat etwas Bezeichnendes für die Arbeit von Paula Henrike Herrmann. Sie sagt, sie denke immer wieder darüber nach, wie sie vorgegebenen Geschichten und Erwartungen entgegenwirken könne. Sie sucht sich ihre Motive und Erzählungen nicht in Helden- oder Erfolgsgeschichten, sondern vielmehr im Alltag, in vielleicht nebensächlichen Kleinigkeiten. Sie fängt Momente ein, die sie im Internet, in Zeitungen, aus ihrem eigenen Alltag herausfiltert, oder Beobachtungen, die sie auf der Strasse findet. Diese Entdeckungen schichtet sie dann zu grossen oder kleinen Installationen. Mal erinnern sie an Bühnenbilder, mal an die Collagen, die über dem Teenagerbett hängen. 

Paula Henrike Herrmann trägt ihre präzisen Beobachtungen zusammen, macht daraus eine Form des «Sorgetragens», ein ständiger Prozess des Teilens und Vernetzens gemeinsamer Erfahrungen. Die Künstlerin spricht gerne von Gefässen, die sinnbildlich für ihre Arbeitsmethode stehen: «Eine Tasche, sie wird nicht nur für den Konsum benutzt, sondern fungiert als Träger:in für unterschiedliche Menschen, Freund:innen, und durch ein Weiterreichen hinterlassen sie Spuren von Geschichten.» Etwas, das man mit sich oder in und auf sich trägt, wie die Pausenbrot-Box, die geteilt wird oder Bauchtaschen, mit dem Nötigsten drin. Eine feministische Strategie, die sich den Kleinigkeiten widmet, anstelle der grossen Eroberungen und Kampfplätze; eine Strategie, die Raum bietet, die Taschen zu sammeln und Zeit, sich dem vermeintlich Belanglosen zu widmen. 

Ein weiterer wichtiger Teil in der Praxis von Paula Henrike Herrmann ist das Künstler:innen-Kollektiv Natalie Portman. Das Kollektiv arbeitet mit dem Publikum; es organisiert Anlässe wie Abendessen in der Ausstellung, Geburtstagsfeiern, Rheinüberquerungen mit Lesungen oder Performances im öffentlichen Raum. Der Fokus liegt auf der Verbindung von unterschiedlichem Publikum und interessanten Begegnungen. So kommen Köch:innen, Restaurantgäste und Kunstpublikum, oder Rheinüberquerer:innen und Art-Basel-Publikum zusammen. 

An der Werkschau zeigt Paula Henrike Herrmann ein spielerisches Schichten vor Ort. Sie hat ihre Taschen prall gefüllt mit Collagen, Malereien, Textausschnitten, Zeichnungen und Objekten. All dies packt sie aus und fügt sie zu einem wolkenähnlichen Gebilde zusammen. Die Suche nach den intensiven Momenten im Unscheinbaren hat begonnen – das S(ch)ichten von Geschichten.

Nadja Stephanie Schmid studierte Curatorial Studies (MA Art Education) an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunstmuseum Basel tätig und kommentiert in unterschiedlichen Formen Kunst.