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Dies ist kein Baum.

 

 

Ein Parkplatz aus scheinbarer Vogelperspektive, mit Wiesen und Bäumen. Die Bäume biegen sich im Verlauf des Bildes. Nach näherem Hinsehen wird deutlich, dass das Motiv nicht das ist, wonach es vorerst aussieht. Dies ist kein Baum. Ceci n’est pas un arbre.

 

Wolken, Staub, Tropfen, Blitze, Flammen – gewohnte Motive, ungewohnte Perspektiven. Welche nehmen wir ein? Wo stehen wir als BetrachterInnen und woran können sich unsere Augen festhalten?

Die Fotografien von Andreas Gefeller werfen die Frage auf, ob wir unseren eigenen Augen trauen sollten. Sie zeigen uns, wo die Grenzen unserer Wahrnehmung liegen und lassen die Schwelle zwischen echter Perspektive und künstlerischer und technisch generierter Wahrheit verschwimmen. Die Arbeiten öffnen uns für die multiplen Wirklichkeiten eines altbekannten sowie gleichermaßen neuen Terrains.

Gefeller spielt nicht mit Illusionen und Manipulationen, er künstelt nicht. Vielmehr legt er uns frei, was wirklich da ist, indem er sichtbar macht, wie viele Lagen hinter einem einzelnen Motiv, einem Ausschnitt, einem Ort verborgen liegen. Er legt nahe, wie viel Synchronizität sich in scheinbarer Linearität verbirgt, und er zeigt Blickwinkel, die Perspektiven neu erschaffen, die Realitäten und Zeiten schichten, und die die Fotografie als eigenen Ort kreieren.

Verweilen wir ein wenig an diesen Orten.

 

Ceci n’est pas un arbre. Es ist nur die Idee, der Schatten der Bäume, auf dem Parkplatz. Doch sind es nicht die Schatten an der Höhlenwand, die durch Fackeln erleuchtet werden, sondern die Schatten der realen Sonne, die die Zeit beschreiben, die Andreas Gefeller in der Serie Supervisions brauchte, um geduldig, Schritt für Schritt, Stück für Stück und Abschnitt für Abschnitt den Parkplatz abzuschreiten. Das Vergehen und das Voranschreiten der Zeit visualisiert er. Die Fotografie wird eine Sonnenuhr, die mehrere Stunden eines Tages in einem Bild erfasst. Die erzählte Zeit ist viel länger als die Erzählzeit. Nur die von ihm geschaffene Fotografie kann diese in Einem zusammenhalten. Die Sinnschöpfungsstrategie von simultaner Wahrnehmung von vermeintlich linearer Zeitlichkeit stellt uns vor existentielle Fragen der Erfassung unserer Realität. Denn nicht das Foto zeigt ein falsches Bild der Welt, sondern unser menschliches Auge. Und es heißt, Worte seien verräterisch, weil der Sprecher sich offenbart. Doch wird spürbar, dass unsere Augen es umso mehr sind. Sie verraten uns, zeigen uns nur eine Selektion, von dem was da ist.

Die Fotografie wird zum neuen Ort im Raum. Und nicht nur der Ort verliert seine Identifikation, sondern auch der Fotograf. Er versteckt sich nicht, aber er schreibt sich weg. Allein seine Spuren, ein Rest seiner Handschrift, eine Reminiszenz seiner Körperlichkeit bleiben sichtbar. Und die Serie Supervisions hat einen körperlichen Anspruch: die Draufsicht ist der Blick der Kamera, die über Gefellers Körper mit etwas Abstand befestigt wurde. Die einzelnen Bilder, die beim Abschreiten der Orte entstehen, fungieren wie Puzzleteile. Sie werden zusammengesetzt zu einem großen Gesamtbild. Egal ob es sich um die staubige Halle einer Industrieanlage oder einen Platz im Freien handelt: Das zusammengesetzte Puzzle aus Einzelbildern, generiert schlussendlich eine vollkommen neue Perspektive, die erst in ihrer Gesamtheit den Sinn ergibt.

 

Auch in seinen anderen Serien entschreibt Andreas Gefeller den Menschen nahezu vollends aus seinen Werken. In der Serie Blank veranschaulicht er den ewigen Kampf und das Zusammenleben von Technik und Natur. Die bewusste Reduktion der Bilder durch Überbelichtung, führt zu einer Abstraktion der Motive. Diese schafft eine Form von Klarheit, und hinterlässt indes das Gefühl von Fremde und Entfremdung. Die Klarheit in der Fremde ist die auslösende Kraft für ein Paradoxon, dessen Qualität die Darstellung des Essentiellen erlaubt. Andreas Gefeller zeigt in dieser Serie die Konsequenz aus dem Dasein des Menschen in Koexistenz mit, oder in der Destruktion von der Natur.

Licht allein kann alle Informationen freisetzen. Doch wird es übermäßig eingesetzt, kann die Helligkeit die Informationen ebenso vorenthalten, unsichtbar und unkenntlich machen. Wie die geschwungene Fassade des fotografierten Hochhauses: Die Linse der Kamera fungiert als Fenster, lässt übermäßig viel Licht zu, belichtet die Fassade des Hauses weg und gibt uns so widerum den Blick in die Fenster der Wohnungen – den Blick dahinter. Das Licht ist mächtiger als unser Blick, offenbart uns mehr, als wir sehen können. Die Überbelichtung verblendet und macht sichtbar, was die Dunkelheit ursprünglich verbarg. Die Fotografien verraten uns nicht, was wir sehen, sondern was wir nicht sehen. Sie zeigen uns nicht, was wir sehen wollen, sondern was es zu sehen gibt. Zeigen uns gleichzeitig nicht das, was da ist, sondern das, was in diesen Momenten da war. Was bleibt, ist die Frage nach der Abbildbarkeit der Wirklichkeit, und somit, mal wieder, nach Wirklichkeit an sich.

 

Kreisrunde Formen, wie sich ausbreitende Radiowellen im Wasser, Lichtreflexe, wie zuckende, züngelnde Nervenbahnen, Staub laut aufstäubend, vor dunklem Hintergrund, wie interstellare Nebel – diese Phänomene begegnen uns in der Serie The Other Side of Light. Wieder kein Anfang und kein Ende. Es gibt keinen oder zu viele Anhaltspunkte in den Bildern. Unsere Gemüter ruhen, unsere Augen tun es nicht. Sie befinden sich im freien Fall. Woran können wir uns orientieren und was sehen wir hier eigentlich? Alles ist, wie es scheint und doch ist nichts, was es zu sein scheint.

Sind die kreisförmigen Wellen die natürliche Formation von Tropfen, die auf Wasser treffen, dann steht doch wieder die Frage von Ursprung und Ausklang im Raum. Vielleicht ist die finale Antwort auch nicht wichtig. Sicher ist jedoch, dass die Fotografien in unserem Verstand weiterleben, der nächste Moment, immer wieder und immer wieder anders, in der Vorstellung imaginiert wird. Die vorerst neutral scheinenden Motive leben organisch weiter.

Und die Ruhe des Bildes gelangt nie zu seinem Finale.

 

In seiner Serie Clouds konfrontiert uns Gefeller mit einem vertrauten Sujet. Wolken steigen kumulativ nach oben auf, sie zeigen uns eine Richtung. Teils in schönen hellen, pastellenen oder kräftigen Farben gehalten, teils düster, grau und bedrohlich, scheinen die Fotografien der ephemeren Himmelserscheinungen wie Bewegtbilder. Einer Novelle ohne Anfang und ohne Ende gleich, verrät uns der Bildabschnitt aber nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen. Die vermeintlich natürlichen Formationen sind in Format gebracht und verbergen spürbar etwas, das erst auf den zweiten Blick als ambivalent wahrgenommen wird. Das Geheimnis dahinter ist die Quelle der Clouds: sie sind Emissionen des zweitgrößten Kohlekraftwerks Europas.

Dieses Wissen nun vorausgesetzt, erklärt sich auch die widersprüchliche Natur unserer beklommen-heiteren Auffassung der Serie – einer Romantik mit Dorn, einer Anmut mit Gefahr.

 

 

Andreas Gefeller konfrontiert uns in seinen fotografischen Serien mit Konstruktionen der Realität, Zusammenführungen von Wirklichkeiten und Überlagerungen von Vergänglichkeiten. So entsteht die Fotografie als eigener Ort. Der dargestellte Ort wird überschrieben. Die Referenz wird zur Existenz.

Das Widersprüchliche ist die logische Konsequenz aus dem, was nie wirklich greifbar war. Was echt war, wir jedoch nicht erkennen können. Das Widersprüchliche besiegelt schlussendlich die Existenz, hinterfragt jedoch die Authentizität, von dem was wir denken zu begreifen.

 

Elisa Mosch, 2023

 

 

 

 

 

Infos

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Andreas Gefeller

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Thomas Rehbein Galerie
Germany
Köln
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