Skip to main content

Stadler: Ich habe Sie verschiedentlich in Ihrem Atelier besucht und bin aufs Neue von diesem Raum fasziniert, der als eine Art Vermittlungsstelle1 verstanden werden kann. An dieWand gelehnt stehen die weissen Leinwände, die Farbtöpfe ringsherum, die Pinsel bereit, die fertig gemalten Bilder und Zeichnungen. Ich habe Ihnen bisher nie bei der Arbeit zugeschaut. Und doch habe ich das Gefühl, dass dieser Raum sozusagen alle Handlungen beinhaltet, jene, die zu Werken führen, und jene, die als Vorbereitungen oder als Rückzüge sich nicht alsWerk konkretisierten. Im Atelierraum erkenne ich auch die grossformatigen Malereien und Zeichnungen, die seit den Neunzigerjahren einen Schwerpunkt Ihrer Arbeit ausmachen. Diese Arbeiten entstehen aus einem dichten Netz von Linien und Formen. Auf den ersten Blick sind diese Zeichnungen expressiv. Setzen Sie eine neue Form der Gestik, des gestischen Malens ein?

Roesch: Meine Kunst will keineswegs der Gestik zum erneuten Durchbruch verhelfen. Ich bin in keiner Art und Weise ein Ausdrucksmaler, ich will es nicht sein. Dieser gestalterische Akt, speziell in den von Ihnen erwähnten Arbeiten, den Zeichnungen, und parallel dazu auch in der Malerei, die damals der zeichnerischen Auffassung folgte, nimmt das Bildfeld in Beschlag. Ich verfolge eine Strategie der Annexion, der Besetzung eines Territoriums. Dieser Akt kann explosiv sein, zielt aber nicht auf den Ausdruck. Ich male das Blatt oder die Leinwand voll, um sozusagen die Malerei zu verhindern, wie dies Ulrich Loock2 in einem Text über meine Malerei treffend formulierte.

Stadler: Ihre Malerei ist aber sehr wohl mit der jahrhunderte alten Tradition des Bildes verbunden. Sie verwenden ja alle Elemente, die ein Bild ausmachen. Ist Ihre Arbeit durch das Moment der Verweigerung zu erklären?

Roesch: Bartlebys «Ich würde vorziehen, es nicht zu tun»3 ist mir vertraut und kommt mir immer wieder in die Quere. Die Verweigerung ist aber nicht Antrieb meiner Auseinandersetzung. Vielmehr interessiert mich das Ereignishafte. Dies bestimmt meine Malerei, die ausgeht vom Prozess, der in einem bestimmten Moment initiiert wird und sich auf dem Blatt oder der Leinwand niederschlägt und abzeichnet.

Stadler: Diese Textur entsteht aus dem Strich und aus der Fläche. Sie ist zuweilen belebt durch ein figürliches Repertoire, das aus der klassischen Literatur oder der Kunstgeschichte entlehnt zu sein scheint.

Roesch: Ich suche nicht die Abstraktion. Ich bin weder ein gestischer noch ein abstrakter Maler. Die Bildtexturen sind belebt durch figürliche Elemente, durch Anspielungen und auch direkte Zitate. Meine Bildfindungen sind Konstruktionen aus all diesen Elementen, wobei mich die ikonographische Bedeutung der Vorlagen nicht so sehr interessiert. Sie sind im wörtlichen Sinne Vorbilder, die ich nachzeichne und nachforme. So entsteht ein Arsenal an Bildzitaten, die nichts bedeuten wollen. Der Betrachter braucht die Quellen denn auch nicht zu kennen, um die Bilder verstehen zu können.

Stadler: Diese Zitate ergeben aber schon eine Welt. Sie lassen gleichsam einen Kosmos entstehen.Was fliesst in Ihre Arbeit ein?

Roesch: Ich beziehe mich auf Vorlagen, die mich in erster Linie ansprechen müssen. Der Affekt bestimmt die Auswahl der Motive. Ich führe diese Fragmente in meinen Arbeiten in einen Zusammenhang. Wie gesagt, für mich steht nicht die Erschliessung von Bedeutungsfeldern, wie es vielleicht die klassische Montage machte, im Vordergrund. Die Kombinatorik der Elemente soll eine Art «Sound» hervorrufen, vielleicht eine Atmosphäre evozieren, die ich mit einer bestimmen Arbeit erreichen möchte.

Stadler: Mir scheint, dass Sie Ihre Malerei und demzufolge auch Ihre Bilderwelt ausserhalb des Bereichs der Darstellung ansiedeln.

Roesch: Die Malerei findet als Ereignis auf der Leinwand oder auf einem Blatt statt. Das Werk ist Resultat und Zeuge dieses Prozesses. Ich möchte von einer Malerei als Handlung sprechen. Und diese Malerei steht ausserhalb des Bereichs der Sichtbarkeit. Die Materialität der Malerei, verbunden mit dem Prozess, bringt meine künstlerische Arbeit voran. Ich würde mich nicht als einen intellektuellen Künstler bezeichnen. Was man tut, ist wichtiger als das, was man denkt.

Stadler: Speziell im Feld der Zeichnung arbeiten Sie in Serien. Die Folgen scheinen eine Art «Bildergeschichte» zu entwerfen.

Roesch: Dieses «Erzählen» entsteht aus dem Arbeitsprozess. Ich nehme Motive oder Formen, die sich ergeben haben, in einer nächsten Zeichnung wieder auf und variiere sie. Ich lasse mich auf das Moment der Transformation ein, die von Bild zu Bild fortschreitet; ich erfülle aber nicht die Erfordernisse eines Plots. Dieses «Erzählen», wenn man es so nennen darf, driftet dahin und schreibt sich sozusagen automatisch von Bild zu Bild fort. Die Bildgeschichte ist Resultat des Arbeitsflusses.

Stadler: Es erscheint mir unzulässig, heute von einer «écriture automatique» zu sprechen, wie sie als surrealistische Strategie in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeübt wurde.

Roesch: Es ist mir keineswegs daran gelegen, das surrealistische Prinzip als Verfahren wieder einzusetzen. Mich interessiert dieses Vorgehen, dieses Arbeiten unter dem Aspekt der Spekulation: dass man also als Künstler die Arbeit beginnt, meint an einen bestimmten Punkt zu gelangen, und dann feststellen muss, dass man anderswo gelandet ist. Dieses spekulative Vorgehen ist eines meiner Hauptinteressen. Und ich möchte mich als eine Art Forscher im Vorstellungsraum bezeichnen, der sich vorarbeitet, ohne im Voraus zu wissen, was zu finden ist.
Ich bin beeindruckt von jenen Seefahrern zu Beginn der Neuzeit, die sich auf ihren Entdeckungsreisen ins Ungewisse vorwagten und so neue Gebiete erschlossen. Nicht, dass ich behaupten würde, ich erschliesse in meiner künstlerischen Auseinandersetzung unter dem Pathos einer avantgardistischen Attitüde neue Territorien. Mich beeindruckt, wie gesagt, die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten, mit dem unmessbaren Vorstellungsraum, der sich hinter all diesen Expeditionsfahrten auftut.

Stadler: Dieses «All over», dieses Vollmalen, das Nebeneinander von Linienbild und bildlicher Darstellung, erinnert zuweilen an Kartenbilder. Das Vorgehen hat mit Vermessen zu tun. Erarbeiten Sie also eine individuelle Kartografie, die das Ungewisse verzeichnet?

Roesch: Die Landkarte als Gattung bringt Bilder hervor, die mehr der Vorstellung als der Sichtbarkeit verbunden sind. Dieser Zustand ausserhalb der bildlichen Darstellung, die dem Kartenbild auch innewohnt, entspricht meiner Arbeit. Ich will den Kosmos, der im Verlaufe meiner Arbeit entsteht, jedoch nicht deuten. Ich habe ihn zwar geschaffen, aber ich will nicht benennen, was das ist.

Stadler: Sie haben bei der Edizioni Periferia Ihre Bevagna-Hefte4 publiziert. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich für einen Begleit- text mit Ihren Bildwelten auseinandergesetzt. Rückblickend fällt mir die Finsternis auf, die die Bildfolge prägt, und andererseits das Motiv der Reise. Und diese Finsternis verbindet den Zyklus mit den grossformatigen Malereien der 80er Jahre, die vergleichbar in einem düsteren Kolorit gehalten sind. Kreaturen, halb Tier, halb Mensch, treten aus dem Bildhintergrund hervor. Der Bevagna-Zyklus ist gleichzeitig mit Motiven einer Reise ausgestattet. Führen Sie uns auf eine Reise in die Unterwelt?

Roesch: Das Nomadisieren ist ein zentrales Moment meines Schaffens. Es zeichnet sich auch in meinem nomadenhaften Lebensweg ab, der durch verschiedene Ortswechsel geprägt ist. Dieses Unterwegs-Sein hat mir ermöglicht, mich immer wieder in andere Zusammenhänge einzubringen. Und so reise ich immer wieder nach dem Ort Bevagna in Italien. Eine Reise, auf der ich mich regelmässig verfahre und oft nur auf Umwegen zum Ziel komme. Das Motiv des Reisens, des Unterwegs- Seins, lässt sich auch auf meine Arbeit übertragen. Ich bereise im übertragenen Sinn die eigene Bildwelt und bin ausserdem in den Bilderwelten anderer unterwegs. Dieses Nomadisieren führt mich schon zuweilen an die Ränder. Die Unterwelt ist ein Bereich, den wir nicht kennen, sondern uns vorstellen müssen. Sie ist in grossem Masse also ein spekulativer Raum.
Gleichzeitig ist diese Gegenwelt - verbürgt durch die Literatur - immer auch ein Ort des Entstehens, also ein produktiver Raum. Das kommt meinen Interessen entgegen. In der Wahl der Motive lasse ich mich vorwiegend durch die Faszination an den Vorlagen leiten. Ich wähle das aus, was mich anspricht, irritiert oder berührt.

Stadler: Diese Faszination geht mit der Faszination für die Materialität der Malerei überein. Ich meine, dass Ihre Arbeit von diesem «Appeal» der künstlerischen Mittel ausgeht.Wie sehen Sie das?

Roesch: Die Malerei der Handlung, wie ich sie bereits bezeichnet habe, ist abgeleitet von der spezifischen Materialität der Zeichnung oder der Malerei. Die Farbe, der Pinsel, die Leinwand oder der Stift, das Blatt sind oft Anstoss zu meiner künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei versuche ich, diese materielle Seite der Malerei reduziert einzusetzen. Ich will diese Materialität in ihren Bestandteilen zeigen und dadurch zur Geltung bringen. Ich will sie nicht durch einen meisterhaften Umgang verbergen. In diesem Sinn ist meine Malerei «brut» und «pauvre». So habe ich mich beispielsweise über längere Zeit mit der Farbe Orange beschäftigt und habe die spezifischen Möglichkeiten dieser Farbe ausgelotet.

Stadler:Wie ist Ihre Faszination für diese Farbe zu erklären?

Roesch: Orange ist für die klassische Malerei durch ihre Signalwirkung und auch durch ihre Verwendung in der Signalistik zur Unfarbe geworden. Die Farbe ist also mit Mankos behaftet. Ich wollte erfahren, wie sich die Farbe im Bereich der Malerei verhält. Zurzeit beschäftige ich mich mit der Farbe Violett, die ich wiederum vorzugsweise als reinen Ton verwende; eine weitere Unfarbe, wenn Sie so wollen, die wiederum andere Erfahrungen ermöglicht.

Stadler: Sie haben von den zwei prägenden Komponenten Spekulation und Faszination gesprochen, die Ihre Arbeit leiten. Sie haben Ihre Arbeit unter den Aspekt der Handlung und des Ereignisses gestellt. Seit 1999 haben Sie sich durch Kunst am Bau-Projekte ein neues Tätigkeitsfeld erschlossen. Inwiefern ist diese Malerei, die durch den Bauprozess beeinflusst wird und aus der Zusammenarbeit mit Architekten entsteht, mit Ihrer sonstigen künstlerischen Tätigkeit verbunden?

Roesch: Die Malerei für Räume hat sich zu einem eigenständigen Tätigkeitsfeld innerhalb meiner Arbeit entwickelt. Ich stelle diesenWerkaspekt gleichwertig neben meine freie künstlerische Tätigkeit. Ich bin in meiner Funktion als Künstler in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Meine Arbeit ist Teil eines Architekturkonzepts und übernimmt auch architektonische Funktionen. Darum nenne ich meine Arbeit für die Architektur «konzeptuelleMalerei». Übrigens stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass der architektonische Entwurfsprozess ? vergleichbar meiner künstlerischen Auseinandersetzung ? durch Vorstellungen und Spekulationen geprägt ist. Also auch der Architekt ahnt lediglich, wie beispielsweise ein Raum wirkt.

Stadler: Die Konzepte für die Erweiterung der Schulanlage Scherr in Zürich durch Patrick Gmür Architekten5 war ein regelrechter Coup, der stark beachtet wurde und die Diskussion um die Polychromie in der Architektur bereichert hat.

Roesch: Es ging mir nicht darum, den diesbezüglichen Diskurs zu beeinflussen. Die Intervention für das Schulhaus Scherr ist aus meiner Kunst hervorgegangen. Die realisierte Arbeit ist meiner Malerei verpflichtet und nimmt verschiedene Elemente auf. Ich habe versucht, die Strategien meiner künstlerischen Arbeit in diesen räumlichen Kontext zu übertragen. Die Umsetzung mit Farbaufbau, Pinselstrich, Durchlässigkeit der Farbschicht weist Bezüge zu meiner Leinwandmalerei auf. Ich denke also nicht zuerst an den Benutzer, wenngleich die gewählte Farbigkeit bewusst für diesen Ort ausgesucht und bestimmt wurde. Ich male die Räume aber nicht von eigener Hand. Ich erstelle eine Art Partitur, die dann gewissermassen von einem Maler interpretiert wird. Und diese Form der Anwendung meiner Malerei im Raum finde ich sehr spannend. Zurzeit arbeite ich am Farbkonzept für eine städtischeWohnüberbauung, die wiederum durch Patrick Gmür Architekten geplant wird.

Stadler: Offensichtlich verfolgen Sie auch bei diesen Beispielen die Strategie der Besetzung eines Territoriums, wie wir das für Ihre künstlerische Arbeit festgestellt haben.

Roesch: Ich finde es sehr spannend, meine Malerei in einem räumlichen Kontext zu inszenieren. Diese Strategie der Annexion ist auch hier zu erkennen. Doch findet dabei ungleich stärker als bei meiner grossformatigen Malerei, die innerhalb des im voraus definierten Feldes der Leinwand geschieht, eine Art Überforderung oder Überwältigung des Betrachters statt. Diese Farbräume sprengen das Format des Bildes, umschliessen den Betrachter und besetzen sein Gesichtsfeld.

Stadler: Sie haben vom Einfluss der freien künstlerischen Tätigkeit für diese konzeptuelle Malerei für Räume gesprochen. Ist auch vice versa von einer Beeinflussung durch diese angewandte Form der Malerei auf Ihre freie künstlerische Arbeit zu sprechen?

Roesch: Ich wollte erfahren, wie sich das Konzept ändert, wenn ich dieseWandmalerei selber ausführe und wenn ich das Konzept in einen Ausstellungsraum, also in den institutionellen Raum, übertrage. Ich habe den Ausstellungsraum des Kunstpanoramas Luzern in Orange vollrund ausgemalt. Dieser Raum wirkte völlig anders als die von professionellen Malern ausgeführten Arbeiten für die architektonischen Projekte. Die Malerei hat sich aber nicht grundlegend verändert.

Stadler: Die Inszenierung Ihrer Aquarelle beispielsweise unlängst im Kunstmuseum Luzern scheint mir auch aus der Erfahrung des Projekts für das Schulhaus Scherr abgeleitet zu sein. Können Sie dies bestätigen?

Roesch: Diese Form der Ausstellungsgestaltung geht sicher auf die Erfahrung des Projekts zurück. Seit den Achtzigerjahren sammle ich diese kleinformatigen Aquarelle. Zuerst habe ich sie als Buchzeichen verwendet, dann in Mappen aufbewahrt. Diese Blätter sind eigentlich Restprodukte meiner künstlerischen Arbeit. Ich finde sie zufällig unter den oft bereits ausgeschiedenen Arbeiten. Ich schneide oft die Formate aus grösseren Blättern heraus. Manchmal übermale ich sie später. Immer mehr wurden diese Schnipsel dann eigenständigeWerke. Die Arbeiten entstehen, geleitet durch den Zufall, nebenbei. Und ist es nicht so, dass bei unkontrollierten und unbewussten Handlungen grundlegende Sachen geschehen können?
Stets hatte ich die Absicht, die Aquarelle als installative Arbeit im Raum zu inszenieren. Erstmals habe ich sie im Kunstmuseum Luzern (2001) gezeigt. Für meine Interventionen im Rahmen der Ausstellung Zwischen den Zügen des Kunstmuseums Olten (2005) und einer Ausstellung in der Galerie DecimusMagnus Ars von Jean- François Dumont in Bordeaux (2005) kombinierte ich die Raumhängung mit meiner konzeptuellen Malerei, die ich für die erwähnten architektonischen Projekte realisiert habe.

Stadler: Sie liessen sich in der Bildhauerklasse von Anton Egloff an der damaligen Kunstgewerbeschule Luzern ausbilden; Sie erhielten früh wichtige Stipendien, zum Beispiel das Stipendium für Rom; Sie erhielten die wichtigen Preise, also zum Beispiel den Eidgenössischen Preis für Kunst; Sie unterrichten an der Haute école d?art et de design de Genève (HEAD). Ihr Werdegang ist beachtlich.Was war am Anfang? Welche Anlässe haben Sie zur Kunst geführt?

Roesch: Meine Sozialisierung im Feld der Kunst fand im Atelier des Luzerner Grafikers Joseph Ebinger statt, wohin es mich als Grafiklehrling verschlagen hatte. Atelier undWohnung von Erica und Joseph Ebinger waren eine Art Bühne der damaligen zeitgenössischen Kunst. Dort trafen sich all jene Künstler, die etwa unter Peter F. Althaus und Jean-Christophe Ammann am Kunstmuseum Luzern ausstellten. Da kam alles zusammen. Im Atelier Ebinger fertigte ich das Layout der Kunstnachrichten an, der damals führenden Kunstzeitschrift der Schweiz. Durch diese Arbeit kam ich mit den aktuellen Positionen in Kontakt und erfuhr, was darüber geschrieben wurde. Das war mein Modell einer Ausbildung.

Stadler:Wer gehörte zu diesem «Kosmos Ebinger», und welche Arbeiten oder Positionen haben Sie beeinflusst?

Roesch: Die Menschen und ihre Charaktere waren wichtig, nicht so sehr ihre künstlerischen Positionen. Ich habe hier gelernt, was ein Künstler ist, wie er funktioniert und was es heisst, für seine Kunst einzustehen. Die Begegnung mit Dieter Roth war P.M.da sicher prägend. Roth hat mich übrigens beauftragt, die Illustration für die Titelseite seiner PublikationWer war Mozart?6 zu gestalten, einer meiner ersten Aufträge überhaupt. Für Roth habe ich im Atelier Ebinger auch jene Anzeigenserie im Stadtanzeiger Luzern betreut, die bekanntlich die Polizei auf den Plan gerufen hat, da man seine poetischen Notate als geheime, chiffrierte Botschaften interpretierte.

Stadler: Mir scheint, dass Sie auf dieser Bühne der Kunst nicht Akteur waren?

Roesch: Ich nahm am Geschehen mehr als Betrachter teil. Diese Zeit bei den Ebingers war eine Art Traum, in dem ich als junger, angehender Künstler aufgehoben war. Der positiv wirksame Schock, der mich erst zur Kunst führte, war die Ausstellung Live in your head. When attitudes become form. Works, concepts, processes, situations, information, die Harald Szeemann 1969 in der Kunsthalle Bern inszenierte. Erstmals hatte Kunst direkt etwas mit meinem Lebensgefühl zu tun. Die Kunst, die Szeemann zeigte, hat meine Interessen und meine Auffassungen gespiegelt. Die Ausstellung hat mir das Feld der Kunst sozusagen neu eröffnet. Aus dieser Erfahrung fand dann über Jahre, und geprägt durch unterschiedliche Ereignisse, meine «Kunst-Familie» zusammen. Meine Position innerhalb der Kunstszene war aber immer dissident. Ich wollte nicht dazu gehören. Das war mir suspekt. Ich zählte mich nicht zur aufkommenden Luzerner Szene. Ich setzte mich damals nach Rom ab. Später wohnte ich während mehrerer Jahre in Paris, auch dort war ich nicht Teil der Kunstszene. Heute wohne und arbeite ich in Luzern und unterrichte in Genf, was mir sehr entgegenkommt, da es mir erlaubt, in zwei Welten verkehren zu können.

Stadler: Wenn wir nochmals das Paradox aufnehmen, von dem wir am Anfang unseres Interviews gesprochen haben, nämlich, dass Sie malen würden, um die Malerei zu verhindern, oder dass Sie zeichnen würden, um die Zeichnung zu verhindern, dann ist zu fragen, ob sich das generell auf Ihre Auffassung der Kunst übertragen liesse. Machen Sie Kunst, um die Kunst zu verhindern; sind Sie Künstler, um nicht Künstler zu sein?

Roesch: Ich habe mich nie bewusst für die Kunst entschieden. Ich wollte nicht jener Künstler werden, der sich die Kunst und ihre Techniken akademisch erarbeitet. Ich bin kein akademischer Künstler. Ich bin im Grunde ein Autodidakt und bin es in meiner Haltung gegenüber dem künstlerischen Arbeitsprozess geblieben. So arbeite ich bevorzugt an Dingen, die ich noch nicht gut kann. Der Prozess ist in diesem Fall offener; er ist fragiler und lässt deshalb mehr zu. In Anlehnung an ein Statement von George Brecht7geht es mir darum, die Kunst gut zu machen, aber doch nicht zu gut.

Stadler: Da ist dieses Werk, das sich über die Jahre entwickelt hat. Sie haben Ihr bisheriges Leben daran gearbeitet, haben sich «involviert», was auch persönliche Konsequenzen haben muss. Diese Erfahrungen müssten einen Menschen verändern.
Roesch: Damit bin ich nur bedingt einverstanden.Was ich gemacht habe und was ich jetzt mache, halte ich keineswegs für eine abgeschlossene, einheitliche Sache. Es sind vielmehr Dinge, die durch mich hindurchgegangen sind und die davor nicht existiert haben. Ausserdem habe ich im Grunde immer nur gearbeitet, um der Langeweile zu entgehen.

Stadler: Ihre Arbeit wurde in Ausstellungen gezeigt, so etwa in einer Einzelausstellung 1991 im Kunsthaus Aarau. Sie geben dadurch Ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Sichtweisen an den Betrachter weiter.

Roesch: Die Ausstellungen stehen bei mir nicht im Vordergrund. Ich habe oft festgestellt, dass dieWerke im Atelier, also im Umfeld, wo sie entstanden sind, ihre Richtigkeit, man könnte sogar Wahrhaftigkeit sagen, offenbaren. Ich arbeite also weder für die Ausstellung noch für den Betrachter. Meine Arbeit ist vielmehr einem Schreibprozess vergleichbar. Es geht darum, etwas festzuhalten, weil ich weiss, dass es sonst auch für mich nicht vorkommt.

Stadler: Also keine Botschaft?

Roesch: Meine Arbeit hat kein eigentliches Thema. Ich wüsste nicht, welche Botschaft ich vermitteln sollte. Ich fülle mit der Kunst sozusagen mein Leben aus, obwohl ich mich immer wieder frage, wieso ich gerade dies mache und wieso ich dann an meiner Kunst zweifle. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen als jene Kunst, die ich mache. Meine künstlerische Arbeit ist auch eine Art Rechtfertigung für mein Tun. Ich weiss auch, dass mein Werk erlischt, wenn ich meine Malerei nicht fortsetze. Ich bin also meinem bisherigen Schaffen verpflichtet.Wie ich auch beispielsweise dem Medium Malerei verpflichtet bin. Jeder heutige Künstler malt auch für die vorausgegangenen Künstlergenerationen. Denn wenn es keine Künstler mehr gibt, dann wird auch die Kunst früherer Epochen nicht länger wahrgenommen und somit hinfällig. Ich begreife mich schon als Teil dieses «Flusses der Kunst».

Stadler: Ich möchte von der Verantwortung sprechen, die die Künstler im Hinblick auf unsereWelt haben. Ich spreche von der Möglichkeit, Partei zu ergreifen in unserem heutigen Leben. Mir scheint, Sie nehmen daran nicht teil?

Roesch: Ich würde Stellung beziehen, wenn ich mich für qualifiziert genug hielte, es zu tun. Ich sehe mich nicht allein durch den Umstand, dass ich die Rolle des Künstlers gewählt habe, befähigt, Sachen für gut oder schlecht zu erklären, von denen ich keine Ahnung habe. Ich meine, dass meine gesellschaftspolitischen Reaktionen nicht mehr gelten als die irgendeiner Person dieser Gesellschaft.

Stadler: Sie sind Dozent der HEAD-Genève und in dieser Funktion gefordert, Stellung zu beziehen, respektive zu erklären, was die Kunst ist.

Roesch: Diese Tätigkeit hat mir wiederum ein neues Feld eröffnet, das meine künstlerische Arbeit und Auseinandersetzung mit der Architektur ergänzt. Ich engagiere mich für diese Tätigkeit. Ich schätze den Kontakt mit den Studierenden, weil es mich interessiert, was sie berührt, was sie denken, was sie beschäftigt. Ich sehe mich als eine Art Coach, der die angehenden Kunstschaffenden in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung begleitet. Ich begleite sie im Prozess, die eigene Bildsprache oder die eigene Bildwelt zu finden. Ich fühle mich dazu befähigt, weil ich mich jetzt während einer längeren Zeit mit dieser Problematik in meinem Schaffen auseinandersetze. Oft unterhalte ich mich auch über alltägliche Fragen wie die Suche eines Ateliers, die Herstellung von Dossiers und ähnliches.

Stadler: Gibt es in Ihrer bisherigen Tätigkeit oder in Ihrem Leben ein Ziel, das Sie nicht erreicht haben?

Roesch: Claude Lévi-Strauss8 hat auf eine ähnliche Frage geantwortet, dass er sich wünschen würde, sich mit einem Tier verständigen zu können. Dass es für ihn das grösste Glück bedeuten würde, diese unüberwindbare Grenze überschreiten zu können. DiesenWunsch möchte ich auch für mich formulieren. Und es soll nicht verschwiegen werden, dass ich mich unter all den Kreaturen vorzugsweise mit meiner Katze unterhalten möchte. Mir scheint, dass sie wissen könnte, wie die Welt beschaffen ist.

Infos

Type
Artikel
Share

Künstler:innen

Details Name Portrait
Peter Roesch