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basting: Bei unseren Vorgesprächen zu diesem Dialog per Mail tauchte ein Stichwort besonders häufig auf: Begehren nach Bildern. Dahinter lässt sich ein Ungenügen angesichts der Flut der in unsererWelt vorhandenen Bilder vermuten. Können Sie dieses Begehren oder seine Kehrseite, das Ungenügen, präziser beschreiben?

stalder: Das Begehren ist jenes schwer Beschreib- und Eingrenzbare, das vor allem anderen im Körper vorhanden ist, vor jeder Art von Vosrstellen, Fühlen, Denken, Handeln. Es ist nur fassbar, wenn es als Mangel, als Lücke, als Fehlendes handfest wird. So gesehen ist das Ungenügen nicht Kehrseite des Begehrens, sondern eine seiner greifbaren Manifestationen. Diese Lücken sind höchst aktive Teile des Hintergrunds, vor dem sich meine Arbeit mit Bildern ereignet.

basting: Überschaut man Ihre Arbeit, spielt die Entwicklung vom malerischen Bildraum hin zum installativen Erlebnisraum (und auch wieder zurück) eine wichtige Rolle. Installationen sprechen den Betrachter stärker auf der Ebene der Körpererfahrung an, machen ihn zum Teil der Installation. Inwiefern geht es Ihnen um solche Prozesse?

stalder: 1981 fanden vier Ausstellungen statt: La geografia siciliana war mein Beitrag im Kunstmuseum Solothurn, zusammen mit Aldo Solari und Otto Lehmann; Der Bergbau wurde im KunstmuseumBasel gezeigt und blätterte auchmeinen Zeichnungsfundus auf; die Galerie Friedrich in Bern zeigte Le tre dimensioni, und in der Doppelausstellung mit Miriam Cahn im Kunsthaus Zürich hiess mein Teil Das fünfte Rad der Trilogie. Ich habe das klar als eine Ausstellung gedacht, verteilt auf vier Orte. Alle enthielten gemalte Bilder, die ich aus meinem Zeichnungsfundus präzise für die jeweiligen Räume ausgesucht und im Modell platziert hatte, bevor sie dann gemalt wurden. Die Bilder waren also von Anfang an als Teile eines Raumganzen gedacht, die Malerei eine Funktion dieses Ganzen.Was sich als Ganzes zeigt, ist keine Installation, sondern eher eine neue Bildqualität, die sich aus einzelnen Bildern zusammensetzt, die auch alleine oder in anderen Konstellationen ihren schlüssigen Platz haben können.

basting: Diese Präsentationsform, die verschiedeneWerke an verschiedenen Orten zeigt, die es aber zusammen zu denken gilt, hat eine Entsprechung in der Vielfalt Ihrer Arbeiten. Es fällt schwer, diese auf einen einfachen Nenner zu bringen, und sei es nur derjenige bestimmter, von Ihnen bevorzugter Medien. Wie kommt es zu dieser Vielfalt, Heterogenität? Steckt dahinter eine bestimmte Strategie oder Absicht?

stalder: MeinWerk ist, wie diese Ausstellungen schon zeigten, ästhetisch äusserst heterogen, weil ich aus einer körperlichräumlichen Perspektive denke und handle und nicht aus einer ästhetisch-medialen. Eine ästhetische Identifizierbarkeit meiner Arbeit hat mich nie fokussiert beschäftigt. Am Anfang meiner Bildfindungsprozesse steht meistens eine physische Erfahrung, also etwas Biografisches, nur: in der Regel ist sie nicht visuell, nicht bildhaft, sondern eher energetisch. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als diesen Zustand zu illustrieren und ihn dann in einem langen Transformationsprozess nicht von seiner Herkunft zu trennen, sondern soweit zu entfernen, dass die Herkunft nicht mehr Thema ist. Dieser Vorgang ist medial nicht festgelegt, sondern muss sich sein Medium suchen. Die Vielfalt ist nicht primäre Absicht, sondern Folge dieser Vorgänge.

basting: Können Sie diesen «Trennungsprozess», die «Entfernung» von der biografischen Herkunft, vom Zufällig- Anekdotischen, rein Subjektiven, an einem Beispiel näher erläutern?

stalder: Vielleicht lässt sich das am Südfusskomplex (1999/2000) konkretisieren. Am Anfang steht einWettbewerb für die Gestaltung eines Aussenraumes der Psychiatrischen Klinik in Solothurn. Gegenstand ist eine Zone, welche Besucher vom Parkplatz kommend passieren, um ihre Angehörigen in der Klinik zu besuchen. Gleichzeitig ist sie Platz für die Anlieferung unterschiedlichster Güter wie Esswaren,Wäsche, Büromaterial. Ich habe für diesen Aussenraum vier Plakatwände vorgeschlagen, eine Vitrine auf der Laderampe und eine Fahnenstange am Eingang zu diesem Teil des Klinikgeländes. Für die Fahnenstange habe ich vier Fahnen entworfen, für jede Jahreszeit eine. Die Vitrine wird in einigen Jahren mit der Dokumentation des Ereignisses gefüllt. Für die vier Plakatwände habe ich ein 48teiliges Bildprogramm entworfen, das, als Siebdrucke realisiert, über 12 Jahre geklebt wird.

basting: Diese Siebdrucke haben von ihrer Motivik her und auch in der handschriftlich wirkenden, zeichnerischen Ausführung etwas Intimes; man könnte sie als kondensierteWahrnehmungsfragmente beschreiben. Woher rühren die Motive, und wie haben Sie sie konkret bearbeitet?

stalder: Für den Wettbewerb hatte ich die zeitliche Struktur vorgeschlagen, in der die Siebdrucke geklebt werden sollten. Was für Bilder das sein sollten, wusste ich noch nicht. Umso erstaunlicher, dass ich die Sache ausführen durfte. Um über 12 Jahre im Dreimonatsrhythmus je vier Siebdrucke kleben zu können, sind 192 Blätter nötig. Mir war immer klar, dass ich keinen inhaltlichen Bezug zur Klinik nehmen, sondern eher meinen Imaginationen folgen, also ein ablenkendes Angebot an die Passanten machen wollte. Ich habe 48 Zeichnungen gemacht, die einen assoziativen Raum bilden, den Ausstellungen vergleichbar, die ich oben erwähnt habe. Die 48 Motive sind im Katalog der Helmhaus-Ausstellung abgebildet. Betrachtet man die Abbildungen im Katalog genauer, wird klar, dass es sich um eine sehr kontrollierte zeichnerische Sprache handelt. Die Handschriftlichkeit ist nicht abwesend, sondern stark reduziert, Gestik ist als Übersetzung und nicht als spontane Expression vorhanden. Diese zeichnerische Sprache ist das Resultat mehrerer Präzisierungsschritte. Am Anfang stehen die 48 eher spontanen Zeichnungen, sie formulieren die Bildmotive. In der Folge werden die Zeichnungen solange umgeformt, bis in der Wiederholung nicht mehr das Motiv gezeichnet wird, sondern eben nur noch die Zeichnung. Sie haben die Verbindung zu ihrer Quelle zwar nicht verloren, das Lineament der Zeichnung spricht aber nicht mehr über das Finden des Motivs. Beim Siebdruck gibt es die Möglichkeit, mit einem Lack kleine Fehler auf dem Sieb zuzukleben. Ich habe diese Korrekturfunktion verwendet, um von den 48 Motiven vier Generationen zu drucken, zuerst das ganze Motiv, und dann wurde in jedem folgenden Druckschritt progressiv etwas vom Motiv zugeklebt. Die vier Schritte sind jeweils auf weisses, hellgraues, graues und dunkelgraues Normpapier gedruckt, wie es im Siebdruck für Plakate verwendet wird. Das führt dann zu den 192 benötigten Blättern.

basting: Sie rechnen mit einem geübten Betrachter, fordern von diesem einiges - Ihre Kunst ist gewissermassen unbequem. Muss das so sein?

stalder:Was ich mir wünsche, sind wache, emphatische Betrachter. Ich hoffe, die Beschreibung hat gezeigt, dass ich als Künstler die einmalige Chance habe, den eigenen Blick auf dieWelt - über welche Strategien, ironischen Brüche, Negierungen dieser Blick auch immer umgelenkt sein mag - zum Anlass meiner Tätigkeit zu machen. Das ist eine geistig und emotional privilegierte Situation. Sie hat ein Publikum mitzudenken, aber auf keinen Fall in Anbiederung an einen vermuteten Geschmack.

basting: Sie planen Ausstellungen sehr präzise, legen vielschichtige Erfahrungsräume an. Ist das eine Form dieses «Mitdenkens»?

stalder: Auf jeden Fall. Die Ausstellung ist für mich das einzige Medium, welches für eine kurze Zeit den schwankenden Raum stabilisieren kann, einzelneWerke so versammelt, dass ihr Zusammengehen oder sich Abstossen etwasWeiteres produziert, das zwischen den Werken schwebt. Es ist nur in der Ausstellung erfahrbar, geistig widerständig. Nach Ende der Ausstellung verschwindet das wieder, und die Werke sacken ins Artefaktische zurück. Im Schwebenden zwischen den Artefakten befindet sich Kunst; gelingt es, dieses Schwebende zum Klingen zu bringen, freut mich das sehr, auch für ein geneigtes Publikum.

basting: Sie sprechen von der Ausstellung als Medium, von besonderen Erfahrungen, die man dort machen kann. Diese Überzeugung teilen heute viele Künstler; offenbar geht es dabei auch darum, die drohende Banalisierung der Kunst durch den allgegenwärtigen Markt abzuwenden. Das Kunstwerk als Ware ist leicht erhältlich. Doch seine besondere Präsentation in einem Ausstellungsdisplay entzieht sich letztlich demWarencharakter. Spielt dieser Aspekt, den ich als Versuch der «Re-Auratisierung» der Kunst bezeichnen möchte, in Ihren Überlegungen eine Rolle?

stalder: Ich will ein Bild, vielleicht nur ein flüchtiges, aber kein Display. Mit «Re-Auratisierung» hat das nichts zu tun, sondern mit der Einsicht, dass in einer nachmedialen Epoche die Regelwerke der einzelnen Medien wie Malerei, Video, Internet usw. als isolierte nicht ausreichen. Ich muss nach Zusätzlichem suchen und kann das selbstverständlich nur tun, wenn ich die Regeln der erwähnten Medien kenne und handhaben kann, fähig bin, mich darin zu bewegen, und darum erahnen kann, was mir fehlt.

basting: Es fällt nicht nur anlässlich dieses Dialoges auf, dass Sie präzis über Ihre Arbeit Rechenschaft geben können. Welchen Wert messen Sie diesem eigenen Diskurs in Bezug auf Ihr bildnerisches Schaffen bei - oder andersherum:Was leistet das Bild oder dasWerk, was der Diskurs nicht leisten kann?

stalder: Mein Medium ist die Ausstellung; sie bietet mir reale und birgt aber auch mentale Räume, in die hinein ich die beschriebenen Transformationsprozesse projizieren kann. Sie garantiert mir Momente des Zeigens. Diese Räume sind einerseits willkommene Denkforderungen, meine Arbeit ist aber auch abhängig von einem «Angebot». Die Ausstellung ist ein öffentliches Medium; verwende ich zuwenig Sorgfalt auf die vielfältigen Bedingungen der Öffentlichkeit, denke ich nur aus meiner eigenen Produktionsperspektive, sind die Resultate in der Regel zu hermetisch. Über meine Arbeit und ihre Bedingungen kann ich sehr wohl sprechen, über meine Arbeiten weniger gern. Aber die Arbeiten sind natürlich das Entscheidende und stehen in der Ausstellung sowohl dem Publikum wie auch der Kritik offen. Einerseits ist eine Produktion ohne den Moment des Zeigens in meinem Fall nicht wirklich sinnvoll; andererseits wird deutlich, dass ich mich damit in einem labilen Raum zwischen Selbst- und Fremdbestimmung bewege.

basting: Man könnte hinter diesem hohen Selbstanspruch eine Angst vor dem Scheitern auf hohem Niveau vermuten; einem Scheitern, das als Risiko ja nicht wenige und oft sehr produktive künstlerische Karrieren begleitet. Gibt es für Sie da Künstlerinnen, Künstler, denen Sie sich verwandt fühlen, die Sie vielleicht auch bestätigen, so zu agieren?

stalder: Das Scheitern kommt mir zu stark aus der psychologischen Ecke. Aber mich haben immer Arbeiten von Künstlern intensiv beschäftigt - als Beispiel Bruce Nauman -, die ein dünnhäutiges Bewusstsein dafür haben, wie sich ihr Werk zwischen individueller Biografie und der «Sorge um alles» ausspannen muss, die um die Gefährdung des Verstummens in diesem Spannungsraum wissen. Das hat mich in meiner Haltung bestärkt, der Vielheit des Gedankenspringens den Vorzug zu geben und mich nicht so sehr um ordentliche Einheit zu kümmern. Dass es nun ein Prix Meret Oppenheim ist, der Anlass zu unserem Gespräch bietet, erfüllt mich mit leiser Freude.

basting: Die Entwicklung einer künstlerischen Haltung ist ein sehr komplexer Prozess. Könnten Sie ihn im Blick auf Ihr Werk dennoch auf ein paar Stichworte herunterbrechen?

stalder:Wie schon am Anfang ausgeführt: Ich hatte sehr früh die Möglichkeit, Ausstellungen zu machen, und hab diese Chancen auch gepackt. In der ersten Zeit standen Fragen nach meiner Rolle als Künstler, nach meinem Platz in derWelt im Zentrum, aber auch die Überzeugung, dass eine einmal gefundene Formulierung keinen Anspruch auf Gültigkeit über sich selbst hinaus haben kann. Ich habe an der «Verdoppelung der Möglichkeit» gearbeitet, weniger auf Grund einer schon bestehenden Haltung, sondern die hat sich sozusagen durchs Machen der Arbeiten und Ausstellungen selbst verfasst. Ich hatte als Künstler keine Ausbildung, habe aber extrem viel von älteren, befreundeten Künstlern gelernt - stellvertretend für viele andere: Max Matter und Martin Disler -, nicht im Sinne technischer, akademischer Fertigkeiten, sondern ich konnte sie aus nächster Nähe beim Verfassen ihrer jeweiligen Haltungen und öffentlichen Biografien beobachten, ohne selbst schon so eine Biografie und Haltung haben zu müssen. Ich habe miterlebt, wie die unterschiedlichsten Faszinationen sich in Werke transferiert haben, dass reagierend und agierend mit derWelt umgegangen werden kann. Das tönt in der Rückblende reflektierter, als es in Wirklichkeit war, aber ich verdanke dieser losen «Akademie» sehr viel mehr für meine eigene Haltung, als mir lange Zeit bewusst war.

basting: Hier stellt sich mir die Frage, wie dieses Wechselspiel von individueller Biografie und der «Sorge um alles», wie Sie das nennen, also im Grunde die Frage nach der Verantwortung des Künstlers, zu verstehen ist.

stalder: Es gibt einen Begriff, den ich deutsch nicht so weiträumig fassen kann, wie er mir französisch scheint: être concerné. Er schliesst das Eigene und das Andere, das Individuelle wie das Gesellschaftliche mit ein.Was ich mit diesem Begriff verbinde, ist ein wichtiger Bote zwischen Biografie und Gesellschaft, und zwar in beide Richtungen. Der Welt als Ganzem ist ja nicht zu entkommen; künstlerische Haltung liegt in derWahl aus dem «Alles» und auch darin, ob aus dieserWahl etwas entsteht, das für die Betrachtung relevant wird. Die Produktionsprozesse muss ich für jede Arbeit neu beschreiben; was sich bei all diesen Vorgängen gleich bleibt, ist die Dynamik: machen - benennen - ändern - wiederbenennen - akzeptieren oder endgültig verwerfen - wieder machen. Heute ist kein Zentrum mehr da, die Arbeit eher eine expandierende Peripherie, die Haltung vielgestaltiger, aber auch fragiler.

basting: Und wie verläuft das Wechselspiel von Machen und Benennen genauer?

stalder: Ich versuche es an Blinde Drehung zu zeigen. 1998 schickte mir Daniel Hänni aus Oberhofen einen Kreisel - ein bauchiges Blechgerät, das mit einer Schraube, die seine Achse bildet, in Drehung versetzt werden kann - mit der Bitte, den Kreisel für seine Sammlung von Künstlerkreiseln zu bemalen. Die Aufgabe reizte mich gar nicht, aber das Objekt. Zuerst habe ich es auch bloss als Spielzeug verwendet und beobachtet. Als nächstes habe ich den Kreisel auf ein Blatt Papier gelegt und seinen Umriss mit einem Bleistift nachgezeichnet und so einen Seitenriss des Gegenstands erhalten, den ich dann wie einen Schatten grau ausgemalt habe. Die Sache blieb liegen. Später habe ich den Seitenriss wiederholt, jetzt allerdings auf einem Karton, und habe den Schatten dann ausgeschnitten. Diese Schablone habe ich verwendet, um auf grossen Papieren eine Art multiple Schattengebilde zu konstruieren. Bei der Betrachtung dieser Zeichnungen habe ich schnell gemerkt, dass die Anordnung zu beliebig war, um interessant zu werden. Ich habe die Schablone solange um einen stabilen Mittelpunkt angeordnet, bis eine Art Scheibe entstanden ist. Diese Scheibenform habe ich später mit Ölfarbe auf eine quadratische Holztafel gemalt. Den Mittelpunkt hab ich aufgebohrt und die Tafel so auf der Wand befestigt, dass sie sich ums Zentrum drehen liess. Das ergab zwar ein schönes neues Bild, aber die Technik war zu prekär, als dass sich dieses Bild als neuer Kreisel hätte behaupten können. Ich habe dann das Bild unscharf fotografiert, und die Blinde Drehung nach Oberhofen geschickt.

basting: Sie gehören zu den Künstlern, die ausgesprochen reflektiert agieren. Spielt da eine Spontaneität des Entwerfens, des «Hinwerfens», und sei es auch nur, um erst einmal einen Anfangskern zu haben, noch eine Rolle?

stalder: Die Spontaneität wird sowohl beargwöhnt wie bewundert, oft von denselben Leuten gleichzeitig. Es gibt verschiedene Wissenschaften, die das zu ergründen und damit wohl auch etwas zu entzaubern versuchen, und ein ängstliches Verteidigen dieses «Unergründlichen» als einem Terrain, das nicht beschreib- und verhandelbar ist. Ich kenne keine Menschen, die nicht froh wären, dass sie Intuitionen, Eingebungen, Ideen, Vorstellungen und noch ungeordnete Gedanken haben. Die Kreiselgeschichte deutet es an, es gibt diese spontanen Momente der Eingebung durchaus, die führen bei mir meist zu einem Notat. Diese Notate sind les- und betrachtbar.Was vorhanden ist, kann benannt werden, und wird damit zum Potential, das verändert, in mediale Transformierungsprozesse überführt werden kann.Was ich mir wünsche, sind Bilder, nicht Prozesse um ihrer selbst Willen. Im medialen Transfer liegt mein Interesse. Für das, was vorher ist, bin ich dankbar, aber es ist nicht Thema meiner Bildanstrengungen. Offen gestanden graut es mir auch vor der Instrumentalisierung möglicher Erkenntnisse aus diesem Bereich. Kunst hat sich pädagogisierenden Gleichschaltungsforderungen in aller Deutlichkeit zu widersetzen.

basting:Woran oder womit nährt sich Ihre Reflexion; gibt es etwa Autoren, die für Sie in letzter Zeit besonders wichtig waren?

stalder: Ganz wichtig sind regelmässige Gespräche mit langjährigen Freunden und dann Lektüre. Ich bin kein systematischer Leser; neben Belletristik und Poesie lese ich alles Theoretische, das auf irgendeineWeise mit Bildern zu tun hat. Im Moment sind es zwei Bücher: Geschichten vom Kino von Alexander Kluge, eine Sammlung von vermeintlich disparaten Splittern, die als Ganzes ein dicht geschichtetes Bild ergeben. Das zweite ist Bilder trotz allem von Georges Didi-Huberman. Im ersten Teil handelt dieses Buch von vier Fotografien, die von Inhaftierten in Auschwitz gemacht worden sind und denWeg aus dem Lager gefunden haben. Die vier Bilder sind ein Referenzraum des äussersten Extrems. Sie sind eine unhintergehbare Instanz, nicht für die eigene Produktion - ein Vergleich läge jenseits aller Verantwortbarkeit - sondern sie bilden «nur» eine Verpflichtung zur Verantwortung, wenn ich Bilder betrachte, herstelle, benutze und über sie reflektiere. Das erste Buch holt sich seinen Gehalt aus der Streuung, das zweite aus der Tiefenlotung.

basting: Ich sehe in Ihrem Werk mehrere Selbst-Kontrollverfahren, mit denen Sie dieser Verantwortung gerecht zu werden versuchen. Eines davon ist die Spiegelung - jene von Bildern, aber auch jene des Betrachters im Bild. In der Spiegelung werden Bildräume konstituiert, aber auch in ihrer Hermetik aufgebrochen - und die Spiegelung bezieht Betrachter-Gegenüber ins Bild mit ein.Würden Sie dieser Interpretation zustimmen?

stalder: Die Spiegelung ist ein hilfreiches Instrument, genügt alleine aber sicher nicht. Um Bilder zu machen, seien sie nun der Kunst zugeordnet oder nicht, braucht es keine Prüfung, jede und jeder darf sie produzieren. Eine Verpflichtung zur Reflexion ist damit nicht zwingend verbunden. Als Künstler kann ich selbstverständlich nicht so tun, als könnte ich zwischen Verantwortungsrhetorik und einer Verpflichtung zum Nachdenken nicht unterscheiden. Die Schwierigkeit liegt darin, herauszufinden, wie sich diese Verpflichtung im Bild selbst realisiert. Bilder sprechen selten für sich selbst, sie müssen vermittelt werden.Wenn ich weiss, woher meine Bilder kommen und welchen Arbeitsschritten ich sie unterzogen habe, weiss ich zumindest, was ich zeigen will.

basting: Ein weiteres Ihrer Verfahren ist gerade in der jüngsten Arbeit zu sehen, den haikuartig verdichteten, farbenprächtigen Text-Bildern, eine Arbeit mit Begriffsfragmenten, die man als Vorschlag lesen kann, über den Status des Bildes, über die geistigen Besitzverhältnisse am Bild nachzudenken. Es scheint, als ob Verlockung und Verweigerung des Bildes in IhremWerk sich hier exemplarisch treffen. Inszenieren Sie den Double-Bind, der Sie als Künstler beschäftigt, für den Betrachter?

stalder: Es ist ja nicht mein erster Versuch, einen Text Bild werden zu lassen. Dieser Text wurde nie notiert, sondern direkt im Layout geschrieben. Es stand von Anfang an fest, dass diese Sechszeiler Malerei werden sollten. Nach mehreren Versuchen blieb nur die Aquarelltechnik für die Ausführung übrig. Gelenk & Zwischenton heisst diese zehnteilige Bildergruppe, die Teil einer umfangreicheren, noch nicht realisierten Arbeit ist. In Gelenk & Zwischenton wird ein Thema exponiert, aber noch nicht wirklich angegangen. Ich besitze annähernd alle Fotos, die mein Vater in seiner Freizeit gemacht hat. Das Konvolut ist nicht bearbeitet, sondern steht, in Papiertüten verpackt, eher als Volumen in meinem Arbeitsraum denn als Bilderkosmos. Ich besitze diese Bilder zwar, aber es sind gleichwohl seine Bilder, sie sind sein Blick auf dieWelt und nicht meiner.Mir ist das erst deutlich geworden, als die Säcke hier waren, was zum Notat SEINEBILDER - MEINEBILDER geführt hat, einem querformatigen A4-Blatt, auf dem mit schwarzer Gouache dieser Schriftzug steht. In meinem Fall haben Bildfindungsprozesse auch immer etwas Projektives. Mir wurde nun klar, dass das nicht zwingend so sein muss. Autorschaft wird dadurch zu etwas Mehrdeutigerem, als es mir bis anhin bewusst war. Ich glaube, der Double-Bind hat hier seine Quelle. Der poetisch reflexive Text, der über acht der zehn neuen Bilder läuft - zwei Bilder sind malerische Varianten -, wirkt eher in den Lücken zwischen den geschriebenen Fragmenten imaginativ. Der Betrachter imaginiert seine eigene virtuelle Textergänzung.

basting: Mit anderen Worten: Sie führen eigentlich vor, wie das Bild weder den Text illustriert, noch der Text das Bild erklärt?

stalder: Der Text wird malerischer Körper, durchsichtig, er wird betrachtbar, kann über seine Lichtwerte und Materialität befragt werden. Die Sache ist in hohem Masse transparent, weil die malerischen Schritte nachvollziehbar sind, und gleichzeitig höchst opak. Er kann gelesen und auf seinen poetischen Gehalt geprüft werden. Beim Lesen konstruiere auch ich immer neue Imaginationsschleifen. In den Lücken wird eine möglicheMalerei für die Verkörperlichung des Textes vorstellbar und muss in immer neuen Versuchsreihen erprobt werden. Die Klärung aller Details führt schlussendlich dazu, dass ich malen kann, ohne an andere Fragen denken zu müssen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten von typografischer und malerischer Form und Inhalt des Textes werden sichtbar, damit aber nicht erklärt. Ich habe versucht, Illustratives und Illusionistisches so weit wie möglich zu vermeiden, um nicht dem Text eine Bildschicht zu unterlegen, sondern um das beschriebene Abhängigkeitsverhältnis wirklich Bild werden zu lassen. Das Spielfeld ist klein, aber die malbaren Spielzüge dann doch überraschend reichhaltig, um der Beliebigkeit ein Bild abzutrotzen, das seine Verbindlichkeit im Sichtbaren enthält.

basting:Würden Sie mit einer Bezeichnung Ihrer Arbeit als visueller Erkenntnistheorie etwas anfangen können?

stalder: In meiner Praxis ziehe ich den Begriff der Erfahrung demjenigen der Erkenntnis vor. Was ich machen will, ist Kunst und die hat keine Zweckbindung. Sie ist ein Stück der Realität mit einer widerständigen Verpflichtung zum Sinn, aber ohne Zwang, sich über andere Teile der Realität zu legitimieren. Mir ist bewusst, dass es die Krise der Legitimation gibt, und die Versuche - auch von Künstlerinnen und Künstlern -, auf die Einforderung eines Nutzens einzugehen. Die ökonomischen Verflechtungen sind allgegenwärtig; dieWidersprüche, in die ich mich da verstricken kann, mehr als gewichtig. Die Bilder, nach denen ich suche, sind immer mehr als nur etwas. Ihre Vielheit muss eine Balance finden, die alle ihre Teile in aktive Bedingtheit zueinander bringt. Dass ich das methodisch nicht fassen will, ist eine klare Absage ans Produzieren auf Grund einer erkannten Systematik.

basting:Wir haben zu Beginn über das Begehren nach Bildern gesprochen, und es stellt sich, nach allen Reflexionen, eine diskrete Konstante Ihres Schaffens heraus: die Lust am Imaginieren, an einer eigenen Bildwelt. Das hat angesichts heutiger Verhältnisse durchaus etwas diskret Renitentes, versteckt Subversives. Oder geht Ihnen eine solche Interpretation zu weit?

stalder: eine höfliche Renitenz der Öffentlichkeit gegenüber und eine aufsässige Subversion in eigener Sache, dem kann ich zustimmen. Unser Austausch hat vielleicht gezeigt, dass die Frage nach einer möglichen «eigenen Bildwelt» gestellt ist, eine Bildantwort darauf habe ich aber noch nicht. «Der Luxus der Imagination» ist von grösster Dringlichkeit, weniger als Angebot an die Betrachtung, denn als Herausforderung an meine Produktion.
Aus meinem Blickwinkel betrachtet, ist das Gewinnen von Bildern im Raum der Kunst - es können eine Menge anderer Dinge gemacht werden in diesem Raum - nicht Produktgestaltung auf Grund einer bestehenden oder noch zu schaffenden Nachfrage, sowenig wie es Anwendung eines Formenrepertoires im Dienste von Beeindruckungsstrategien sein kann. Je länger je mehr sind es die Momente des Erstaunens, die mich anziehen bei der Produktion. Sie liegen definitiv vor einem Vergnügen, vor der Freude am Machen, lassen offen, wohin sie gehen.

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Anselm Stalder