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Marion Strunk: Woran arbeitest du gerade?
Manon: Ich arbeite an einer aufwändigen Fotoserie, die mich sehr in Atem hält. Arbeitstitel: "Hotel Dolores" (von "dolore"). Das geht so: Unter der Woche richte ich in drei ganz besonderen, ausgemusterten Häusern Installationen ein. Diese werden am Wochenende fotografiert. In der Regel entstehen eine Installation und ein Foto pro Woche. Die Arbeit begann jedoch mit Basisaufnahmen von den Innenräumen, so wie sie sind. Damit setze ich mich im Atelier auseinander, mache viele Notizen und Zeichnungen, danach folgt die Suche nach Requisiten. Ganz am Ende dann, in einer Fotosession von drei bis sechs Stunden, entsteht das Bild. Ich habe das Glück, dass mein Partner mir dabei viel technische Arbeit abnimmt. Zum Beispiel gibt es in den Gebäuden keinen Strom mehr für Lampen, Digitalkamera und Computer, jedes einzelne Mal muss er in komplizierten Manövern weithergeholt werden. Wir arbeiten aber auch mit verschiedensten Taschenlampen, grossen und kleinen, und holen so gewisse Details heraus. Rund 30 Sujets sind so in den letzten sechs Monaten entstanden, noch etwa 40 Bilder sollen folgen. Ich arbeite stets aus der Fülle heraus, schlussendlich muss dann eine ganz enge Auswahl getroffen werden. Im Moment kann ich mich für nichts anderes interessieren; ich bin besessen von dieser Arbeit und fürchte nur eins: dass die Häuser abgerissen werden könnten, ehe sie zu Ende ist.

Das heisst, du gehst ohne fixe Vorstellungen in dein Atelier und nimmst spontan Anregungen auf, die sich aus den Fotos der leeren Innenräume ergeben. Du gehst also nicht von Ideen aus, von einem Konzept, sondern entwickelst den Stoff aus der Arbeit selbst.
Oh nein, nachdem ich diese versehrten Räume gesehen hatte, war mir das Grundkonzept sofort klar, denn bessere Voraussetzungen für mein derzeitiges Thema hätte ich nicht finden können. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um da arbeiten zu dürfen, und habe schliesslich die Schlüssel zu den drei Gebäuden bekommen. Die Stossrichtung der Arbeit war von Anfang an da, im Detail gibt es wie üblich viel zu viele Ideen, ich werde richtiggehend überflutet, das Schwierigste ist es dann, mich zu beschränken.

Und das Thema ist "dolore" Der Schmerz? Eine Erfahrung? Und eine Erinnerung?
Das Thema ist bereits da, ja. Es geht um Macht und Ohnmacht und um den Schmerz über die Flüchtigkeit unserer Existenz - so flüchtig wie der Aufenthalt von Reisenden in einem Hotel. Aber auch das Frivole hat Platz, wie könnte es anders sein, denn Ernst und Frivolität bilden ein Paar.

Möchtest du dem Schmerz Raum geben? Suchst du nach einem Bild für den Schmerz? Was interessiert dich daran?
Ja, ich versuche Bilder zu finden: Bilder von Abgründen und von Zerstörung, aber auch heitere oder beiläufige Bilder.

Wirst du mit Figuren arbeiten
Ja, auch. Zwei Themenkreise waren ja von Anbeginn wichtig in meinen gesamten Arbeiten: einerseits die Fetische, Objekte also, die irgendwie aufgeladen sind. Diese nehmen auch in der neuen Serie viel Platz ein. Sowie andererseits die menschliche, zumeist von mir dargestellte Figur. Auch diese kommt hier vor, aber so flüchtig wie ein Gast, der, kaum angekommen, schon wieder abgereist ist.

Warum die Serie? Möchtest du eine Geschichte erzählen?
Seit Anbeginn arbeite ich in Serien. Eigentlich möchte ich jedes Mal eine Geschichte erzählen, Geschichten allerdings, die Raum lassen für die Betrachter und deren Blick.

Das Offene, die Frage, interessiert dich mehr als die Antwort.
Es war nie meine Absicht, dem Publikum etwas aufzudrängen. Es sollte ihm stets die Möglichkeit für eigene Inhalte offen bleiben.

Die Fotografie bleibt zum Schluss, sie wird alles festhalten, auch das Vergängliche. Hast du darum das Fotografieren gewählt?
Hier habe ich ja primär die Installationen gewählt, bloss können diese unter den speziellen Umständen nicht besichtigt werden. So bleibt die Fotografie.

Könnte man sagen, dass deine Fotos personifizierte Gefühle sind, dass es dir vor allem um Gefühle geht?
Zuerst ist stets das Gefühl da, ja. Der Intellekt setzt später ein, ist aber dann ebenso wichtig für die Ausführung eines Projekts.

Du hast einmal gesagt, dass die Kunst für dich wunderbare Möglichkeiten bietet, etwas auszuleben. Ist das Leben für dich Material deiner Kunst?
Sicher, was denn sonst? Kunst und Leben sind kaum zu trennen.

Identität und Image bilden seit den 1970er-Jahren deine Arbeitsthemen. Vermutlich wird bei deinen Fotografien immer wieder versucht, sie auf dich zurückzuführen, weil du auf den Fotos zu erkennen bist. Es geht aber sicher nicht um dich persönlich. Du stellst ja keine "Selbstporträts" her.
Es geht um mich und um dich und um uns. Eigentlich wünsche ich mir nur eins: die Betrachter zu berühren.Tatsächlich ist es so, dass ich seit ein paar Jahren keine eigentlichen Selbstporträts mehr herstelle. In einer der letzten Arbeiten, "Einst war sie Miss Rimini", kommt die Figur der Manon überhaupt nicht vor. (Im Vorläufer davon, 20 Jahre früher, dem "Ball der Einsamkeiten", sieht man mich als neutrale beobachtende Figur.) Das heisst nun nicht, dass ich ganz abwesend wäre. In jeder der 50 Frauen steckt natürlich ein kleines Stück von mir. Ich muss das Darzustellende ja aus mir selbst herausholen, auch wenn es dann eine andere Form annimmt. Im Moment, wo ich eine Alkoholikerin darstelle, bin ich sie.

Geht es dir darum, eine andere zu sein?
Einerseits geht es darum, "die Andere" in mir selbst zu sein. Andererseits habe ich oft den Wunsch, die Welt durch andere Augen zu betrachten. Sie stellt sich dann ja auch anders dar.

Du hast die Figur Manon erfunden, die Künstlerin. In deinen Fotoserien setzt du sie als Schauspielerin ein, die auf der Bühne des gesellschaftlich Imaginären Bilder von Frauen und Männern inszeniert; dein Titel "Manon als Edgar" (2006/08) wäre ein Beleg dafür. Ich weiss, du magst das Wort "Schauspielerin" nicht gerne. Es geht aber doch um eine Zur-Schau-Stellung. Nicht im Sinne einer Schau, jemandem Etwas- vormachen, sondern eher um ein Zeigen, um Aufmerksamkeit: Du gibst etwas zu sehen. Und dies zeigt etwas auf, was für dich wahrhaftig ist und im Moment wirklich existiert. Im Foto ist es dann in die Fiktion gesetzt.
So ist es. Allerdings entwarf ich die Figur Manon, lange bevor ich mit dem "Lachsfarbenen Boudoir" so plötzlich in Erscheinung trat. Ich entwarf sie ganz für mich, nur für mich, ich wollte eine andere sein. Allerdings eine, die ich (auch) bin. "On ne simule bien que ce que l'on est", sagen die Franzosen. Es war nicht voraus zusehen, dass diese Erscheinung dereinst als "Kunstfigur" dastehen würde. Diese Sache entwickelte sich organisch und war weder plan- noch vorhersehbar. Das sieht bloss im Rückblick so aus.

Im Kunsttheoriekontext werden deine Fotoserien als Forschung zur "Bildwerdung der Frau" gelesen. Das gilt besonders für deine grossen Serien von "Ball der Einsamkeiten" bis zu "Einst war sie Miss Rimini", also ein Themenraum von mehr als 20 Jahren, worauf du schon hingewiesen hast. Dazu ist sehr viel geschrieben und gesagt worden. Kannst du mit den Einordnungen deiner Arbeit in Kunsttheorien etwas anfangen? Etwa einer früheren Sichtweise der 1970er und 1980er Jahre, dass die "Frauenbilder" einem spezifischen Kameraauge unterworfen sind, das Anschauen von Frauen also bestimmten Codes unterliegt, denen sie nicht ausweichen können, wollen sie gesehen werden. Oder die spätere Debatte um die Parodie der Frauendarstellungen oder die der Dekonstruktion des Bildes. In Deinem "Retrospektivebuch"(Katalog zur Ausstellung im Helmhaus Zürich) ist davon ja auch die Rede. Als du die Arbeiten machtest, richtetest du dich sicher nicht an Theorien aus, du willst ja nichts illustrieren. Überzeugen dich diese Lesarten jetzt, wenn wir die Arbeiten im Nachhinein anschauen?
Die Einordnung meiner Arbeiten in Kunsttheorien hat mich nie interessiert. Ich lese diese Artikel kaum. Wenn eine Arbeit abgeschlossen ist, bin ich im Kopf schon anderswo. Zur Frage nach dem Kamera-Auge: Ob wir Frauen wollen oder nicht, wie sehr wir uns auch davon zu befreien versuchen, es bleibt ein Stück Konditionierung ganz tief im Inneren bestehen. Ein Stück weit werden wir uns wohl noch lange oder immer wieder auch mit "männlichen" Augen betrachten. Es sind Konditionierungen, die bereits in der Kindheit gelegt werden. Durch Überzeichnungen oder Parodien kann man dem etwas auf die Schliche kommen, und das versuche ich immer wieder mal.

Die Arbeiten gehen ihre Wege. Das heisst aber auch, andere bestimmen, was mit ihnen geschieht. Was nicht nur für den Bereich der Theorie gilt - da kann es ja eine Freude sein, wenn die Arbeit Teil eines Diskurses wird -, sondern auch für die Kritik und für den Kunstmarkt. Wie gehst du damit um?
Ganz ehrlich: Ich kümmere mich nicht drum. Verkaufen tut der Galerist. Schlechte Kritik versuche ich zu analysieren, denn sie kratzt an meinem Ego; gute Kritik freut mich, ist aber schnell vergessen. Allerdings bin ich gespannt, wo meine Arbeiten in Zukunft ihren Platz finden werden, denn der Galerist, der mir jahrelang die Treue gehalten hat, ist im Begriff, seine Galerie zu verkaufen... Meine Bilder werden also gelegentlich eine neue Heimat finden müssen.

Was bedeuten dir Erfolg, Ruhm und Ehre aus der Künstlerperspektive - nicht aus einer Kunstmarktperspektive?
Es gab stets eine stille Gewissheit, dass man auf meine Arbeit zurückkommen wird. Eine Zeitlang fürchtete ich, dass ich das vielleicht nicht erlebe. Heute sieht das anders aus, und das tut gut. Es ändert aber letztlich wenig, mein Kopf ist voller Bilder, und ich arbeite weiter, wie ich das so oder so tun würde. Mit jeder neuen Serie fürchte ich abzustürzen...

War Deine Arbeit auf Erfolg angelegt?
Mit diesem Gedanken im Kopf kannst du nicht arbeiten, das geht nicht, denn damit verlierst du augenblicklich die Authentizität. Aber Aufmerksamkeit wünscht man sich schon.

Und die Betrachterinnen und Betrachter? Du sagst, du möchtest sie berühren. Meinst du damit, deine Intensitäten auf sie zu übertragen, so dass sie deine Inhalte zu den ihren machen können?
...dass sie vielleicht ihre eigenen Inhalte in neuem Licht sehen, warum nicht? Oder dass sie etwas Eigenes in meiner Arbeit wiedererkennen.

Ein grosses Thema ist ja für dich auch die Travestie, das Transformen.
Dieses Thema war stets auch meins. Weshalb bloss soll ich nur diese eine sein, die ich jetzt gerade darstelle, wo jeder Mensch doch gleichzeitig auch viele andere ist? Im Wechsel der Geschlechter wird deutlich, wie sehr wir auf Bilder fixiert werden.

Wobei gerade die Travestie - mittels Parodie - zeigt, dass eine Wiederholung der Normen unausweichlich scheint. Aber dein "Edgar" hat etwas im Blick, was ein erotisches Gefühl zu provozieren scheint, ohne es zu erfüllen. Du irritierst die Erwartungen. Und das setzt ja schon einen Unterschied.
Ach, die Wirklichkeit ist viel simpler, als es den Eindruck macht. Ich habe Lust auf ein Bild und führe das aus. Ich hatte einfach Lust auf den "Edgar", und so fragte ich mich, welche meiner Eigenschaften ich ihm mitgebe und wo er sich von mir unterscheidet. Vielleicht habe ich ein gutes Gespür für das, was in der Zeit liegt, aber ich suche nicht nach einem tieferen Sinn.

Mit dem "Blickregime" wird auch immer die Frage nach der Macht aufgeworfen. Sie sichtbar zu machen, gilt als subversives Moment. Macht und Ohnmacht, dieses Thema findet sich in deiner Arbeit immer wieder. Mir scheint, es ist dir noch wichtiger als das Spiel mit den Identitäten.
Die Themen Macht und Ohnmacht haben mich lebenslang begleitet. Vielleicht, weil ich als Kind so ohnmächtig, so ganz ohne Boden war, wer weiss? Und weil ich als Frau habe Stärke entwickeln müssen. Jeder Mensch findet seine ganz eigene Strategie, um sich dem Leben zu stellen, und wählt die Methode, die ihm am erfolgversprechendsten scheint. Für Frauen ist das oft ein Drahtseilakt... Für mich jedenfalls war es das, und ich habe das stets gewusst.

Die Rollenmasken funktionieren nicht reibungslos, es entstehen Risse oder Unterbrechungen. Und zu sehen ist, wie die sogenannte Identität auf unterschiedlichste Arten und Weisen erst in Formen der Verkleidung, Verstellung, Darstellung etc. zum Bild wird.
Es entstehen Risse oder Unterbrechungen, wie es Brüche und Zäsuren gibt im Leben. Und genau diese Brüche interessieren mich viel mehr als das Geglättete. Sie gefallen mir, so wie die angeschlagenen Figuren bei meinen "Ex-Miss-Rimini's" meine liebsten Figuren sind.

Ist die Unterbrechung, der Bruch mit den Klischees in deinen Bildern, ist das die Strategie?
Verfolge ich eine Strategie? Ich denke, ich bin als Künstlerin viel unschuldiger, als man mir das zuschreibt. Ich arbeite nicht aus einem intellektuellen Impuls heraus, sondern möglicherweise aus einem Mangel. Einem Mangel an etwas, wovon ich nicht mal genau zu wissen brauche, was es ist. Für Befindlichkeiten, die ich oft kaum benennen könnte, versuche ich Formen zu finden und gehe intuitiv vor.

Deine "Frauenbilder" gehen Identitäten nach, die teils für sie vorgesehen sind, gleichzeitig erfüllen sie diese nicht so ganz. Mir scheint, sie wollen auch bestimmte Bilder von sich ablegen. Schon in "Ball der Einsamkeiten": Alle Frauen sitzen auf einem Sofa. Der Platz neben ihnen ist leer. Eine beleuchtete Leerstelle. Sie schauen meist in die Kamera. Sie möchten gesehen werden. Ihre Posen behaupten Individualität.

Würden die Frauen im "Ball der Einsamkeiten" nicht alle auf demselben Sofa sitzen, neben demselben leeren Platz vor der Kamera, könnte möglicherweise eine spannende Doku entstehen, mehr aber nicht. Die Kunst besteht wohl gerade in der winzig kleinen Distanz, die durch die Inszenierung entsteht; diese verändert alles. Genauso bei "Einst war sie Miss Rimini". Zuerst nimmt man die dargestellten Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit wahr, dann aber spürt man den Raum hinter dem weissen Blatt, vor dem sie alle stehen. Das ergibt jene wichtige zweite Ebene, die das vordergründig Dokumentarische wieder in Frage stellt. Dort erst wird es wirklich spannend und mehrschichtig - und im Idealfall zur Kunst. Aber auch dies erkenne ich erst im Rückblick, nachdem die Arbeit schon da ist. Mit den erwähnten Inszenierungen will ich aufzeigen, was zu einem meiner Lebensthemen wurde: dass in jedem Menschen nicht nur ein einziges Lebensmodell angelegt ist, sondern dass auf ein und derselben physischen Basis unzählige Möglichkeiten bestünden...

Die immergleiche Einstellung von Kamera und Lichtregie vermittelt den Eindruck von Intimität und zugleich von Abstraktion. Die Figuren sind bei sich, in Innenräumen, nur die Kleidung verweist auf Gesellschaftliches, legt die Spur. Sie sind auf einen Blick ausgerichtet - schon allein durch die frontale Inszenierung - und suchen im Blick Kontakt. Sie möchten in ihrer eigenen Geschichte erkannt werden. Das ist eigentlich ein paradoxes, sehr ambivalentes Begehren: Der Blickrahmen versetzt sie in ein Raster oder Muster, sie werden Bild; ihr Blick jedoch verlangt, sie nicht nach einem Muster anzusehen: Sie wollen als sehr eigenwillige Persönlichkeiten wahrgenommen werden.
Kann sein.

Diese Serie ist in Schwarz-Weiss. Würden Farben zu konkret?
Bis 1990 arbeitete ich fast ausschliesslich in Schwarz-Weiss. Das gab den Bildern eine Melancholie, die gut zu mir passt.

In der Serie "Rimini" ist die Farbe da!
Ja, seit ich mit Farbe arbeite, kommt eine weitere, neue Dimension dazu. Heute müssen sowohl Inhalt, Form und Farbe ein stimmiges Ganzes ergeben.

In "Rimini" hast du die Kontraste der Befindlichkeiten noch stärker herausgearbeitet - zumal es jetzt 50 Figuren sind: die Schwächen, die Hässlichkeiten, den Schmerz, die Lust, die Zufriedenheit, die Hässlichkeiten als Schönheit usw. Die neuen Fotografien gehen noch weiter.
Ja. Ich bin ja auch älter geworden, habe mehr gelebt.

Geschieht der Moment des Auslösens, passiert der Klick der Kamera kontrolliert?
Zwischen mir und der Kamera steht ein mobiler Spiegel, in dem ich alles kontrolliere. Ich sehe und spüre den Moment, wo Pose, Ausdruck und inneres Empfinden gleichzeitig stimmen. Genau dann muss abgedrückt werden.

Wer steht eigentlich hinter der Kamera? Oder arbeitest du mit Selbstauslöser?
Die "Borderline"-Fotos entstanden mit Selbstauslöser. Bei der aktuellen Arbeit steht die Kamera auf einem Stativ, und ich kann das Bild auf dem Computer kontrollieren. Wenn ich selbst auf dem Foto bin, betätigt mein Partner den Auslöser. Ich schaue mir das Resultat gleich an und weiss dann sofort, was allenfalls zu verändern ist.

Wann ist eine Fotografie fertig?
Das weiss ich einfach, ich spüre das, ich sehe das.

Was bedeutet dir Schönheit?
Ha, ich bin natürlich Ästhetin. Es ist nicht immer einfach, darüber hinwegzuarbeiten, aber sehr oft notwendig.

Woher bekommst du eigentlich die vielen Sachen für deine Inszenierungen?
Die Objekte sind oft meine eigenen, ich bin ja Fetisch-Sammlerin. Kleider werden mir gelegentlich von Freundinnen ausgeliehen, vieles muss ich zusammensuchen oder auftreiben wie beispielsweise einen ausgestopften Schwan oder Wolf. Ausserdem habe ich einen grossen Fundus.

Das Stichwort Fetisch! Interessant ist, dass die Dinge ein Eigenleben entwickeln. Es scheint so, als würden sich Menschen in den Dingen nicht wieder erkennen; sie können also mit den Dingen von sich absehen und zugleich mit ihnen Geschichten von sich erzählen: Alle Dinge sind verzauberte Menschen. Stimmt das?
Ein wunderbarer Satz: Dinge sind verzauberte Menschen! Hübscher kann man das nicht sagen. Ich glaube, manchmal sind sie auch verzauberte Tiere...

Du hast mir einmal gesagt: "Ich bin eine extrem schamhafte Exibitionistin". Was bedeutet Dir Scham?
Im Privatleben bin ich eine schamhafte, eher scheue Person. In der Arbeit gelten andere Gesetze. Will ich eine bestimmte Szene, sei's eine Installation oder ein Bild, setze ich alle Hebel in Bewegung, um das zu realisieren. Da akzeptiere ich keine Hindernisse. Will ich etwas ausdrücken, wozu beispielsweise Nacktheit vonnöten ist, dann kann ich das. Trotzdem: Ich bin eine extrem schamhafte Exhibitionistin.

Scham, wenn wir vom Kontext der Schuldthematik absehen, unterbricht eine Norm - worin ja auch eine Kraft liegt, eine Aufmerksamkeit für Abweichendes, Eigenwilliges.
Scham in Zusammenhang mit Schuld ist mir fremd. Norm interessiert mich nicht.

Die unendliche Fülle der vielen Variationen deiner Bilder wird besonders durch die Ähnlichkeit des Gesichts bewusst. Das Gesicht können wir immer wiedererkennen. Die Maskerade zeigt sich als Bild, als Oberfläche. Gleichzeitig gewährt sie ein magisches Am-Leben-Erhalten in einem Inneren, das nur ausserhalb des Bildes existiert wie ein Geheimnis. Bleibt das Verlangen, wirklich gesehen, erkannt zu werden ein Wunsch, eine Hoffnung oder etwas Unmögliches?
Das Verlangen, gesehen und innerlich erkannt zu werden, ist wohl jedem Menschen eigen. Jeder wählt den für ihn gangbarsten Weg, dahin zu kommen... Vielleicht bleibt es oft beim Wunsch, bei der Hoffnung... Ich weiss es nicht. Punktuell wird dieses schwer zu erreichende Ziel wohl manchmal erreicht, wenngleich vielleicht nur für einen kurzen Augenblick?

Die Bildarbeit mit diesen vielen Identitäten, hat sie dich persönlich verändert?
Oh ja, sie hat mich verändert, sie hat mich beruhigt, und sie hat mich ausgesöhnt mit meiner Kindheit.

Was kann die Kunst?
Ob sie im grossen Ganzen etwas ausrichten kann, wage ich zu bezweifeln. Aber sie kann Folgendes: Beruhigen. Aufreizen. Deprimieren. Euphorisieren. Anspornen. Ablenken. Erfreuen. Ärgern. Verblüffen. Erheitern. Versöhnen. Ich persönlich wüsste nicht, wie ich meine kommenden Jahre gestalten sollte ohne künstlerische Arbeit. Vielleicht würde ich auf dem Land ein Tierheim eröffnen?

Du arbeitest mit verschiedenen Medien, neben den Fotoperformances vor allem auch mit Installationen. Die Serie "Einst war sie Miss Rimini" hast du sozusagen in eine (Dia-) Installation verschoben, die "Riminis" lernen das Laufen im Loop, begleitet vom Sound. Warum hast du dich dazu entschieden?
Sie laufen mit Powerpoint oder als Video auf dvd. Es war ein Versuch, und er hat mich überzeugt. Die Musik ist von Paolo Conte und passt einfach wunderbar, gibt noch eine Dimension dazu. Ich hatte das schon mal mit einer anderen Arbeit versucht, mit "Wege zum Ruhm", auch das hatte gut funktioniert.

Und "Das lachsfarbene Boudoir", das du erstmals 1974 in der Galerie Li Tobler in Zürich ausstelltest - ich glaube, es war überhaupt Deine erste Ausstellung? Du hast es noch einmal in der Ausstellung "It's time for Action", 2006 in Zürich, gezeigt. Wie kam es zu dieser Wiederholung?
Es war meine erste Einzelausstellung. Natürlich rechnete ich nie damit, dass man das eines Tages würde wiedersehen wollen. Aber von einem gewissen Zeitpunkt an kam von verschiedenen offiziellen Seiten immer wieder das Gespräch darauf, bis das Migrosmuseum es schliesslich umsetzte und wir "Das lachsfarbene Boudoir" rekonstruierten. Genau genommen zögerte ich lange, bis ich fand, es sei besser, ich mache das noch selbst, als es später mal anderen zu überlassen. Es wird übrigens in dieses Jahr in einem Container nach Amerika verschifft und in New York gezeigt.

Könntest du ausführen, worin der Unterschied zwischen der Installation von 1974 und der von 2006 bestand?
Das Gehäuse wurde exakt nachgebaut, die Pläne sind noch vorhanden. Vom Inhalt war noch einiges da, anderes musste zusammengesucht und möglichst nah am Original rekonstruiert werden. Zum Glück gibt es sehr viele Fotos, praktisch jedes Detail war damals vom Modefotografen Jost Wildbolz aufgenommen worden, und so hatte ich eine perfekte Basis. Die Arbeit im Migrosmuseum war also eine Rekonstruktion. Als ich dieses Environment zum ersten Mal zeigte, war es eine kleine Sensation. So etwas hatte es noch nie gegeben. Beim zweiten Mal freute ich mich, dass es Menschen gab, die genauso atemlos davor standen.

Es ist der rauschhafteste Bettraum sexueller Metaphern, den ich je in einem Museum gesehen habe. Du evozierst mit dieser Fülle von Requisiten eine magische, verführerische Bildwelt und beanspruchst sie im nomadischen Zelt als dein Territorium. Überhaupt?: Du sprichst viel von Sexualität in deinen Arbeiten.
Ich spreche von Erotik. Die Erotik war mein Thema. Im Laufe der Zeit ist manches andere dazugekommen.

Findest du, dass Blicke im menschlichen Kontakt wichtiger sind als Worte?
Beides scheint mir gleichermassen wichtig.

Ist Fantasie das, was man der Wirklichkeit nicht zutraut?
Die Realität übertrifft manchmal die wildesten Fantasien.

Was bedeutet dir der Körper?
"Glück" ist für mich eine stark körperliche Empfindung: sich in seinem Körper, seiner Haut gut fühlen. Augen, Ohren, alle Sinne sind Körper. Innen und aussen werden über den Körper eins.

Wie möchtest du deine Arbeit gerne behandelt wissen?
Mit Respekt.

Gibt es Einflüsse, prägende Personen, andere Arbeiten, die dich herausgefordert haben? Ich denke an die Installation "Das Damenzimmer", die mehrmals gezeigt wurde.
Nein. Die Frauen, denen ich im "Damenzimmer" meine Reverenz erweise, haben mich allesamt tief berührt, sei's mit ihrer Lebensgeschichte, sei's mit ihrer Leistung, sei's mit ihrem Mut. Aber es sind Sängerinnen, Modeschöpferinnen, Schriftstellerinnen usw., und sie hatten keinen direkten Einfluss auf mein Werk. Übrigens schaue ich während der Arbeit weder nach rechts noch nach links und habe keine Ahnung, was andere Künstler gleichzeitig schaffen. Ich bin viel zu verstrickt in mein eigenes Tun.

Die Arbeit bietet ja oft das Beste, was Menschen aus ihrem Leben machen können; der Einsatz für die Arbeit ist meist um vieles grösser als für die persönlichen Dinge, für die das Vertrauen oft fehlt und die mit weniger Wert versehen werden. Was würden Menschen machen, wenn sie sich auf sich selbst verlassen könnten und die Möglichkeit hätten, frei zu bestimmen?
In meinem Leben bilden Arbeit und Privates ein Geflecht, das ich nicht auseinanderdividieren könnte, so dass mir persönlich diese Frage sehr fremd ist.

Gegenwärtig bist du in vielen Ausstellungen vertreten, die vor allem Arbeiten von Künstlerinnen zeigen. Das war schon mit "It's time for Action" so, mit "Ladies only" in St. Gallen, und jetzt ganz aktuell mit "Re.act.feminismen" in Berlin. Was heisst es für dich, deine Arbeiten in diesen Kontext zu stellen?
Mir ist das egal. Wer sie zeigen will, soll sie zeigen. Ich weiss allerdings nicht, ob es den Künstlerinnen dient, separat ausgestellt zu werden.

Noch eine letzte Frage: Was hältst du von einem "neuem" Feminismus, von der "Dritten Welle" Möchtest du dich dazu äussern?
Neuer oder alter Feminismus - was kümmert's mich? Tatsache ist, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Natürlich bin ich ein Kind unserer Zeit, eine Frau mit einem bestimmten Erfahrungshintergrund, und unvermeidlich fliesst das in meine Arbeit ein. Aber letztlich versuche ich nichts anderes, als meine inneren Bilder nach aussen zu tragen. Zur Zeit beschäftigt mich die Vergänglichkeit, und das betrifft alle Menschen gleichermassen. Also observiere ich das "Hotel Dolores"...

Findest du auch: Wir haben mit diesem Gespräch ein Bild hingestellt?
Ich hoffe es.

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Manon