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Künstlerisches Inselhüpfen im Oberengadin

Die Art Weekends im Hotel Castell in Zuoz bieten seit fast 20 Jahren profunde Einblicke in das Werk etablierter und aufstrebender Künstler:innen. Am vergangenen Wochenende waren Sarah Benslimane, Oscar Tuazon und das Klangkunstduo Magda Drozd und Nicola Genovese zu Gast  

Sarah Benslimane, Oscar Tuazon und das Klangkunstduo Magda Drozd und Nicola Genovese waren die „Drei Inseln im Kunstmeer“. Diesen sehr poetisch klingenden Titel hatte Ruedi Bechtler, der Initiator und Gastgeber des seit bald 20 Jahren alljährlich stattfindenden Art Weekends im Hotel Castell in Zuoz, für die diesjährige Ausgabe ausgewählt. Und zwar, weil die Positionen, wie er sagt, in diesem Jahr besonders unverwechselbar und eigenständig seien. Seine Prognose sollte sich im Laufe dieses Wochenendes zumindest auf den ersten Blick bewahrheiten: Kamen doch mit der jungen, in Genf lebenden französischen Malerin Sarah Benslimane, dem Bildhauer Oscar Tuazon aus Los Angeles sowie der Zürcher Klangkünstlerin Magda Drozd, die seit kurzem zusammen mit ihrem italienischen Partner Nicola Genovese auftritt, Künstler:innen mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen ins Engadin.

Wie beim Art Weekend im Hotel Castell üblich, reisen die Künstler:innen stets in Begleitung von Kurator:innen, die mit ihrem Werk eng vertraut sind, zu dem Treffen an. In Form von zweimal zwei einstündigen Dialogen führten die Doppelgespanne in das jeweilige Œuvre ein, begleitet von umfangreichem Anschauungsmaterial. Ein Alleinstellungsmerkmal der Art Weekends im Hotel Castell ist die persönliche Atmosphäre, die trotz anspruchsvoller Dialoge und bildgewaltiger Präsentationen keinen verkrampften Seminarcharakter aufkommen lässt.  

Am Samstagmorgen machte der in Genf beheimatete Kurator, Hochschullehrer und Kunstkritiker Fabrice Stroun den Auftakt. Die von ihm begleitete Französin Sarah Benslimane ist zwar erst 26 Jahre alt, doch sie beeindruckte das Publikum mit ihrem zielbewussten Ernst, mit dem sie von Anfang an ihr Studium an der Haute école d’art et de design de Genève herangegangen war. In einem bebildertem Parforceritt durch ihre künstlerischen Entwicklungen und „Häutungen“ vermittelten Stroun und Benslimane dem Publikum einen umfassenden Überblick über ihr Werk. Sarah Benslimane hat Malerei studiert. Sie ist aber von Anfang an mit konzeptuellen Fragestellungen an das schon so oft totgesagte Medium herangegangen. Was ist überhaupt Malerei? Wie weit kann ich den Gebrauch klassischer malerischer Mittel einschränken, um dennoch durch geschicktes „Framing“ zu behaupten, bei einem Werk handele es sich eben doch um nichts anderes als Malerei? Gängige Klischees, Stereotypen und Konventionen des Kunstbetriebs bürstet Sarah Benslimane selbstbewusst gegen den Strich und scheut sich auch nicht davor, die Betrachter:nnen mit wohldosierten Gemeinheiten ein wenig gegen sich aufzubringen. Benslimane gibt ihren Betrachter:innen alles, aber gleichzeitig konfrontiert sie sie auch mit ihren oftmals seichten und naiven Erwartungen an ein Kunstwerk. „Das Sentimentale ist bei ihr total kalkuliert und vollkommen konstruiert“, fasste es Fabrice Stroun zusammen.

Szenenwechsel: Der zweite Künstler, der auf dem diesjährigen Art Weekend seinen Auftritt hatte, war der Amerikaner Oscar Tuazon. Der vornehmlich für seine provisorischen Außenraumstrukturen bekannte Bildhauer wurde 1975 in Seattle geboren. Er lebt und arbeitet in Los Angeles.  

Zuletzt war er mit der Einzelausstellung „Building“ im Kunstmuseum Winterthur zu sehen. Lynn Kost, der die Schau kuratiert hat, ist wie kaum ein anderer in der Schweiz mit dem Werk Tuazons vertraut. Und so traten diese beiden Protagonisten in ihrem Gespräch beim Art Weekend auch als kongeniales Gespann auf, das sich gegenseitig die Bälle zuspielte.

Die Minimal Art der 1960er Jahre bildet die Folie, vor der Tuazons eigene Arbeiten entstehen. Der kühl kalkulierten Strenge von Künstlern wie Donald Judd oder Sol LeWitt, die ihre skulpturalen Arbeiten lediglich zeichnerisch konzipierten, um sie dann von Spezialisten in größtmöglicher Perfektion herstellen zu lassen, setzt er eine lässige Do-it-Yourself-Ästhetik entgegen, die durchaus auch einmal etwas Schiefes hervorbringen darf. „I think with my hands“, so Tuazon, der nie mit fertigen Plänen oder gar vorproduzierten Arbeiten zu einem Ausstellungshaus kommt. Er lässt lediglich Rohstoffe wie Holzbalken, Sperrholzplatten und Befestigungsmaterial anliefern, aus dem er dann – gerne mit dem lokalen Aufbauteam als Ko-Autor:innen – seine auf den jeweiligen Ort bezogenen architektonischen Interventionen baut. Einen Schwerpunkt des Dialogs bildete auch sein 2016 begonnenes und bis heute fortlaufendes Projekt „Water School“, in dem er die Dynamiken und Machtspiele, die den Zugang zu Land, Wasser und Infrastrukturen regulieren, in einem kollaborativen Prozess zusammen mit Betroffenen untersucht, offenlegt und positiv zu beeinflussen versucht. Für alle Teilnehmer:innen des Art Weekends wurde klar, dass zur künstlerischen Praxis Tuazons eben nicht nur die Auseinandersetzung mit Minimal Art gehört, sondern auch eine aktivistische Seite. „Kunst ist für mich etwas Integrales und keine Dekoration“, betonte Oscar Tuazon am Ende seines Gesprächs mit Lynn Kost.

Am Samstag in der Abenddämmerung erfüllte dann das Zürcher Klangduo Magda Drozd (Violine) und Nicola Genovese (Saxophon) den zum Hotel gehörenden Skyspace von James Turrell mit einer klanggewaltigen Improvisation, die der ohnehin auratischen Atmosphäre des Raumes noch eine weitere Dimension hinzufügte.  

Alles in allem war es in diesem Jahr ein abwechslungsreiches und informatives Art Weekend. Und am Ende stellt man fest, dass zwischen den im Titel erwähnten, vermeintlich so weit voneinander entfernten „Drei Inseln im Kunstmeer“ ab jetzt zumindest ein reger Schiffsverkehr herrscht. Denn irgendwie hat in der Kunst dann doch alles mit allem zu tun. 

Das 20. Art Weekend findet Ende September 2024 statt. Der genaue Termin wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.

www.hotelcastell.ch

 

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Castell Art Weekend 2023 - Event Zuoz Schweiz
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