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Pandemie und wie weiter? — Nina Childress

Fortsetzung der Interview-Serie, die in der Juni-Ausgabe des Kunstbulletin begann und auf Distanz Nähe versuchte zum künstlerischen Prozess, zu persönlichen und professionellen Aussichten auf auf eine mögliche Zukunft. Gemeinsamer Nenner der Stellungnahmen war die Anerkennung eines grundlegenden Wandels im Kunstbetrieb – der auch fällig wäre. Während nach Lockerung der Ausgangsbeschränkungen und allfälligen Urlaubsreisen die Infektionszahlen wieder steigen, zeigen sich die Konsequenzen gewünschter Verdrängung, forcierter Wiederherstellung des Gewohnten. Andere Aussichten sind nötig, die nicht auf ein Danach hoffen, sondern mit dem Gegenwärtigen kreativ und engagiert umzugehen wissen. Da sie solche bietet, wird die Serie in loser Folge weiter hier veröffentlicht, um zum Nachdenken anzuregen darüber, was wird, mit der Kunst. 

Anders malen
Sennewald: Durch den Lockdown wurde Deine große Soloshow in der Fondation Ricard unterbrochen – glücklicherweise konnte ich sie noch sehen. Dort wurde deutlich, wie sehr Du auch an der Identität als Malerin/Künstlerin arbeitest. Wie erlebst Du den Lockdown, welche Rolle siehst Du für die Malerei, die Rolle der KünstlerIn und was hast Du für Erwartungen an die Zukunft?

Childress: Ich habe den Vorteil, dass ich zwischen Wohnung und Atelier bequem mit dem Fahrrad pendeln kann, was während des Lockdown umsoangenehmer war, weil der Autoverkehr quasi stillstand. Was die Ausstellung betrifft: sie lief einen Monat, dann wurde sie nach Vereinbarung geöffnet, insofern haben viele sie sehen können. Insgesamt war ich vom Lockdown glücklicherweise wenig betroffen. Natürlich hat sich die Vibration der Stadt verändert, ist viel umgebende Energie weg. Aber ich arbeite weiter, wie sonst. Momentan male ich viel Gesichter, vielleicht weil genau dieses face-to-face fehlt, aber das ist eine Interpretation. Die kommt auch daher, dass mir der Kontakt mit den Studierenden in den Beaux Arts de Paris völlig fehlt. Überhaupt ist die digitale Wahrnehmung für die Malerei problematisch: Gemälde muss man in echt sehen, das ist nicht nur ein Kästchen auf Instagram. Ich habe heute beinahe Lust, wieder auf Staffelei zu malen, wie als Gegenbewegung zu dem allgegenwärtigen Virtuellen. Was die Rolle der KünstlerIn betrifft: sie als Narr zu sehen, der den Mächtigen zur Unterhaltung dient, hat mich immer eher geängstigt. Ich glaube nicht, dass KünstlerInnen irgendwie visionär für die Zukunft sind. Dafür bin ich zu nostalgisch. Ich nähre mein Leben, meine Arbeit aus der Vergangenheit im Sinne von Proust. Mir fällt diese Erwartung auf, sich in Bildern wieder zu erkennen. Oder etwas wieder zu erkennen. Das scheint ein wichtiger Motor fürs Sehen zu sein. Gerade bin ich in meiner Arbeit auf eine Technik zurück gekommen, die ich in den Achtzigern genutzt habe: malen mit phosphoriszierender Farbe. Damals war es, damit man die Bilder in Nachtclubs sehen konnte – heute ermöglicht mir das, den Ausstellungsraum anders zu denken, dunkler, mehr im Bereich des Untergrundes. Da liegt vielleicht eine Aussicht: nicht machen, was erwartet wird, sondern das, worauf man Lust hat.
Paris, 25. Mai 2020
https://ninachildress.com

Eine Aufzeichnung des Interviews ist in französischer Sprache online auf dem von Studierenden und Lehrenden der ÉSACM während des Lockdown eingerichteten „Radio pour l’instant“ verfügbar: https://radiopourlinstant.tumblr.com/post/620960330445651968/la-peinture-en-temps-suspendu

J. Emil Sennewald, Kritiker und Journalist, unterrichtet an der Kunsthochschule ésacm in Clermont-Ferrand und der F+F Schule in Zürich, berichtet seit über 15 Jahren über Kunst aus Frankreich. emil@weiswald.com, www.weiswald.com

Artisti

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Nina Childress