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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Susan Steiger

Ob es in Ordnung ginge, wenn ihre Tochter dabei wäre, fragt mich Susan Steiger am Telefon. Natürlich. Das Thema Mütter in der Kunst kann nicht wichtig genug genommen werden.
Wir treffen uns nicht in ihrem Zürcher Atelier im Gleis 70 im Kreis 9, sondern im Atelier ihrer Mutter, bei Steiger Masken in Steinen, einem 3600-Seelendorf am Lauerzersee mit Blick auf den Kleinen und Grossen Mythen im Kanton Schwyz. 
Sie befinde sich in einem Übergang. Eine langjährige Arbeit findet mit der Werkschau ihren Abschluss. Ein neues Projekt, das letztlich ihr ganzes Leben in Anspruch nehmen wird, beginnt. Beide sind mit der Geschichte der Region, aber auch ihrer Person, aufs Engste verwoben. Geschichten, die sie mit den Mitteln der künstlerischen Recherche entwirrt und neu verknüpft.

Im Inneren des Ateliers reihen sich den Wänden entlang unzählige Gipspositive. Susan führt mich durch die Werkstatt und zeigt mir einige fertige Wachsmasken. Ihre Mutter ist die letzte Drückerin – so die in Europa gängige Berufsbezeichnung der Maskenfabrikantinnen für textile Wachsmasken. 
Ihre Erinnerungen an ihre Kindheit sind ambivalent. Das Aufwachsen im Atelier sei zwar schön gewesen, doch fehlte es ständig an Geld. Sie fühlte sich in diesem Handwerkerinnenleben gefangen und wollte ausbrechen, indem sie einen gewöhnlichen Beruf erlernte. Sie wurde Primarlehrerin. Das hiess: Geregelte Arbeitszeiten, fixes Einkommen, bezahlte Ferien. 
Aber der Beruf machte sie nicht glücklich. Kunst kam als Alternative nicht in Frage. Sie sah sich nicht darin, sie passe nicht rein. Über Umwege begann sie schliesslich dennoch an der Zürcher Hochschule der Künste mediale Kunst zu studieren. Und von der ersten Woche an war sie begeistert. Sie lernte, die Gesellschaft neu zu denken und damit auch ihre eigene Rolle. 
Das Thema Geld beschäftigt sie aber weiterhin. Als Künstlerin und als Mutter. Dadurch bewege sie sich nicht so frei. Einen Wendepunkt markierte die Entscheidung des Kantons Schwyz, drei ihrer Arbeiten anzukaufen. Dies ermöglichte ihr die Anfertigung eines professionellen Portfolios. Und die Teilnahme an Ausschreibungen wie der Werkschau des Kantons Zürich. 
Die an der Werkschau ausgestellte Arbeit Aroleid bildet nun den vorläufigen Abschluss ihrer künstlerischen Recherche zur sozialen Konstruktion des Fremden. An einem virtuellen Ort prallen mehrere Ereignisketten, die kausal nichts miteinander zu tun haben, aufeinander. Eine intensive, dynamische Zeitform entsteht, die mit der linearen Erzählweise bricht. 
Ihre künstlerische Forschung und ihr kritisches Fabulieren wird sie nun bei Steiger Masken anwenden können, wobei sie zugleich das Geschäft von ihrer Mutter übernehmen und auf ihre Art und Weise weiterführen wird. Es entsteht eine «Heldinnen-Prosa», welche die Stimme ihrer Mutter mit Stimmen anderer, unsichtbar gemachten Drückerinnen der Vergangenheit verknüpft, um solidarisch aus der Opferrolle in eine ermächtigte, aktive Position auszubrechen. An einem zugefrorenen Bergsee, der auftaut und in Bewegung gerät

Michel Rebosura studierte Philosophie und Religionswissenschaft. Er ist als freier Autor, Kunstkritiker und Kulturjournalist tätig und arbeitet zudem in der Kommunikation des Theaters Neumarkt in Zürich.

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Susan Steiger

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