Emmanuelle Antille im Centre Pasquart
Hinter der Fassade weiblicher Traulichkeit lauert das Unheimliche und Perverse. In rätselhaften Erzählungen überzeichnet die Ausstellung «Family Viewing» die widersprüchlichen Gefühle in familiären Beziehungen.
Emmanuelle Antille im Centre Pasquart
Nur einen Spalt breit offen steht die Tür. Zu sehen sind zwei Frauen - Mutter und Tochter vielleicht - und ein ungemachtes Bett. Die Fotografie, welche die Ausstellung von Emmanuelle Antille (*1972 in Lausanne) im Centre Pasquart eröffnet, positioniert uns von Anfang an als Voyeure, als Eindringlinge in einen intimen Kosmos. «Family Viewing» nennt die Künstlerin ihre Schau in Anlehnung an den gleichnamigen Film des kanadischen Regisseurs Atom Egoyan von 1987 - und wie dieser nimmt Antille Familienbeziehungen und ihre medialen Repräsentationen ins Visier. Es ist eine rätselhafte Welt, zärtlich und schmerzlich zugleich, in die uns die Künstlerin Einblick gewährt. «Barricata», eine aus drei Teilen bestehende Videoinstallation, erzählt in elliptischer Weise die Geschichte von vier Frauen - eine Grossmutter, deren zwei Töchter sowie eine Enkelin (gespielt von Emmanuelle Antille und ihrer Familie) -, die sich in einem Haus zusammengefunden haben. In der ersten Szene sitzen sie gemeinsam in der Küche, halten sich an den Händen, tauschen ängstliche Blicke, während zwei Männer vorfahren, ins Haus stürmen, die Fenster verriegeln und mit Matrazen verrammeln. In einer weiteren Szene sehen wir die beiden Töchter, wie sie ungestüm, fast heftig den alten Körper ihrer Mutter mit Küssen bedecken, bis sich endlich ein leises Lächeln auf deren Zügen zeigt. Zum Abschluss singen die drei älteren Frauen zusammen ein italienisches Lied, während die beiden Männer, die zuvor unsanft ins Haus eingedrungen waren, mit Mikrofon und Computer den Gesang aufnehmen. Zwischen diesen Szenen taucht immer wieder die Figur der Enkelin auf, wie sie eine Türe mit einer Wolldecke abdichtet oder einfach zum Fenster hinaus schaut. Die Arbeit mit Familienangehörigen sei intim und künstlich zugleich, biete aber auch die Möglichkeit, starke Momente miteinander zu erleben, erzählt Emmanuelle Antille. Zwar arbeitet sie immer mit einem Drehbuch, doch sie ist stets bereit, Ungeplantes aufzunehmen und in den Film einzubauen. «J'attends l'inattendu», ich erwarte das Unerwartete, so beschreibt die Künstlerin ihre Haltung während des Drehens.
In der Salle Poma, im zweiten Teil der Ausstellung, hat Emmanuelle Antille eine Art Archiv eingerichtet. In vier grossformatigen Videoprojektionen sowie zahlreichen, auf Tischen platzierten Bildschirmen präsentiert die Künstlerin Ausschnitte aus ihren Filmen der letzten zehn Jahre. Wieder treffen wir auf dieselben Protagonistinnen wie in «Barricata», auf Antilles Mutter und ihre Tante beispielsweise, die sich - mitunter etwas gar kräftig - gegenseitig die Schultern massieren oder zusammen die Hände in einem Lavabo waschen. Die scheinbare Idylle wird mit befremdlichen Szenen aufgemischt: Ein mit Hölzern und Klebern bandagierter Fuss beispielsweise oder eine Sequenz, in der die Mutter das nackte Bein der Tochter aufzuessen droht. Immer wieder blitzt etwas Unheimliches, Perverses gar durch die Fassade weiblicher Traulichkeit.
Institutionen | Country | City |
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Kunsthaus Centre d'art Pasquart | Switzerland | Biel/Bienne |
Emmanuelle Antille |