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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Nils Amadeus Lange

Nils Amadeus Lange und ich treffen uns an einem heissen Sommernachmittag am Ufer der Sihl, ganz in der Nähe des Haus Konstruktiv. Der heute in Zürich heimische, zuvor jedoch lange in Berlin lebende Künstler hat kein Atelier, sondern zieht es vor, an den Orten zu arbeiten, an denen seine Werke gezeigt werden. Wenn Lange von seiner Kunst spricht, beginnt er gerne ganz am Anfang, bei seiner Studienzeit in Bern. Denn auch wenn der Künstler keine klassische Bühnenkarriere eingeschlagen hat, prägt das Theaterstudium an der Hochschule der Künste Bern bis heute sein sich dynamisch zwischen Performance, Choreografie und skulpturaler Praxis artikulierendes Schaffen. So sind es einerseits der Umgang mit dem Publikum, aber auch Fragen des Sichtbarmachens, beziehungsweise des bewussten Hinter-die-Kulissen-Schauen-Lassens, die ihn mit dem traditionellen Theater verbinden – und zugleich seine Distanzierung davon erkennbar machen. Die Ordnung der Dinge zu «queeren», das heisst die Traditionen des Theaters, insbesondere aber auch gesellschaftliche Modelle und Genderstereotypen betreffende Konventionen zu dekonstruieren, ist anhaltender Bestandteil von Nils Amadeus Langes künstlerischer Praxis. Komponenten der sogenannten «High Culture» treffen in seinem Schaffen auf Elemente popkulturellen Ursprungs und führen zu ungewohnten, gar explosiven Kombinationen von Referenzen und Materialien. 

Für die 2019 entstandene Arbeit Old Masters, liess Lange etwa einen gebuchten Elvis Presley-Imitator vor billigen Hochglanzdrucken alter Meister performen und in Despicable von 2018 hängten die Trickfilmfiguren Minions Originale von Bruce Nauman und Candida Höfer an die Wände der Kunsthalle Basel. Die Entstehungsprozesse der zumeist kollaborativ mit anderen Performer:innen, aber auch mit dem Publikum erarbeiteten Performances, werden bei Lange sowohl offengelegt als auch offen gehalten und stellen ein die Arbeit konstituierendes Element dar. Traditionellen Arbeitsprozessen innewohnende Machtverhältnisse werden dadurch nicht nur angesprochen, sondern es wird ihnen aktiv entgegengewirkt. Durch diese horizontale Herangehensweise wird nicht nur den Performer:innen ein Mitbestimmungsrecht zugesprochen, sondern auch das Publikum bekommt die Gelegenheit, direkt in den Entstehungsprozess der Arbeit miteinbezogen zu werden und gleichzeitig aus seiner traditionellen Anonymität hervorzutreten. Langes Performances fungieren so zu offenen Kunstwerken, die vielseitig formbar als gemeinsames Erlebnis neuer geteilter Realitäten wahrgenommen werden können.

In der für die Werkschau konzipierten Performance e piangano ancora führt Nils Amadeus Lange seine Recherche zu den Möglichkeiten, das Publikum in das performative Geschehen zu integrieren, fort. Ausgehend vom Akt der Klage und des Trauerns, deren Ursprung uns jedoch unerschlossen bleibt, testet Lange gemeinsam mit dem Publikum die Auswirkungen überschwänglicher Sentimentalität: Entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, wenn wir gemeinsam trauern?  

Selma Meuli ist freischaffende Autorin und Kuratorin. Sie ist Teil des Organisationsteams von Plattform23 und absolviert derzeit einen Master in Kunstgeschichte und Bildtheorie an der Universität Basel.

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Selma Meuli