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Werkschau Kanton Zürich 2022 — Marc Lee

Am Bahnhof von Eglisau wartet Marc Lee schon auf mich und strahlt mir freundlich entgegen. Der 53-jährige Künstler hat mir angeboten, mich abzuholen, als ich ihn um einen Atelierbesuch gebeten habe. An diesem regnerischen Freitag fährt er mich also mit einem kleinen, roten Toyota Yaris zu seinem Reihenhaus mit Blick auf den Rhein, wo er gemeinsam mit seiner Familie wohnt. Ein Pfad führt vom Haus hinunter zum grünen Ufer des Flusses, wo er jeden Morgen schwimmen geht, bevor er sich im obersten Stockwerk des Gebäudes in seine Projekte vertieft. Wie in einem klassischen Atelier sieht es dort nicht aus: Es gibt ein grosses Pult mit einem Computer und mehreren Bildschirmen, sowie ein Monitor, der hochkant am Boden steht. Auf diesem testet er gerade seine Arbeit, die er an der Werkschau zeigt.

In seiner Kunst arbeitet Lee mit Informationen und Daten aus dem Internet, die er auf Bildschirmen, dem Handy oder auch in interaktiven Installationen den Besucher:innen zugänglich macht. Seine Werke verändern sich laufend. Oft sind sie mit dem Internet verbunden und beziehen ständig neue Informationen aus diesem und visualisieren sie. «Ich will nicht etwas festhalten oder fixieren», sagt Lee. Stattdessen will er die im Internet zugänglichen Informationen und Daten nutzen, um auf Themen aufmerksam zu machen, die ihm am Herzen liegen wie: Biodiversität, synthetische Biologie, sowie Auswirkungen des technischen Fortschritts und der Globalisierung.

Die Programmierskills, die Lee für seine Arbeiten benötigt, brachte er sich grösstenteils selbst bei. Während seines Studiums an der Schule für Gestaltung Basel lernte er 1997 das in jener Zeit noch junge Internet kennen, das ihn sofort faszinierte: Als Abschlussarbeit gab er – damals revolutionär – eine CD-Rom ab. Um die Auseinandersetzung mit dem Medium zu vertiefen, absolvierte er im Anschluss noch den gerade neu gegründeten Studiengang Neue Medien an der Zürcher Hochschule der Künste. Mittlerweile stellt Lee weltweit aus. Immer wieder arbeitet er auch in Kollaborationen, etwa mit anderen Künstler:innen und Schriftsteller:innen oder auch mit Studierenden des Karlsruher Institut für Technologie. Nicht nur die Produktionen seiner Arbeiten sind oft aufwendig, ihnen geht auch viel Recherche voraus. Meist produziert Lee deshalb nicht mehr als eine bis zwei Arbeiten pro Jahr. An der Werkschau zeigt er deshalb eine Arbeit, die er erstmals Ende 2021 ausgestellt hat. Used to Be My Home Too arbeitet mit Google Maps, der Datenbank von RedList.org sowie iNaturalist – einer Plattform, auf die Benutzer:innen Fotos von Pflanzen, Pilzen oder Tieren zur Bestimmung hochladen. Lee ergänzt die in Echtzeit hochgeladenen Fotos mit der von RedList.org bezogenen Information, die zeigen, welche Arten in der Gegend, wo das Foto aufgenommen wurde, bedroht oder bereits ausgestorben sind. Via Google Maps reist man so virtuell durch die ganze Welt und entdeckt die bedrohte Vielfalt des Ökosystems. Die Arbeit kann über https://marclee.io/used auch zuhause auf dem eigenen Computer installiert werden: Dort stehen einem darüber hinaus Suchoptionen und Filter zur Verfügung. 

Martina Venanzoni ist Kunsthistorikerin und freie Kuratorin u. a. für Shift Festival der elektronischen Künste, Basel sowie aktuell für FATart (Femme Artist Table).

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Marc Lee

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